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Wirtschaft: Euro: "Europa steht am Scheideweg"

Leonhard Fischer (37) ist Vorstandsmitglied der Dresdner Bank. Er trägt die Verantwortung für den Bereich Investmentbanking.

Leonhard Fischer (37) ist Vorstandsmitglied der Dresdner Bank. Er trägt die Verantwortung für den Bereich Investmentbanking. Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften in Bielefeld und Georgia (USA) arbeitete Fischer lange beim US-Investmenthaus J.P. Morgan - zunächst in New York, später als Managing Director in der Geschäftsleitung der deutschen Dependance. 1995 wechselte der Investmentbanker zur Dresdner Bank nach Frankfurt. 1998 wurde Fischer zunächst zum Generalbevollmächtigten des Instituts ernannt, mit 35 Jahren stieg er dann 1998 zum jüngsten (stellvertretenden) Vorstandsmitglied der Dresdner Bank auf. Ein Jahr später wurde er zum ordentlichen Mitglied des Vorstands berufen. Fischer gilt als starker Mann hinter dem neuen Vorstandschef der Dresdner Bank, Bernd Fahrholz.

Herr Fischer, warum ist der Euro so schwach?

Weil Europa keine überzeugende Wachstumsstory hat. Die internationalen Anleger glauben im Moment, dass US-Wertpapiere, insbesondere Aktien, immer noch eine höhere Rendite abwerfen werden als europäische - obwohl der Dollar so stark ist und obwohl die amerikanischen Börsen schon so hoch bewertet sind. Solange die Kapitalmärkte der Auffassung sind, dass Eigenkapitalinvestitionen in den USA in den nächsten zehn bis 20 Jahren eine höhere Rendite erwirtschaften als in Europa, so lange bleibt der Euro schwach. Das Paradoxe ist: Eigentlich müssten sich die Amerikaner um die zumal bei dem hohen Dollar-Kurs niedriger bewerteten europäische Aktien reißen?

Warum tun sie es nicht?

Europa ist derzeit nicht besonders spannend. Die Kapitalmärkte sagen ja nicht, dass Europa schlecht ist, aber es ist eben nicht gut genug. Es fehlt eine überzeugende Wachstumsgeschichte. Europa muss die Märkte davon überzeugen, dass es ein höheres oder zumindest gleich hohes Wachstum wie die USA erreichen kann. Und zwar nicht nur nächstes Jahr, sondern über die nächsten zehn Jahre.

Dann dauert es noch zehn Jahre, bis der Euro auf die Füße kommt?

Nein. Es ist nur eine Frage der Überzeugung. Sobald die Märkte anfangen zu glauben, dass es diese Perspektive gibt, dreht sich die Stimmung. Ich glaube, Europa wird der große Überraschungserfolg sein.

Sie bleiben also bei Ihrer Prognose, dass das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhundert ein europäisches sein kann?

Ja, ich bleibe bei dieser Prognose, aber Europa ist an einem Scheideweg. Die Frage, was wir in zehn Jahren erreicht haben, ist völlig offen. Und ob der Euro heute fällt oder steigt, hat dafür keine Bedeutung. Europa hat sich für den Euro entschieden, aber noch nicht, welchen politisch-institutionellen Rahmen es dem Währungsraum geben will. Werden es die Vereinigten Staaten von Europa sein mit einer eigenen Verfassung, Legislative und Exekutive? Oder ist das Ziel ein Verbund mit Nationalstaaten, die nur einen Teil ihrer Souveränität abgeben?Zurzeit ist nicht klar, wofür Europa eigentlich steht.

Spricht der Erfolg des amerikanischen Modells nicht für sich?

Beide Modelle haben Vorteile. Es wird sicher nicht gelingen, Amerika zu kopieren, weil eine Kopie nie so gut ist wie das Original. Der Staatenverbund kann nur überzeugen, wenn er mehr ist als eine Art Uno. Er muss auch entscheidungsfähige, effizient arbeitende Institutionen haben.

Muss es den Anleger, der sich die Unternehmen anschaut, interessieren, welches politische System dazu gehört?

