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Wirtschaft: EU erleichtert Eichel das Schuldenmachen

Deutschland verstößt schon wieder gegen den Stabilitätspakt. Doch die EU-Kommission will jetzt die strengen Regeln lockern

Von Antje Sirleschtov

Berlin - Deutschland wird in diesem Jahr noch mehr Schulden machen als ursprünglich geplant und damit zum dritten Mal in Folge gegen den europäischen Stabilitätspakt verstoßen. Zur Deckung ihrer Ausgaben werden sich Bund, Länder, Kommunen und die Sozialversicherungssysteme bis zum Jahresende voraussichtlich mit 3,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) verschulden müssen. Der Schuldenstand wird dann etwa 66 Prozent des BIP erreicht haben. Diese Zahlen meldete Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) am Dienstag der EU-Kommission in Brüssel. 2002 hatte das Staatsdefizit bei 3,5 Prozent, 2003 bei 3,9 Prozent gelegen.

Trotz des abermaligen Verstoßes gegen den Maastricht-Vertrag, der den Mitgliedsländern auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine Höchstgrenze der Verschuldung von drei Prozent des BIP vorschreibt, wird Deutschland wohl nicht mit einem Strafverfahren aus Brüssel und anschließenden Strafzahlungen von rund zehn Milliarden Euro rechnen müssen. Denn der neue EU-Währungskommissar Joaquín Almunia will an diesem Freitag den Stabilitätspakt lockern. Gelingt es Almunia, die Kommissare und dann auch die Mitgliedsländer von seinen Plänen zu überzeugen, dann wird in Zukunft die Bedeutung des Drei-Prozent- Kriteriums bei der Beurteilung der Haushaltsdisziplin eines EU-Landes geschmälert. Insbesondere Deutschland und Frankreich, die mit Strafzahlungen nach den geltenden Regelungen rechnen müssten, können sich dann auf die anstehenden Vertragsänderungen berufen, die der Ecofin-Rat der europäischen Finanzminister in den kommenden Monaten noch zu diskutieren hat.

Nach Almunias Plänen soll im Mittelpunkt der Beurteilung nicht mehr das Defizitkriterium, sondern weitere Faktoren, wie der Schuldenstand und die Reformen zum Abbau der Defizite, stehen. Wie es heißt, will Almunia weg von einer „mechanistischen“ hin zu einer „dynamischen“ Betrachtung des Paktes. Konkret heißt das, Länder, deren Wirtschaft sich in einer Stagnation befinden, dürfen das Drei-Prozent-Kriterium verfehlen, wenn sie nachweisen können, dass sie an der Strukturverbesserung ihrer Haushalte arbeiten. Solche Verbesserungen können etwa der Abbau von Subventionen oder Strukturreformen in den Sozialversicherungssystemen sein. Eine folgenlose Überschreitung des Kriteriums ist den Mitgliedsländern derzeit nur erlaubt, wenn sie sich in einer Rezession befinden.

Dass sich der Währungskommissar mit seiner Lockerung des Stabilitätspaktes am Ende der Woche innerhalb der Kommission durchsetzen wird, wird in Brüssel für wahrscheinlich gehalten. Dies umso mehr, seit der für Wirtschafts- und Währungsfragen zuständige deutsche EU-Generaldirektor Klaus Regling am Dienstag die Änderungen verteidigte. „Wir wollen lediglich Regeln aufstellen, die wirtschaftlich sinnvoll sind“, sagte Regling, der als Verfechter des bestehenden Maastricht-Vertrages gilt. „Der Stabilitätspakt wird durch die Veränderungen nicht generell geschwächt“, sagte Regling.

Eichel bezeichnete die Defizitquote für 2004 als ein Ergebnis der dreijährigen Stagnation der europäischen Wirtschaft. Er sagte, es sei der „richtige Weg“ der rot-grünen Regierung gewesen, den Sparkurs nicht weiter verschärft zu haben. Dadurch habe die Konjunktur an Fahrt gewinnen und der Aufschwung verfestigt werden können. Die erneute Überschreitung des Defizitkriteriums sei „ökonomisch sinnvoll und daher hinnehmbar“, sagte Eichel. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin rechnet in diesem Jahr sogar mit einer Defizitquote von 3,9 Prozent, für das kommende Jahr immer noch mit 3,3 Prozent.

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