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Wirtschaft: „Es muss ein minimales Vertrauen in gemeinsame Reformen geben“

Spieltheoretiker Ernst Fehr über die Gefahren einer großen Koalition

Herr Fehr, befindet sich die Wirtschaftspolitik wie in der Spieltheorie in einem Gefangenendilemma? Das heißt: Kommen die nötigen Reformen nicht voran, weil sich Regierung und Opposition gegenseitig blockieren?

Beide, SPD oder CDU, können schon seit langem der Versuchung nicht widerstehen, relativ destruktiv zu sein, wenn sie sich in der Opposition befinden. Auch wenn es um sinnvolle Projekte geht. Diese Versuchung entsteht, weil sich der Bundesrat parteipolitisch instrumentalisieren lässt. Eine starke Opposition kann eben über den Bundesrat viele Gesetzesvorhaben und Reformen blockieren.

Das spieltheoretische Problem liegt nun darin, dass die eine Seite nicht von der anderen weiß, was sie tatsächlich vorhat…

Es gibt noch ein gemeinsames Interesse der beiden Blöcke, die ja nicht nur kleine Gruppen, sondern große Bevölkerungsschichten des Landes vertreten. Schröder würde vermutlich bei der Reform des Arbeitsmarktes viel weiter gehen, als es weite Kreise der SPD zulassen. Und im Gesundheitswesen ist die CDUSpitze weiter, als es die Gesundheits-Lobby zulässt. Es geht jetzt darum, die festgefahrenen Interessensgruppen in die Schranken zu weisen.

Stören Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände den Reformprozess?

Diese beiden Spieler treten jeweils auch nicht geschlossen auf, sondern bündeln nur wiederum verschiedende Teilinteressen.

Gibt es einen Ausweg aus dem Gefangenendilemma?

Die Spieler können, anders als in der Theorie, miteinander sprechen und das Spiel wiederholen. Es hängt viel vom Vertrauen ab, das sie zueinander aufbauen. Wenn beide fürchten müssen, dass sie über den Tisch gezogen werden, dann kommt nichts dabei heraus. Es muss ein minimales Vertrauen in ein gemeinsames Reformprojekt geben.

Wie ist ihre Erfolgsprognose?

In der Spieltheorie gibt es bei wiederholten Spielen keine zuverlässigen Prognosen. Das heißt, es kann zu guten und zu schlechten Ergebnissen kommen.

Und in der Praxis?

Das Problem besteht darin, dass wir Reformen brauchen, die schmerzhaft sind für gewisse Interessengruppen. Eine schwache Regierung kann dies nicht allein bewältigen. Deshalb wird Schröder nichts anderes übrig bleiben, als auf die CDU zuzugehen.

Die Opposition hat Kooperationsbreitschaft signalisiert. Ist das klug, wenn sie ihre Wirtschaftspolitik durchsetzen will?

Politik hat sehr viel mit Darstellungskunst zu tun und weniger mit dem, was tatsächlich passiert. Für die CDU besteht die Gefahr, dass Schröder sich einen gemeinsamen Reformerfolg auf die eigenen Fahnen schreibt. Für die SPD besteht die Gefahr, dass die Opposition sagen kann: Wir haben die Reformen angestoßen. Es ist völlig offen, wie das beim Publikum ankommen wird.

Würde ein neuer Konsens nicht den Reformdruck zum Schein senken und schmerzhafte Einschnitte verhindern?

Der gesellschaftliche Konsens oder eine große Koalition könnten natürlich die Probleme unter den Teppich kehren. Aber in der derzeitigen Situation würde ich die Kooperation eher als Chance begreifen. Alle anderen Modelle haben ja versagt. Die Reformprojekte liegen auf dem Tisch.

Nämlich?

Im Gesundheitswesen muss die Regierung den starken Einfluss der Pharmaindustrie sowie der Ärzte und Krankenkassen zurückdrängen. Dazu braucht sie die Hilfe der Opposition. Auf dem Arbeitsmarkt brauchen wir einen Niedriglohnsektor, weil sonst Arbeitskräfte vom Markt ausgeschlossen bleiben. Im Prinzip wissen das ja auch alle. Deshalb besteht ein gewisser Anlass zur Hoffnung.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer.

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