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Kein Digital Native. Die mangelnde Vorbildung in puncto Internet empfindet EU-Kommissar Oettinger nicht als Problem.

© picture alliance / dpa

EU-Digitalkommissar Oettinger: „Ich werde meine Weckrufe fortführen“

Seit einem Jahr ist Günther Oettinger EU-Digitalkommissar. Im Interview spricht er über mehr Geld für den Breitbandausbau und die europäische Datenwolke.

Herr Oettinger, Sie sind seit einem Jahr der EU-Digitalkommissar. Wie geht es dem Jubilar denn nun damit?

Die Digitalisierung ist das entscheidende Thema, wenn Europa in Zukunft seine Wettbewerbsfähigkeit behalten und noch ausbauen will. Deswegen bearbeite ich dieses Thema mit voller Überzeugung.

Passend zum Jahrestag hat das Europaparlament gerade die hochumstrittenen neuen Regeln zur Netzneutralität beschlossen. Sind Sie nun der Herr über Europas Zwei-Klassen-Internet?

Im Gegenteil. Wir haben das Prinzip der Netzneutralität zum ersten Mal auf EU-Ebene gesetzlich festgeschrieben. Damit haben die Bürger erstmals einen Rechtsanspruch auf Gleichbehandlung. Wir lassen Spezialdienste zu, die strengen Kriterien genügen müssen. 

Die Kritik gründet auf der schwammigen Formulierung, was denn genau Spezialdienste sind, für die es käufliche Überholspuren auf der Datenautobahn geben kann, die sich kleinere Start-Ups potenziell nicht leisten können. Warum hat man nicht genauer formuliert?

Spezialdienste werden den Internet-Zugang von anderen Usern nicht beeinträchtigen. Unsere Verordnung verbietet das. 

Ausgerechnet Oettinger wird Digitalkommissar, hieß es. Sind Sie inzwischen im Amt angekommen?

Mich hat schon ein wenig gewundert, warum man mir ankreidet, dass ich kein Digital Native bin. Wenn ich mich auf der europäischen Ebene umschaue, ist keiner meiner Gesprächspartner auf Ministerebene mit einem Smartphone aufgewachsen. Und auch die für die digitale Agenda Deutschlands Zuständigen – ob nun Sigmar Gabriel, Thomas de Maizière oder Bildungsministerin Johanna Wanka – sind alle keine ausgewiesenen Nerds.

Begleitet Sie die Skepsis noch?

Klar gibt es ab und zu jemanden, der mir eine Fangfrage stellen oder meinen Kommentar zu einem neuen Aufsatz eines Netzgurus wissen will. Aber sonst fühle ich mich sehr wohl und spüre eine gute Resonanz. Erst kürzlich hat die EU-Kommission in Portugal einen Digitalkongress veranstaltet mit 7000 Teilnehmern aus aller Welt.

Es heißt, Sie hätten Probleme damit, dass Ihnen Andrus Ansip als digitaler Vizepräsident vor die Nase gesetzt wurde.

Ich habe kein Problem mit den neuen Strukturen der EU-Kommission. Ich versuche, mit meinem Kabinett und meiner Generaldirektion die Dinge voranzutreiben. Ich gebe die politische Richtung vor. Und ich gehe gern raus und versuche mit meinen Weckrufen zu erreichen, dass wir etwas gegen Europas digitale Unterlegenheit unternehmen. Ich glaube, dass es mir ganz gut gelingt, Europa für das Thema zu elektrisieren.

Für Kritiker sind Sie ein Ankündigungsweltmeister, Gesetze jedoch fehlten. Auch aus Deutschland hört man, von Ihnen müsse mehr zu „Industrie 4.0“ kommen.

Die Weckruf-Kampagne werde ich sicher fortführen. Wir müssen die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft, aber auch in den Gewerkschaften überzeugen, die Digitalisierung in ihren jeweiligen Bereichen zur Priorität zu erklären. Zum Schlagwort „Industrie 4.0“: Da geht es nicht um Gesetze, sondern in erster Linie um Standards und Forschungsprojekte zur Fabrik der Zukunft. Und ich habe im April auf der Hannover Messe damit begonnen, die bestehenden nationalen Netzwerke zu europäisieren: Wir diskutieren seither miteinander, welche europäischen Standards wir brauchen und wofür die Nationalstaaten zuständig sein werden.

Wann aber kommt denn ein digitaler EU-Binnenmarkt?

Wir fangen im Dezember an mit einem ersten Gesetzespaket zum Urheberrecht, bis Herbst des nächsten Jahres werden wir eine ganze Fülle weiterer Gesetzesvorschläge vorgelegt haben – etwa eine überarbeitete TV-Richtlinie, in der es auch darum geht, ob wir die Jugendschutzbeschränkungen des Fernsehens beispielsweise auf Youtube übertragen. Schneller geht es nicht, weil so etwas gut vorbereitet sein muss.