Ja, denn der Markt braucht Regeln. Das Beispiel USA zeigt auch hier: Institutionen wie etwa die Fed und die stabilen politischen Strukturen der USA sind aus Sicht des Marktes hoch bewertete Größen. Europa befindet sich dagegen noch mitten in der Entwicklung. Die Einschätzung einer Währung ist eben nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine politische Frage. Darum müssen die Europäer auch die Frage nach der politischen Perspektive Europas beantworten.

Im Moment sieht es so aus, als sei die Globalisierung eine Angelegenheit der Amerikaner.

Die Anleger interpretieren die Globalisierung als Siegeszug des "american way of life" in jeder Beziehung, kulturell, ökonomisch sozial. Das Geld geht also in die USA. Die offene Frage für Europa ist, ob die globalisierte Welt ein multinationales oder eine unilaterales Modell nach dem Vorbild der USA sein wird. Im Moment sieht es in der Tat so aus, als komme die Globalisierung einer Amerikanisierung der Welt gleich.

Glauben Sie, dass die Märkte da etwas falsch machen und das Potenzial Europas unterschätzen?

Wir alle machen den Fehler, Entwicklungen linear in die Zukunft fortzuschreiben, obwohl wir wissen, dass Geschichte niemals linear verläuft. In der Realität finden ständig Strukturbrüche statt. Denken Sie nur an die Situation in den USA Anfang der 90er Jahre. Kaum einer wollte sein Geld auf Amerika setzen. Das Bankensystem war in einer schwierigen Phase, das japanische Modell schien seine Stärken auszuspielen und Europa profitierte vom Fall der Mauer und der Wiedervereinigung Deutschlands. All diese Dinge haben dazu geführt, dass der Dollar 1995 bei 1,34 Mark stand. Damals konnte sich keiner vorstellen, dass sich Amerika erholen würde. Und trotzdem ist das Gegenteil eingetreten.

Kann Europa vom Comeback der USA lernen?

Ja, wir können daraus lernen, dass es keine auf Dauer garantierten Marktpositionen gibt - weder für Unternehmen, noch für Nationen. Das Beispiel USA zeigt, dass die Amerikaner ihre Schwächen erkannt haben und ihr Modell entsprechend umgebaut haben.

Was ist die Schwäche Europas? Welche Umbauten sind nötig?

Lassen Sie mich mit den Stärken beginnen. Europa müsste viel mehr als bisher von seiner enormen Vielfalt profitieren. Amerika ist ein Schmelztiegel. Das ist aber etwas anderes als das unmittelbare Nebeneinander der Kulturen in Europa. Meine Vision von der New Economy ist, dass wir diese europäische Vielfalt kreativ nutzen und zu einem Wettbewerbsvorteil machen können. Die New Economy wird nicht für kulturelle Homogenität stehen, sondern für kulturelle und ökonomische Vielfalt. Eine der Stärken des amerikanischen Wirtschaftsmodells, nämlich die Standardisierung von Waren und Dienstleistungen, wird weniger Gewicht als in den vergangenen 30 bis 40 Jahren haben. Die neue technologische Revolution des Internets führt dazu, dass es weniger normierte Prozesse gibt. Die Vielfalt nimmt zu, ohne dass die Preise steigen. Und Vielfalt ist eine Stärke Europas.

Und die Schwächen?

Wir stehen in Europa erst am Anfang des Prozesses der Deregulierung, die Strukturen waren zu lange rigide und öffnen sich aus Sicht der Märkte auch nicht schnell genug. Grundsätzlich gilt: Die Europäer müssen noch mehr aus ihrer Vielfalt machen. Sie sollten sich von den Amerikanern vor allem eines abschauen: ihren Optimismus. Das Glas ist nicht halb leer, sondern halb voll.

Kann Europa die USA als treibende Kraft der Globalisierung ablösen?

Europa kann eine Vorbildfunktion übernehmen. Es ist ja vermessen, von einer Globalisierung zu sprechen, obwohl nur ein Viertel der Weltbevölkerung davon profitiert. Die Globalisierung wird nur dann ein Erfolg, wenn sie ihre Basis verbreitert und kulturelle und nationale Unterschiede mit einbezogen werden. Das multinationale Modell Europas könnte exemplarischen Charakter für viele Regionen der Welt haben. Die Europäer könnten zum ersten Mal ein politisches System installieren, das dem Modell der vernetzten Wirtschaft entspricht und die ökonomischen Prozesse angemessen flankiert, es darf jedoch kein bürokratisches sein.

