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Wer den Weizen schon vor der Ernte verkauft, macht oft mehr Gewinn. Spekulanten wetten auf die Preise.

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EU reguliert Agrarspekulationen: Mit Essen spielt man nicht

Wer seinen Weizen schon vor der Ernte verkauft, erzielt oft bessere Preise. Spekulanten wetten auf die Preisentwicklung - mit Folgen für die Nahrungsmittelpreise. Die EU will das Geschachere nun eindämmen. Doch die Regelungen sind umstritten.

Von Carla Neuhaus

Mathias Jung muss sich entscheiden. Soll er schon jetzt den Weizen verkaufen, den er im Sommer ernten wird? „Noch warten wir ab“, sagt er. Jung ist Betriebsleiter bei Agrofarm in Nauen. Die Firma mit 20 Mitarbeitern baut auf den Feldern Brandenburgs Getreide, Raps, Mais und Zuckerrüben an. Jung steht jedes Jahr vor dem gleichen Dilemma: Wird das Wetter zu nass, zu warm, genau richtig? Wie viel Weizen wird im Sommer auf den Markt kommen? Um nicht böse überrascht zu werden, einigt er sich bereits jetzt im Winter mit Großhändlern auf den Preis für seinen Weizen. „Wir sichern uns ab“, sagt Jung. Doch auch die Großhändler wollen das Risiko nicht tragen. Sie geben es an Finanzinvestoren weiter. Und die wetten darauf, dass die Preise für Jungs Weizen steigen – oder fallen.

10,5 Milliarden Umsatz mit Agrarspekulationen

Es geht um ein großes Geschäft. Laut der Hilfsorganisation Oxfam verwalten allein die Allianz und die Deutsche Bank zusammen Finanzprodukte, mit denen Anleger auf Agrarpreise setzen, im Wert von 10,5 Milliarden Euro. Kritiker warnen, dass der Handel mit diesen Finanzprodukten Preisexplosionen von Grundnahrungsmitteln verschärft – dass sie mitverantwortlich für die Hungersnöte auf der Welt sind. Glaubt man Nichtregierungsorganisationen wie Foodwatch oder Oxfam gibt es gute und schlechte Spekulanten. Zu den Guten gehören Landwirte wie Jung. Zu den schlechten gehören Händler, die für Banken, Versicherungen oder Hedgefonds Geschäfte mit Weizen, Soja oder Reis machen. „Mit Essen spielt man nicht“, rufen die Aktivisten.

Jetzt wollen die EU-Staaten die Spekulation mit Nahrungsmitteln eindämmen. Unterhändler von EU-Kommission, Mitgliedsländern und Europaparlament haben sich in dieser Woche auf eine Neufassung der EU-Finanzmarktrichtlinie (Mifid) geeinigt. Um Spekulanten abzuschrecken, soll es künftig an den Warenterminbörsen Obergrenzen für den Handel mit Rohstoffen und Lebensmitteln geben.

„Dies ist ein entscheidender Schritt im Kampf gegen exzessive Nahrungsmittelspekulationen“, sagt Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Die Preise, die der Verbraucher am Ende zahlt, würden auf diese Weise stabilisiert. Gleichzeitig hätten Landwirte wie Jung weiterhin die Möglichkeit, sich gegen Preisschwankungen abzusichern. Auch Frank Braßel von der Hilfsorganisation Oxfam sagt, die Regeln seien ein Fortschritt – schon allein deshalb weil der Markt für diese Finanzprodukte bislang gar nicht reguliert worden sei.

Neue Regeln sind umstritten

Ob die neuen Regeln aber wirklich etwas bringen ist fraglich. „Eigentlich hätte man sich global einigen müssen“, sagt Braßel. Zum einen können Europäer per Mausklick längst alternativ an den Börsen in New York oder Shanghai handeln. Zum anderen stammt manch ein Produkt, das in Deutschland vertrieben wird, aus dem Ausland. So wird einer der größten Rohstoff-Fonds, der „Pimco Commodity Real Return Strategy Fund“, hierzulande von der Allianz beworben – aufgelegt hat ihn dagegen die amerikanische Tochterfirma Pimco.

Thilo Bode, Geschäftsführer von Foodwatch kritisiert die Regeln als wirkungslos. Ihn stört vor allem, dass jedes Land über die genaue Höhe der Limits für Agrarspekulationen selbst entscheiden kann. „Dadurch wird der Handel künftig einfach dort stattfinden, wo die Vorschriften besonders lax sind“, sagt er. „Es wird zum Wettbewerb um die geringsten Standards kommen.“ Etwas gebracht hätte es nur, wenn die europäische Wertpapieraufsicht Esma Limits für die gesamte Union vorgegeben hätte.

Einige Banken sind aus Geschäft ausgestiegen

Überhaupt ist umstritten, wie sich die Spekulation mit Agrarrohstoffen auf die Preise von Nahrungsmitteln auswirkt. Gegener und Befürworter legen seit Jahren immer wieder neue Studien vor – nachweisen konnten ihre Sicht bislang weder die einen noch die anderen. Viele Banken sind sicherheitshalber aus dem Markt ausgestiegen, zum Beispiel die Commerzbank, die Dekabank, die DZ-Bank oder die Berliner Sparkasse.

Doch die Großen der Branche, Deutsche Bank und Allianz, machen weiter. Wissenschaftler Thomas Glauben findet das richtig. „Es gibt keine belastbare Evidenz, dass Indexfonds die Preise auf den realen Märkten treiben“, sagt er. Der Leiter des Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien führt zusammen mit dem Wirtschaftsethiker Ingo Pies eine Gruppe von Ökonomen an, die seit Jahren die Agrarspekulation verteidigt.

„An Preisspitzen sind nicht die Spekulanten schuld“, sagt Glauben. Dass die Nahrungspreise zum Beispiel 2008 so rasant gestiegen seien, habe vor allem am schlechtem Wetter, an leeren Getreidelagern und an der Abwertung des Dollars gelegen. „Selbst wenn Preise auf Finanzmärkten steigen, heißt das noch nicht, dass sie auf die Haushalte in den armen Ländern übertragen werden“, sagt Glauben. Probleme wie schlechte Regierungsführung, Korruption, geringe Bildung und schlechte Infrastruktur führten nämlich dazu, dass viele Menschen in Entwicklungsstaaten gar keinen Zugang zu Weltmarkt-Produkten hätten.

Im Winter 250 Euro pro Tonne Weizen, im Sommer nur 160 Euro

Diese unterschiedlichen Meinungen zeigen: Das Thema ist längst nicht ausdiskutiert. Die Deutsche Bank will sich der Kritik jetzt stellen und hat versprochen, noch in diesem Jahr Vertreter aus Politik, Landwirtschaft und Nichtregierungsorganisationen an einen Tisch zu bringen. Von einer „Konferenz“, die Co-Chef Fitschen noch im Dezember in einem Zeitungsinterview versprochen hatte, will ein Banksprecher aber heute nichts mehr wissen. Richtig sei, dass es lediglich um einen „Meinungsaustausch“ gehe, sagt er. Ein Datum gebe es auch noch nicht.

Immerhin: Für Landwirt Mathias Jung ist die Rechnung zuletzt aufgegangen. „2013 war ein gutes Jahr für uns“, sagt er. Anfang vergangen Jahres hatte er sich mit dem Großhändler auf einen Preis von 250 Euro je Tonne Weizen geeinigt. Die richtige Entscheidung: Hätte er nämlich bis zum Sommer gewartet, hätte er nur noch 160 Euro je Tonne bekommen.

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