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Wirtschaft: „Es gibt keinen Gewinner“

Der Währungsunionsexperte Paul de Grauwe über das Urteil der EU-Richter zum Stabilitätspakt

Herr de Grauwe, der Europäische Gerichtshof hat sein Urteil zum Streit um den Stabilitätspakt gefällt. Wer hat denn gewonnen – die Kommission oder der Ministerrat?

Es gibt keinen klaren Gewinner. Einerseits sagen die Richter: Was der Rat im November getan hat, war illegal. Es war nicht in Ordnung, das Strafverfahren einfach außer Acht zu lassen und eine eigene schriftliche Vereinbarung zu schließen – ohne Vorlage der Kommission. Andererseits haben die Richter aber auch hinzugefügt, dass die letzte Entscheidung über die Sparauflagen nun einmal bei den Mitgliedstaaten und deren Finanzministern liegt. Wenn sich keine Mehrheit für die Empfehlungen der Kommission findet, dann liegt das Verfahren halt auf Eis – und das ist legal.

Also war nur illegal, dass die Mitgliedstaaten die Kommission übergangen haben?

Genau. Aber es bleibt dabei: Die Kommission kann Auflagen oder Sanktionen den Nationalstaaten nicht aufzwingen. Die Kommission ist in diesem konkreten Fall vom November der moralische Gewinner. Aber praktisch gesehen liegt das letzte Wort eben doch noch beim Rat.

Kann die Kommission jetzt das Strafverfahren neu in Gang setzen, an dessen Ende Geldstrafen in Milliardenhöhe stehen?

Nur, wenn die Mitgliedstaaten dem im Rat mehrheitlich zustimmen.

Ist der Pakt jetzt zerstört?

Nein. Er steht ja nach wie vor in den EU-Verträgen. Es wird jetzt einen Versuch geben, den Pakt zu reformieren, ihn flexibler zu machen. Die Kommission muss das in ihrem eigenen Interesse im Einverständnis mit den Regierungen tun, damit sie in der Zukunft wieder eine stärkere Rolle spielen kann.

Funktioniert denn die Währungsunion mit einem flexibleren Pakt?

Es ist doch im November klar geworden, dass der Pakt, wie er im Vertrag steht, nicht funktioniert. Die Mitgliedstaaten würden nie wirklich dafür stimmen, dass ein anderer Mitgliedstaat wegen seines Defizits Milliarden zahlen muss.

Aber die Regeln haben die Regierungen doch selbst so gemacht.

Das stimmt – dass die Neuverschuldung nicht die drei Prozent überschreiten soll, kann man nicht mehr ändern. Es steht im Maastricht-Vertrag, und es wird auch in der Verfassung stehen. Also muss man jetzt flexibler bei der Interpretation sein.

Drei Prozent sind aber doch drei Prozent.

Die drei Prozent sind ja schließlich keine mystische Zahl. Klar ist, dass es Koordination bei der Haushaltspolitik geben muss, kein Land darf in eine Schuldenkrise geraten. Deshalb sollte man aber eben nicht nur auf die Neuverschuldung, sondern auch auf die Gesamtverschuldung achten.

Aber sparen müssen wir doch?

Ja, aber nicht in der Rezession. Der Fehler von Deutschland und anderen Ländern war, dass sie nicht gespart haben, als die Wirtschaft wuchs. Die Regierungen sollten verpflichtet werden, in guten Zeiten zu sparen. In einer Währungsunion muss es Disziplin geben. Ein Regelwerk muss die Länder davon abhalten, exzessiv Schulden zu machen.

Das Gespräch führte Flora Wisdorff.

Paul de Grauwe (57) ist Währungsunions-

experte und Professor an der Uni Leuven in Belgien. Seine Regierung hatte ihn im vergangenen Jahr als

Vizepräsident der EZB nominiert.

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