In dieser Woche beginnt in Prag die Herbsttagung von IWF und Weltbank. Reichen diese multinationalen Institutionen nicht aus, um die internationalen Abstimmungsprozesse zu koordinieren?

Auch IWF und Weltbank stehen vor großen Herausforderungen. In seinen heutigen Struktruren reichen IWF und Weltbank nicht aus. Es geht mir aber nicht um Kapitalverkehrskontrollen. Ich glaube nur nicht, dass wir ganz ohne leistungsfähige, supranationale Institutionen in einer immer globaleren und vernetzten Welt der internationalen Finanzmärkte auskommen. Märkte funktionieren nur, wenn sie in ein effizientes infrastrukturelles Regularium eingebettets sind. Wer legt die Spielregeln für die globale Welt fest? Wer entscheidet in der Krise? Die Frage ist, haben wir schon die Mechanismen, die der weltweit vernetzten ökonomischen Wirklichkeit entsprechen? Ich meine, nein.

Was wird die Wende für Europa bringen?

Auch wenn wir im Moment noch unter dem Führungsanspruch der Amerikaner stöhnen, so können wir ihnen doch nicht vorwerfen, sie hätten uns zu etwas gezwungen. Ihre Macht ist nicht das Ergebnis von Unterdrückung, sondern allein das Ergebnis ihres Erfolges.

Wie steht es denn um die Erfolgschancen des europäischen Modells?

Europa wird jedenfalls keine Vorschusslorbeeren für das bereits Erreichte ernten. Die Investoren wollen sichtbare Zeichen des Erfolgs sehen. Sie haben die USA lange falsch beurteilt, heute überschätzen sie sie möglicherweise, und Europa wird eindeutig unterschätzt. Insofern hinken die Märkte hinterher.

Das sagt ein Banker, der üblicherweise erklärt, dass der Kapitalmarkt Entwicklungen vorwegnimmt?

Ja. Den grundlegenden ökonomischen Entwicklungen hinken auch die Märkte manchmal hinterher. Die Märkte sind eben nicht perfekt. Aber sie lernen schneller, und sie sind ständig auf der Suche. Das macht sie so stark. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Märkte auch Europa finden werden.

Was müssen wir tun?

Die Regierungen müssen sich noch viel stärker um die Deregulierung und Liberalisierung der Märkte kümmern, und vor allem den Einfluss des Staates auf die Investitionslenkung reduzieren. Da liegt nur ein Teil des Weges hinter uns. Wir sollten uns bei einem Wirtschaftswachstum von drei Prozent nicht noch auf die Schulter klopfen. Die Amerikaner bezeichnen drei Prozent als "sanfte Landung" der Konjunktur. Vier oder fünf Prozent Realwachstum für die kommenden Jahre - das muss unser Ziel sein.

Können wir uns bei diesem Ziel noch ein eigenes europäisches Sozialsystem leisten?

Aus dieser Frage wird umgekehrt ein Schuh: Nur bei einem so hohen Wirtschaftswachstum können wir uns überhaupt ein eigenes Sozialsystem leisten. Ein vernüftiges und maßvolles Sozialsystem wird Wirtschaftswachstum nicht automatisch behindern. Im Gegenteil: Ich glaube, es ist eine falsche Vorstellung von Globalisierung, dass die Welt nach einheitlichen Regeln und Strukturen funktionieren wird. Die kulturellen Unterschiede, die auch einen unterschiedlichen Konsens in sozialen Fragen beinhalten, behalten auch in der Zukunft eine große Bedeutung. Die Globalisierung wird nicht dazu führen, dass wir alle nach einem Maßstab wirtschaften und leben. Aber sie wird uns dazu zwingen, unseren eigenen Weg effizient und flexibel zu gehen. Alles andere wäre eine öde Welt.

Herr Fischer[warum ist der Euro so schwach?]

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