Beim Urheberrecht haben sie immer gesagt, es gehe um die richtige Balance zwischen den Ansprüchen der Internetnutzer und der Rechteinhaber. Haben Sie diese Balance mittlerweile gefunden?

Wir testen die Instrumente noch. Wir werten zum Beispiel aus, was das deutsche Leistungsschutzrecht gebracht hat oder wie sich der gescheiterte Gesetzentwurf in Spanien ausgewirkt hätte. Deshalb gibt es einen zweistufigen Prozess – erste Bausteine im Dezember, alles Weitere 2016.

Es verzögert sich also doch ein wenig. Gilt das auch für den Breitbandausbau oder die Initiative zur digitalen Weiterbildung?

Bei den digitalen Kompetenzen strebe ich eine Zielvereinbarung mit den Mitgliedstaaten an. Jeder von ihnen soll sich verpflichten, die Zahl der Studienplätze in Sachen IT zu erhöhen – entlang der Prognosen dazu, was für den Arbeitsmarkt 2020 und danach an Bedarf absehbar ist. Zudem treffe ich mich häufig mit Weiterbildungsträgern wie den Industrie- und Handelskammern oder den Gewerkschaften, die sich großflächig bereiterklärt haben, mehr digitale Angebote zu machen. Und dann ist da noch der EU-Investitionsfonds, der jetzt die Arbeit aufgenommen hat: Mein Ziel ist, dass wir den Fonds auch für digitale Zwecke nutzen – von der Forschung an Supercomputern bis zum Thema Breitband. Ob und in welcher Größenordnung wir dann noch Gelder freimachen können für die Kofinanzierung digitaler Weiterbildungsangebote für benachteiligte Jugendliche oder Arbeitslose, ist offen. Das hängt am EU-Haushalt.

Gerade beim Breitbandausbau steht bis zum Jahr 2020 statt erhoffter neun Milliarden Euro nur eine Milliarde zur Verfügung.

Damit kann man in der Fläche tatsächlich wenig machen. Nur Einzelprojekte. Jetzt kommt es eben darauf an, ob Junckers Investitionsplan für den Breitbandausbau greift – dann reicht das. Wenn es nicht klappt, werde ich bei der Überprüfung des mehrjährigen EU-Finanzrahmens im nächsten Jahr anregen, noch mehr Geld für den Breitbandausbau bereitzustellen. Denn alle sagen doch, dass wir den grenzüberschreitenden Netzausbau brauchen.

Ähnliche Bekenntnisse gibt es auch zur Datensicherheit. Was passiert wirklich?

Gesetzgeberisch sind wir auf der Zielgeraden, die erste EU-Gesetzgebung zur Datensicherheit zu verabschieden. Wir setzen damit gewisse Standards, führen Transparenz und Meldepflichten ein, wenn Unternehmen Opfer von Hackerangriffen oder Industriespionage geworden sind. Ich hoffe, dass wir bald zum Abschluss kommen – auch wenn einige Mitgliedstaaten damit noch Probleme haben. Sie betrachten die Datensicherheit ausschließlich als Frage der inneren Sicherheit und damit als rein nationalstaatliche Kompetenz. Ich bin aber zuversichtlich, dass sie am Ende doch einer europäischen Zuständigkeit zustimmen.

Müsste Europa nicht mehr tun? Ohne Datensicherheit wird es kein Vertrauen geben.

In einer Reihe von Forschungsprojekten, die wir aufgelegt haben, wird höchste Datensicherheit angestrebt. Und wir haben eine europäische Cloud-Computing-Initiative vorbereitet, die Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident François Hollande in Paris anregt. Das ist eine Art „Cloud-Airbus“ mit höchsten Ansprüchen in Sachen Cyber Security.

Was kann der Airbus für die Datenwolke?

Das ist ein Angebot an die Industrie, ihre sensiblen Daten in dieser Cloud zu speichern – als Alternative zu solchen Diensten in den Vereinigten Staaten, wo wir eben nicht genau wissen, was damit passiert. Im Hintergrund wirken dabei das Fraunhofer-Institut und andere als Träger mit. Das ist eine von der EU-Kommission moderierte Initiative – so wie einst Franz Josef Strauß die zersplitterte Luft- und Raumfahrtbranche zu einem europäischen Gemeinschaftsprojekt vereint hat.

DER KOMMISSAR 2010 wechselte der baden-württembergische Ex-Ministerpräsident nach Brüssel. Als Energiekommissar führte er nach dem GAU von Fukushima europaweite Stresstests für Atomkraftwerke ein. Die Ergebnisse waren genauso umstritten wie seine Reformideen für das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Deutschland. Allgemein anerkannt dagegen wurde seine Rolle in den Gasgesprächen zwischen Moskau und Kiew. Der neue EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker machte Oettinger nach der Nominierung durch die große Koalition 2014 zum Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft.

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