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Wirtschaft: „Es gibt kein Simsalabim für Reformen“

Die Bündnis-für-Arbeit-Verhandler haben sich zerstritten: Zu früh und zu Unrecht, finden bündniserfahrene Politiker und Gewerkschafter

Von Carsten Brönstrup

und Ursula Weidenfeld

Die Bundesregierung will die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt in Bewegung bringen. Dazu hätte sie gern auf die Mitarbeit von Verbänden und Gewerkschaften gesetzt. Doch seit Donnerstag ist klar, dass Gerhard Schröder und Wolfgang Clement ihre Reformideen ohne den runden Tisch im Kanzleramt durchsetzen müssen. Die Gewerkschaften kündigten fürs Erste ihre Bereitschaft, am Bündnis für Arbeit teilzunehmen.

Der Konfrontationskurs ist ein Fehler, finden die Verbands- und Politikexperten, die der Tagesspiegel zum Bündnis für Arbeit und zur Reformfähigkeit Deutschlands befragt hat: Zwar meinen der ehemalige IG-Metall-Vorsitzende Franz Steinkühler und der frühere Kanzleramtschef Johannes Ludewig (CDU), die Ex-Wirtschaftsminister Günter Rexrodt und Helmut Haussmann (beide FDP) und auch das Mitglied des Sachverständigenrates Jürgen Kromphardt, dass die Politik am Ende alleine die Kraft zu Entscheidungen finden muss. Doch dass sich die Gewerkschaften schon im Frühstadium einer solchen Politikphase auf die Seite der Blockierer stellen, finden sie ziemlich unklug.

Denn die Gewerkschaften, so versichert Steinkühler, sind im Grunde gesprächsbereit: „Alle wissen, dass die Systeme der sozialen Sicherung für die Zukunft grundlegend reformiert werden müssen. Dabei kann sich aber nicht ein Teil der am Wirtschaftsleben Beteiligten zu Lasten des anderen Teils aus der Verantwortung schleichen wollen.“ Die Zustimmung der Mehrheit der Betroffenen sei unverzichtbar. Darum – und um das Vertrauen, dass niemand über den Tisch gezogen werde – müsse die Politik werben.

In einer Zeit der Verunsicherung durch Terrorismus und Krieg sei es leichter, Mehrheiten „für tief greifende und möglicherweise schmerzliche Reformen zu finden“, sagt Steinkühler. Der frühere FDP-Wirtschaftsminister Helmut Haussmann sieht das auch so – und rät seinem Nachfolger Clement, „sich mit den Reformern im Arbeitnehmerlager zu verständigen, denn die sind einflussreicher, als viele glauben“. Erst wenn das misslinge, glaubt der frühere CDU-Politiker Ludewig, müsse Clement auf Konfrontationskurs gehen.

Hält Clement durch?

Problemdruck ist Problemlösungsdruck für alle Seiten, meint Steinkühler. Ex-Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) hofft, dass Clement es dabei leichter haben wird als er selbst und seine liberalen Amtsvorgänger: Der Reformdruck sei jetzt so hoch, „dass gehandelt werden muss“. Und: Im Gegensatz zu ihnen als FDP-Politikern, die bei jedem Reformversuch „auf Arbeitsminister Norbert Blüm und seine Verweigerungshaltung stießen“, sei Clement im Vorteil: Er sei in der SPD fest verankert und habe nicht nur das Wirtschafts- sondern auch das Arbeitsministerium. Er müsse eben nur durchhalten – und auf die Kraft der Überzeugung setzen, dass es für Reformen höchste Zeit ist.

Was spielen die Arbeitgeber?

„Gewerkschaften haben Interessen zu vertreten, das ist ihre Aufgabe, und zwar überall und jederzeit. Gespächstabus oder gar Gesprächsblockaden erleichtern dieses ohnehin schwierige Geschäft nicht“, kritisiert Steinkühler das eigene Lager. Er hätte nicht abgesagt, „ich wäre hingegangen und hätte denen etwas gesagt“, bekennt Steinkühler. „Denen“, das sind die Unternehmer und Arbeitgeber, die nach Ansicht des ehemaligen Spitzengewerkschafters versuchen, die Politik zu erpressen. Dieses Verhalten, aber auch das der anderen am Bündnis beteiligten Parteien, schade der Glaubwürdigkeit politischen Handelns: „Die Menschen merken, dass es gelogen ist, wenn behauptet wird, man brauche nur die Sozialhilfe und das Arbeitslosengeld zu kürzen, die Löhne zu senken und den Kündigungsschutz zu beseitigen, und schon hätte man einen ausgeglichenen Haushalt und ein besseres Leben. Auch wir müssen uns fragen, ob wir wirklich glauben, man brauche nur die Reichen zu besteuern und schon sei die staatliche Gesundheitsvorsorge und die Sozialversicherung saniert. Immer mehr Menschen erkennen, dass das alles nicht stimmt.“

Wo ist der Masterplan?

Darin sieht auch Ludewig die Hauptgefahr: Die ständig neuen, hektisch vorgebrachten Vorschläge von allen Seiten, vor allem von Wirtschaftsminister Clement selbst, verwirrten diejenigen, die doch am Ende von Reformen und einem Bündnis profitieren sollen: die Arbeitslosen und die Beschäftigten, die Mittelständler und die Freiberufler. „Es fehlt ein Masterplan“, seufzt der frühere Kanzleramts-Chef.

Bodenständiger sind die Empfehlungen des Vorsitzenden des Managerkreises der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung: „Verhandlungspakete schnüren“, rät Ulrich Pfeiffer dem Minister. Clement solle Gewerkschaften und Union nicht durch ein Potpourri radikaler Ideen verschrecken, sondern als Erstes die Reformen angehen, die in beiden Lagern am wenigsten umstritten sind.

Dazu sei aber Geduld nötig, meint Gewerkschafter Steinkühler. Das Motto „Jeden Monat eine Reform“ sei nicht nur unklug, sondern auch unrealistisch. Steinkühler: „Ein einfaches ’Simsalabim’ gibt es nicht. Veränderungen sind nie kurzfristig, sondern nur als politischer Prozess möglich.“

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