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Wirtschaft: Es ist angerichtet

Nach dem Gammelfleischskandal muss der neue Agrar- und Verbraucherminister Seehofer Farbe bekennen – und Kritik einstecken

Kälbchen streicheln, Häppchen essen – Landwirtschaftsminister haben auf der Grünen Woche traditionell viel zu tun. Für den neuen Agrar- und Verbraucherminister Horst Seehofer (CSU) geht es jedoch um mehr: Nach den jüngsten Skandalen um Gammelfleisch muss der CSU-Politiker besorgten Verbrauchern das Vertrauen in deutsche Lebensmittel zurückgeben. Und auch die Ökobauern muss Seehofer besänftigen. Die hatte der Minister verprellt, indem er sich klar für die konventionelle Landwirtschaft und für den Einsatz grüner Gentechnik ausgesprochen hatte. Keine Frage: Wenn am Freitag die Grüne Woche offiziell beginnt und Berlin für zehn Tage zum Mekka der Landwirtschaft wird, wird der Minister im Mittelpunkt stehen.

Eines räumen selbst Kritiker ein: Im Kampf gegen verdorbenes Fleisch und umetikettierte Wurst hat der Neue im Amt schnell reagiert. Seehofer erstellte einen Zehn-Punkte-Plan (siehe Kasten) und kündigte eine Neufassung des Verbraucherinformationsgesetzes an. Doch beides geht nicht weit genug, sagen Verbraucherschützer. Und auch der Koalitionspartner SPD übt Kritik. „Der 10-Punkte-Plan ist Makulatur“, kritisiert der Chef der Verbraucherschutzorganisation Food Watch, Thilo Bode. Der Aktionsplan gehe über bestehende Gesetze nicht hinaus. „Eine schwache Leistung“, meint Bode. Auch das von Seehofer angekündigte Verbraucherinformationsgesetz, das Kunden mehr Informationen über Inhaltsstoffe, Herkunft und Beschaffenheit von Lebensmitteln geben soll, habe Mängel. Hauptproblem: Bei laufenden Verfahren soll es keine Informationspflicht geben. Konsequenz: „Der Verbraucher erfährt erst, was drin war, wenn er das Essen bereits verzehrt hat“, sagte Bode dem Tagesspiegel am Sonntag.

Auch die SPD ist mit Seehofers Vorschlag nicht einverstanden. „Der Gammelfleischskandal hat gezeigt, dass mehr Informationsrechte für die Verbraucher notwendig sind“, sagte SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber dem Tagesspiegel am Sonntag. Es müsse in Zukunft möglich sein, auch vorbeugend zu handeln, damit sich solche Skandale vermeiden ließen.

Strittig ist, wer in Zukunft Auskunft geben muss – nur Behörden oder auch Unternehmen? Kelber fordert, auch Unternehmen einzubeziehen. „Da muss sich die Union noch bewegen“, sagt er. Das sehen auch die Verbraucherzentralen so: „Die Informationspflicht darf sich nicht auf Behörden beschränken“, meint Angelika Michel-Drees vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). Außerdem solle sich das Verbraucherinformationsgesetz nicht nur auf Lebensmittel konzentrieren, sondern auch Spielzeug oder Haushaltsgeräte einbeziehen.

Auch die Grünen fordern eine Nachbesserung. „Wenn es schwarze Schafe gibt, muss man auch Ross und Reiter benennen“, meint Fraktionsvize Reinhard Loske . „Das abgespeckte Gesetz schützt die Industrie stärker als die Verbraucher“, kritisiert Loske.

Die stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgruppe Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz der CDU/CSU-Fraktion, Ursula Heinen, ist jedoch zuversichtlich, dass das Verbraucherinformationsgesetz noch im Januar auf den Weg gebracht wird. „Das Gesetz wird zügig beschlossen werden, das sind wir den Verbrauchern schuldig“, sagte Heinen dem Tagesspiegel am Sonntag. Sie sehe keinen unlösbaren Konflikt mit der SPD.

Für die Forderung der SPD, die Informationspflichten auch für Unternehmen geltend zu machen, sieht Heinen allerdings keine Chance: „Das kriegen wir so nicht hin.“ Neben dem Schutz von Betriebsgeheimnissen liege das vor allem an den wettbewerblichen Nachteilen, die kleineren Unternehmen durch eine solche Regelung drohen, meint Heinen. Trotzdem sollte mit der Wirtschaft noch einmal darüber gesprochen werden. Bei der Auskunftspflicht während laufender Verfahren will die Union der SPD dagegen entgegenkommen: „Ich kann mir gut vorstellen, dass wir das wesentlich offener gestalten werden“, sagte Heinen. Mögliche juristische Wege würden derzeit geprüft.

Wenig Hoffnung scheint es jedoch für Seehofers Forderung nach einem Ausbau der staatlichen Lebensmittelkontrolle zu geben. Hier bahnt sich zwischen Bund und Ländern neuer Streit an. Der Minister hatte die Ländern aufgefordert, neue Kontrolleure einzustellen. Eine Umfrage des Tagesspiegels hat jedoch ergeben, dass nur die Kontrollbehörde in Baden-Württemberg wegen des Fleischskandals bis zu 76 neue Mitarbeiter beschäftigen will. Alle anderen Bundesländer bauen ihren Bestand nicht aus.

Verbraucherpolitikerin Heinen sieht die Länder in der Pflicht. „Die Länder sparen gerne an der Lebensmittelkontrolle, das ist ein Riesenproblem“, kritisiert Heinen. Es müssten nicht nur neue Leute eingestellt werden, die Kontrolle müsse auch effizienter gestaltet werden. „Haltbarkeitsdaten von Joghurt müssen nicht unbedingt von einem ausgebildeten Lebensmittelkontrolleur gecheckt werden“, sagt Heinen. Sie schlägt vor, dass Unternehmen schon während der Herstellung ihrer Produkte die Daten regelmäßig an die Lebensmittelkontrollbehörde weiterleiten. Am Donnerstag soll es ein Bund-Länder-Treffen geben, bei dem über die Lebensmittelkontrolle gesprochen werden soll. Seehofer nimmt nicht teil. Er hat anderes zu tun: Der Minister hält dann auf der Grünen Woche die Eröffnungsrede.

Mitarbeit: cow, otr, fge

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