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Monster, Schädel, Hahnenkampf: Bunte Graffiti-Kunstwerke zierenden den Bauzaun vor dem Neubau der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main.

© dpa

Eurokrise: Staatsgeheimnis Bankenrettung

Rettet Deutschland wirklich Spanien, Irland und die anderen Krisenländer? Eine Recherchereise durch Europa offenbart: Die vielen Milliarden an Steuergeldern schützen vor allem wohlhabende Anleger vor Verlusten – meist sind es Deutsche. Die Regierungen und Zentralbanker wollen das am liebsten verschleiern.

Eine Kirche, gut zwei Dutzend Häuser und eine Tankstelle; das irische Dorf Ballyhea hat wenig zu bieten. Doch hier, in den grünen Hügeln bei Cork rund 240 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Dublin, schlägt das Herz des irischen Widerstands. Jeden Sonntag gegen zwölf, gleich nach der Messe, versammeln sich je nach Wetterlage 30 bis 300 Menschen auf der Durchgangsstraße. Großeltern, Eltern und Kinder, Bauern, Handwerker und Angestellte: Für eine halbe Stunde halten die Demonstranten den Verkehr auf – und wollen so die Mächtigen der Euro-Zone zur Umkehr bewegen. Dafür marschieren sie Woche für Woche 500 Meter die Straße hinunter und wieder zurück.

Zwei Jahre geht das schon. 103 Mal hat die Sonntagsdemo stattgefunden. Und noch immer steht „Ballyhea says No to bondholder bail-out!“ auf dem Schild, das die Aktivisten vorneweg tragen. „Nein zum Freikauf der Anleihebesitzer“ heißt das – eine Parole, die in deutschen Ohren skurril klingt. Aber in Irland gibt es kein wichtigeres Thema.

Monat für Monat zahlen die sechs verstaatlichten Banken des Landes dreistellige Millionenbeträge, um fällige Anleihen zu bedienen und deren zumeist ausländische Besitzer auszuzahlen, das meiste davon auf Kosten der Steuerzahler. „Irland blutet aus“, sagt der parteilose irische Parlamentarier Stephen Donnelly, der auch zuweilen in Ballyhea mitläuft, „das muss aufhören.“

Mehr als 70 Milliarden Euro zusätzlicher Schulden hat der irische Staat seit 2008 schon machen müssen, um die im Boom aufgeblähten Banken zahlungsfähig zu halten – eine Summe, die angepasst an die volkswirtschaftliche Größe in Deutschland mehr als eine Billion ausmachen würde. Gleichzeitig kürzte die Regierung radikal die Ausgaben, vor allem zulasten der Schwächeren, und die jungen Leute verlieren die Hoffnung. Jede Woche verlassen mehr als 1000 Menschen das Land Richtung Übersee, die größte Auswanderungswelle seit der Hungersnot im 19. Jahrhundert.

„Die Menschen leiden, es ist schrecklich“, klagt die Rentnerin Frances O’Brien, Aktivistin der ersten Stunde aus Ballyhea. „Und das nur, weil wir Europas Bankensystem retten mussten, ihr müsst uns jetzt helfen“, fordert sie. Doch haben nicht die Deutschen und andere Euro-Staaten Irland vor der Pleite gerettet? O’Brien stutzt. „Nein, wir zahlen für eure Banken“, schleudert sie dem Besucher entgegen. „Wir haben euch gerettet, sag das den Deutschen!“

In wenigen Sätzen beschreibt die kämpferische alte Dame so das dunkelste Kapitel der Euro-Krise: Den bedingungslosen Freikauf der Gläubiger von überschuldeten Banken zulasten der Steuerzahler. Schon in mindestens 52 Fällen haben Europas Regierungen von Insolvenz bedrohte Banken mit Staatsgeld gestützt und deren Kreditgeber so vor Verlusten bewahrt. Aber nicht alle Staaten konnten sich das auch leisten. Darum mussten sich Irland, Spanien, Griechenland und Portugal gut 150 Milliarden Euro beim Rettungsfonds der Euro-Zone und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) leihen, um insolvente Banken zahlungsfähig zu halten. In Zypern soll demnächst ein Notkredit über noch einmal bis zu zehn Milliarden Euro dem gleichen Zweck dienen.

Doch wohin fließt dieses Geld? Wer sind die Gläubiger, die ausbezahlt werden, und warum müssen sie nirgendwo selbst die Verluste aus ihren Fehlinvestitionen tragen, so wie es sonst bei jedem anderen Pleiteunternehmen üblich ist?

Wer mit diesen Fragen durch Europa reist, der macht erstaunliche Erfahrungen. Beteiligte Banker in London sagen vereinbarte Termine unter falschen Vorwänden kurzfristig ab. Aufsichtsbehörden von Dublin bis Athen erklären sich für nicht zuständig. Selbst Fachleute ohne direkte Verantwortung sprechen aus Angst, ihren Job zu verlieren, nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Und gleich, ob bei den Finanzministern in Irland, Spanien oder Deutschland, ob bei der EU-Kommission in Brüssel oder der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt: Als handele es sich um ein Staatsgeheimnis, verweigern alle Verantwortlichen die konkrete Auskunft.

