zum Hauptinhalt

Wirtschaft: EU-Recht erweitert Verbraucherschutz

In manchen Situationen lassen sich offenbar besonders gut Geschäfte machen. Vertreter beispielsweise versuchen immer wieder an der Haustür ihre Angebote loszuwerden.

In manchen Situationen lassen sich offenbar besonders gut Geschäfte machen. Vertreter beispielsweise versuchen immer wieder an der Haustür ihre Angebote loszuwerden. Deshalb wurde bereits 1986 ein Gesetz eingeführt, das Haustürwiderrufsgesetz, das Verbrauchern einen Schutz vor unüberlegten Käufen bieten soll: Wer an der Tür einen Staubsauger oder ein Zeitschriften-Abonnement gekauft hat, kann seitdem von diesem Vertrag innerhalb von sieben Tagen zurücktreten. Diesen Schutzgedanken hat der Bundesgerichtshof in einem kürzlich ergangenen Urteil weiter ausgedehnt. Er hat entschieden, dass das Recht auf Widerruf auch für Immobiliengeschäfte gilt. Ein Kunde, der in seiner Wohnung zu einem Immobilienkredit überredet worden ist, darf den Kredit jederzeit, auch nach Jahren noch, widerrufen (Aktenzeichen: XI ZR 91 / 99).

Das Gericht gab Käufern einer Eigentumswohnung Recht, die ein Makler zu Hause aufgesucht und zum Kauf überredet hatte. Die Käufer nahmen gleichzeitig das später widerrufene Finanzierungsdarlehen auf, das ebenfalls durch den Makler vermittelt worden war. Das Widerrufsrecht beruht auf dem Haustürwiderrufsgesetz. Wäre darüber belehrt worden, so hätte das Widerrufsrecht sieben Tage betragen. Da eine solche Belehrung aber nicht erfolgte, ist das Recht zeitlich unbeschränkt ausübbar.

Den Weg zu diesem Urteil hatte eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 13. Dezember 2001 gewiesen. Der hatte es, nachdem er vom Bundesgerichtshof in dieser Frage angerufen worden war, mit Europäischen Recht für unvereinbar erklärt, wenn ein Widerrufsrecht in der beschriebenen Situation nicht bestünde. Auch dürfe das Widerrufsrecht nicht zeitlich beschränkt werden, wenn darüber nicht ausdrücklich belehrt worden sei.

Oft überteuert

Die Brisanz des Urteils liegt auf der Hand. So oder ähnlich wie der entschiedene Fall sind viele Fälle gelagert, möglicherweise Hunderttausende. In den neunziger Jahren haben Vermittler scharenweise vor allem in Ostdeutschland gelegene Wohnungen als Steuersparmodelle verkauft. Die Kredite wurden gleich mitvermittelt. Schlagendes Verkaufsargument war, dass die Wohnungen sich durch Steuervorteile und Mieteinnahmen gewissermaßen von selbst trügen. Oft stellte sich aber heraus, dass die Wohnungen überteuert waren. Die erwarteten Mieten wurden häufig nicht erzielt und der Verbraucher war infolgedessen mit einem Kredit belastet, der ihm letztlich nur eine wertlose Eigentumswohnung einbrachte. Für viele dieser Verbraucher sind die Kredite nun ruinös.

Die weiteren Folgen des Urteils sind noch nicht abzuschätzen, denn der Bundesgerichtshof hatte nur über die Widerrufsmöglichkeit zu entscheiden. Noch fraglich, aber fast noch wichtiger ist die Rechtsfolge des Widerrufs. Hier gibt es zwei Szenarien:

Reduziert man den Fall allein auf das Kreditgeschäft, so ist bei einem Widerruf das Kreditgeschäft rückabzuwickeln. Die Bank muss dem Kunden die geleistete Tilgung zuzüglich der geleisteten Zinsen zurückzahlen. Der Kunde muss das Darlehen zurückzahlen, marktüblich verzinst. Die Bank kann allerdings mit ihren Forderungen gegen die Rückzahlungsansprüche aufrechnen. Der Kunde, der das Darlehen auf die häufig nicht werthaltige Immobilie verwendet hat, hat dann durch den Widerruf allenfalls einen geringen Zinsvorteil.

Ganz anders stellt sich der Fall aber dar, wenn die Rechtssprechung den Verkauf der Immobilie als ein mit der Finanzierung verbundenes - wirtschaftlich einheitliches - Geschäft ansieht. Der Verbraucher kann dann die aufgewandten Zinsen zurückverlangen, muss aber das Darlehen nicht zurückzahlen. Der Bank bleibt nur die - in diesen Fällen oft nicht werthaltige - Immobilie. Die Darlehensrückzahlung kann das Geldinstitut allenfalls vom Verkäufer der Immobilie beanspruchen.

Börse reagierte prompt

Dass die beteiligten Banken dann beträchtlichen Ausfallrisiken ins Auge sehen müssten, liegt auf der Hand. Viele der Verkäufer der Immobilien sind nicht mehr greifbar oder jedenfalls nicht solvent genug, die Forderungen zu befriedigen. Die Banken argumentieren, es handele sich bei Kauf und Darlehen um zwei getrennte Verträge: Es sei auch für den Laien klar, dass Bank und Immobilienverkäufer verschiedene Personen seien. Am stärksten betroffen ist die Bayerische Hypobank, die jetzt in der Hypovereinsbank aufgegangen ist. Die Börse reagierte prompt. Als das Urteil bekannt gegeben wurde, sank der Kurs der Bank-Aktie um fast vier Prozent.

Der Bundesgerichtshof hat angedeutet, dass man hier ein verbundenes Geschäft nicht ohne weiteres annehmen wolle. Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen. So haben die Oberlandesgerichte Frankfurt am Main und Koblenz in jüngster Zeit in ähnlichen Konstellationen verbundene Geschäfte angenommen. Auch der Bundesgerichtshof hat 1996 in einem Fall, in dem es um den Erwerb von Gesellschaftsanteilen ging, zugunsten eines Verbrauchers entschieden. Der Schutzzweck des Haustürwiderrufsgesetzes, so der Bundesgerichtshof damals, sei nur zu erreichen, wenn der Verbraucher nicht fürchten müsse, bei einem Widerruf sofort das Darlehen zurückzahlen zu müssen.

Jan Becher

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false