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Wirtschaft: EU-Kommission zerrt Ministerrat vor Gericht

Deutschland und Frankreich machen mehr Schulden, als sie dürfen. Das will die EU-Behörde nicht hinnehmen

Brüssel/Berlin (fw/tog/uls/vis). Für ihre Klage gegen den Europäischen Rat hat die Europäische Kommission am Dienstag breite Unterstützung bekommen. „Die Klage der Kommission ist bitter notwendig“, sagte der ehemalige deutsche Finanzminister Theo Waigel (CSU) dem Tagesspiegel. Auch der niederländische Außenminister Bernard Bot äußerte Verständnis. Die Kommission müsse über die Einhaltung der Bestimmungen wachen. „Schließlich müssen sich die Staaten, die den Stabilitätspakt unterzeichnet haben, darauf verlassen können, dass er von allen eingehalten wird. Es geht hier um die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union“, sagte Bot dem Tagesspiegel.

Die EU-Kommission hat am Dienstag in Straßburg beschlossen, vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Klage gegen den EU-Ministerrat zu erheben. Mit diesem ungewöhnlichen Schritt will sie über die Auslegung des Euro-Stabilitätspakts juristische Klarheit schaffen. Die EU-Finanzminister hatten im vergangenen November auf Initiative von Deutschland und Frankreich dafür gestimmt, das Defizitverfahren gegen eben diese beiden Staaten auszusetzen. Damit wurde ein heftiger Konflikt zwischen den EU-Institutionen ausgelöst. Der Rat hatte damals die Vorschläge der EU-Kommission blockiert, die Deutschland und Frankreich mit zusätzlichen Sparauflagen zur Einhaltung des Stabilitätspaktes zwingen wollte.

Finanz-Staatsekretärin Barbara Hendricks erklärte, die Regierung bedauere die Klage. Europa befinde sich in einer schwierigen Phase wegen der gescheiterten Verfassung, sagte sie. In dieser Situation komme es sehr auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit des Ministerrats und der Kommission an. Die Rechtsauffassung der Bundesregierung bestehe unverändert fort. Finanzminister Hans Eichel (SPD) erklärte, die Beschlüsse des Ministerrates „entsprechen dem Geist und den Buchstaben“ des Paktes. Eine Klage der Kommission sei nicht nachvollziehbar.

Frankreich setzt unabhängig vom Gang eines Gerichtsverfahrens auf eine Reform des Stabilitätspaktes. Premierminister Jean-Pierre Raffarin wird am Mittwochabend mit EU-Kommissionspräsident Romano Prodi über den Stabilitätspakt sprechen. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland wird erwartet, dass das höchste Gericht der Union den Fall an die Streitparteien zurückverweisen wird.

Ex-Finanzminister Waigel sagte dem Tagesspiegel, der Ministerrat habe – auf Initiative Deutschlands – das Defizitverfahren komplett in Frage gestellt. Jetzt habe die Kommission kaum noch Handlungsmöglichkeiten – denn sie könne nun gegen die anderen Mitgliedstaaten auch kein Verfahren einleiten. Deswegen müsse der Vorfall jetzt geklärt werden. „Der Druck in der deutschen und europäischen Öffentlichkeit auf die Haushaltssünder wird jetzt steigen“, sagte Waigel.

Auch Ingolf Pernice, Direktor des Walter-Hallstein-Instituts für Europäisches Verfassungsrecht der Humboldt-Universität zu Berlin, unterstützte im Tagesspiegel die Klage: „Die Verletzung der Kriterien erscheint evident“, sagte Pernice. „Der leichtfertige Umgang der Regierungen in Deutschland und Frankreich mit dem Stabilitätspakt ist skandalös.“ Die entscheidende Frage für den EuGH sei nun, ob der Rat einen politischen Spielraum bei seinen Entscheidungen hat. „Sollte es einen politischen Entscheidungsspielraum geben – und sei er noch so klein –, dann dürfte der EuGH die Entscheidung des Rates nicht beanstanden“, sagte Pernice dem Tagesspiegel. „Der Gerichtshof will ungern als Besserwisser und Politikmacher dastehen. Das wird er nicht riskieren.“

Die Aussetzung des Verfahrens im November war politisch motiviert – denn tatsächlich konnten die EU-Finanzminister damals die Analyse der EU-Kommission nicht in Frage stellen, die übermäßige Haushaltsdefizite in Deutschland und Frankreich und damit den Bruch der Euro-Stabilitätsregeln drei Jahre in Folge feststellte. Auf Betreiben der Regierungen in Berlin und Paris weigerten sich die EU-Finanzminister aber, daraus die im Vertrag vorgesehenen Konsequenzen zu ziehen. Stattdessen billigten sie einen neuen Beschlusstext des Ministerrats, in dem die beiden Haushaltssünder ankündigten, ihre Schulden erst im Jahr 2005 freiwillig wieder unter die Obergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu drücken.

Die EU-Richter sollen den Fall nun im Eilverfahren in wenigen Monaten klären. Gleichzeitig arbeitet die Kommission an einer Reform des Euro-Stabilitätspakts.

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