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Janusz Lewandowski

© Reuters

EU-Haushaltskommissar Lewandowski: "Sparen alleine reicht nicht"

EU-Haushaltskommissar Janusz Lewandowski fordert ein Konjunkturprogramm und will Brüssels Apparat verkleinern.

Herr Kommissar, beim EU-Gipfel am Montag geht es um Wachstum und Beschäftigung – das Eingeständnis, dass es bisher zu einseitig ums Kürzen geht?
Das Paradigma der europäischen Wirtschaftspolitik ändert sich gerade. Bisher ist das Sparen die Mutter aller Politikentwürfe gewesen. Jetzt erkennen wir vor allem in Griechenland, Italien und Spanien, dass das nicht reicht. Der Fokus verschiebt sich also ein wenig Richtung Wachstum und Arbeitsplätze – gleichwohl gibt es in dem neuen Fiskalpakt nichts dazu.
In Polen sind Sie nicht eben als Keynesianer aufgefallen, haben als Minister Ihr Land nach dem Ende des Kommunismus quasi privatisiert. Nun sagen Sie, die öffentliche Hand solle Konjunkturimpulse setzen?
Sie haben Recht, ich bin kein Keynesianer, gehöre eher der liberalen Freiburger Schule an. Trotzdem sehe ich die Nachfragelücke, die durch das Kürzen der öffentlichen Ausgaben entstanden ist. Deswegen sehe ich den EU-Haushalt als ein Instrument, um diese Lücke zumindest teilweise mit unseren Strukturfonds zu schließen. Wir brauchen öffentliche Investitionen, um den Arbeitsmarkt zu beleben.
Die Strukturhilfe fließt seit Jahrzehnten. Ihre Wirksamkeit allerdings steht nach den Erfahrungen vor allem mit Griechenland, aber auch mit Italien und Spanien infrage.
Die Strukturfonds funktionieren. Mein Heimatland Polen hat eine lange Phase des Wachstums hinter sich, die sich ohne die EU-Mittel nicht erklären lässt. Aber ich weiß natürlich, dass es nicht überall so gut läuft. Das liefert den Euroskeptikern die Argumente frei Haus. Die Strukturfonds wirken aber in den Ländern, in denen sie klug und gezielt eingesetzt werden.
Wie das geht, wird den Griechen gerade von Brüsseler Kommissionsexperten vermittelt.
Viele Länder brauchen technische Hilfe, um das Geld abrufen zu können. Für Griechenland haben wir auch die sogenannte Kofinanzierungsrate verringert. Die Griechen müssen also weniger Geld selbst beisteuern, um an EU-Mittel zu kommen.
Viele Milliarden sind für EU-Projekte vorgesehen, die dann nie ausgezahlt werden.
Im EU-Haushalt stehen die eingegangenen Verpflichtungen und die tatsächlichen Zahlungen. Im Durchschnitte werden zwei Milliarden an alten Verpflichtungen gestrichen – das sind weniger als zwei Prozent des Gesamtvolumens, also nicht sehr viel.
Sie brauchen also mehr Geld, obwohl der Etatrahmen nie ausgeschöpft wird?
Wir haben gerade mit den Vorbereitungen für den Haushalt 2013 begonnen. Unter die Inflationsrate wird es nicht gehen, aber daran orientiere ich mich.
Damit werden sie wieder das Bild der unersättlichen Eurokraten bedienen.
Das böse Brüssel macht nur sechs Prozent des Haushalts aus, 94 Prozent des Etats fließen wieder in die Mitgliedstaaten oder in außenpolitische Projekte. Außerdem habe ich gerade alle EU-Institutionen dazu aufgerufen, weiter bei den Verwaltungskosten zu sparen – die sollen nächstes Jahr bei 5,6 Prozent liegen. Das ist wirklich wenig, aber trotzdem politisch heikel, denn ich bin mir des politischen Klimas in Europa natürlich sehr wohl bewusst.
Sie wollen also bei sich selbst sparen, um Europas Bürger milde zu stimmen?
In der EU-Kommission wollen wir nächstes Jahr das Personal um ein Prozent reduzieren. Und das ist gar nicht so leicht.
Warum?
Erstens ist im Lissabonvertrag mehr Europa vereinbart, zweitens haben wir den Beitritt Kroatiens, der uns 100 Millionen Euro im Jahr zusätzlich kostet. Das ohne höhere Verwaltungskosten und nur mit Umschichtungen hinbekommen zu wollen, macht mich hier im Haus nicht gerade populär. Und drittens braucht Währungskommissar Rehn neue Stellen – der reformierte Stabilitätspakt definiert viele neue Aufgaben für die EU-Kommission.
Heiß umkämpft ist auch das EU-Beamtenstatut mit seinen vielen Privilegien.
Das wird im Rahmen der nächsten Finanzperiode von 2014 bis 2020 geändert. Arbeitszeit und Pensionsalter der Beamten steigen dann. Die Zahl der Posten wird sinken, viele Privilegien fallen weg.
Welche Möglichkeiten haben Sie sonst, um den Etat konjunkturfördernd auszurichten?
Mein Vorschlag für die nächste Finanzierungsperiode sieht zum Beispiel ein Einfrieren des absoluten Betrages im Agrarbereich ein, damit wird ein größerer Anteil für Wachstumsbringer frei. Wir stecken damit statt bisher 50 künftig 80 Milliarden Euro in Forschung und Wirtschaft.
Die Staats- und Regierungschefs könnten am Montag festlegen, dass ein noch größerer Anteil des EU-Etats in diese Bereich fließt.
Wenn man Raum für Einschnitte sucht, würde ich wetten, dass es nicht im Agrarbereich stattfindet. Dazu kenne ich diese Verhandlungen einfach zu gut.
Sie wollen unabhängiger vom Gefeilsche der Mitgliedstaaten werden und über eigene Einnahmen – zum Beispiel aus der Finanztransaktionssteuer – verfügen. Die Reaktionen auf diesen Vorstoß waren vernichtend.
Ich muss das ja immer wieder sagen: Wir wollen nicht mehr Geld. Im Gegenzug würde die Überweisung von Herrn Schäuble aus Berlin kleiner ausfallen.
Apropos Berlin, dort hat Ihr Außenminister Radoslaw Sikorski vergangenes Jahr eine wohl historische Rede gehalten. Gehören Sie auch zu den Polen, die angesichts der großen Krise mehr die Untätigkeit Deutschlands als dessen Führungsanspruch fürchten?
Das war eine kopernikanische Wende im deutsch-polnischen Verhältnis. Aber es stimmt, was Sikorski sagt. Zwar kommt eine deutsche Führungsrolle im Ausland nicht immer gut an, genauso wenig der Führungsanspruch des Duos „Merkozy“. Dabei ist das Voranschreiten bei Reformen sehr, sehr wichtig. Ich bin dafür, die „deutschen“ Wirtschaftsstandards als allgemeine Standards in Europa zu übernehmen.

Das Gespräch führte Christopher Ziedler

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