Die Identität der „bondholder“ sei „nicht zu ermitteln“, behauptet Irlands Finanzminister Michael Noonan. Dies sei „keine wichtige Information“, meint sein spanischer Amtskollege Luis de Guindos. Dabei handele es sich um „Geschäftsgeheimnisse“, konstatiert EZB-Direktor Jörg Asmussen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hält schon die Frage für abwegig und erklärt dem Fragesteller, die Banken seien nun mal „sehr miteinander verflochten“. Und „wenn eine Bank nicht mehr zahlungsfähig“ sei, dann löse das „Zweifel aus, ob die nächste Bank noch zahlungsfähig ist“ Darum müsse verhindert werden, dass „durch den Zusammenbruch eines Instituts der gesamte Bereich“ zusammenbreche.

Das klingt einfach. Zu einfach. Denn es verbirgt, welche Interessen diese Politik bedient. Und die Folgen sind verhängnisvoll. Kein Land hat das härter getroffen als Irland.

Unter dem Druck des Protests sucht der Finanzminister die Flucht nach vorn

Dublin, im November 2010. Unter höchster Anspannung verhandeln der damalige Regierungschef Brian Cowen und sein Finanzminister Brian Lenihan mit der als „Troika“ bezeichneten Delegation von EU-Kommission, EZB und Internationalem Währungsfonds (IWF) über einen Notkredit. Weil Anleger eine Staatspleite fürchten, muss die Staatskasse für neue Schuldtitel unbezahlbare acht Prozent Zins bieten, der Regierung droht die Zahlungsunfähigkeit.

Dabei zählte Irland noch bis 2007 zu den Ländern mit dem niedrigsten Schuldenstand in der Euro-Zone. Doch die Währungsunion hatte einen gefährlichen Segen beschert. Mit dem Zugang zum Euro-Markt fielen die Kreditzinsen unter die Inflationsrate und boten die Möglichkeit, auf Pump zu bauen und zu investieren. Allein die deutschen Banken schleusten in den drei Jahren nach 2005 mehr als 100 Milliarden Euro nach Irland, so viel wie zwei Drittel einer Jahreswirtschaftsleistung des kleinen Landes (siehe Grafik). Mit dem geliehenen Geld befeuerten die sechs irischen Banken einen Immobilienboom, der selbst jenen in den USA noch übertraf.

Nach dem Crash im September 2008 kam der Geldstrom jedoch abrupt zum Erliegen, während die Immobilienpreise fielen und immer mehr Kredite faul wurden. Plötzlich konnte die Anglo Irish Bank, die besonders aggressiv expandiert war, ihre auslaufenden Anleihen nicht mehr bedienen, Cowens Regierung geriet in Panik. Ohne zu ahnen, um wie viel Geld es geht, erteilte sie für zwei Jahre eine Garantie für alle Schulden irischer Banken.

Im Herbst 2010 nun droht diese Zahlungspflicht für die mittlerweile verstaatlichten Banken, die irische Staatskasse zu sprengen. Allein die Manager der Anglo Irish hinterlassen einen Schuldenberg von 47 Milliarden Euro, mehr als die irischen Steuereinnahmen eines ganzen Jahres. Warum, so fragen jetzt Kritiker wie der Ökonom Constantin Gurdgiev vom renommierten Trinity College, warum sollen die Steuerzahler diese Bankschulden bezahlen, obwohl doch die Gläubiger einfach schlecht investiert haben? Die Opposition fordert, zumindest die Namen dieser „bondholder“ offenzulegen. Doch Finanzminister Lenihan sagt nur, die Papiere würden anonym gehandelt, die Besitzer seien nicht bekannt.

Aber das stimmt so nicht. Den Beweis liefert Paul Staines, ein irischer Blogger in London, der früher selbst Anleihen handelte. Mitte Oktober 2010 veröffentlicht er mit der Hilfe eines früheren Kollegen 80 Namen von Finanzinstituten, die Anleihen von Anglo Irish im Milliardenwert halten. Die Liste liest sich wie ein Who’s who der westlichen Finanzwelt. Sie reicht vom deutschen Allianz-Konzern über Goldman Sachs bis zur französischen Societé Generale – allesamt Verwalter des Vermögens betuchter Anleger, die zu großen Teilen in Deutschland und Frankreich zu Hause sind und Verluste gut hätten tragen können. Auch Deutschland habe einen Immobilienboom gehabt, kommentiert Finanzexperte Gurdgiev bissig. Nur hätten die Deutschen „es vorgezogen, ihren Boom ins Ausland zu verlegen“.

Unter dem Druck des Protests sucht Finanzminister Lenihan die Flucht nach vorn. In der letzten Novemberwoche 2010, so berichtet später die „Irish Times“, sagt er den Vertretern der Troika, sein Land könne die Staatsgarantie für die Bankschulden nicht mehr verlängern. Die Inhaber der noch ausstehenden Bankanleihen müssten auf einen Teil ihrer Ansprüche verzichten. Würde man sie zwingen, ihre Papiere auf den Marktwert abzuschreiben, könnte das die Schuldenlast um 30 Milliarden Euro mindern. Der Vertreter des IWF stimmt Lenihan zu. Doch ein deutscher EZB-Beamter legt im Auftrag des damaligen EZB-Chefs Jean-Claude Trichet sein Veto ein. Trichet fürchtet eine Schockwelle für Europas Banken, und er hat alle Macht, seine Position durchzusetzen. Ohne Zugang zu den Krediten der EZB würde Irlands Zahlungssystem zusammenbrechen.

Die Frage, ob die Gläubiger haften sollen, bleibt zunächst offen. Dann interveniert plötzlich Amerikas Finanzminister Timothy Geithner. Weil US-Banken viele Ausfallversicherungen auf irische Schuldtitel verkauft haben, agiert er wie Trichet als Lobbyist der Finanzindustrie und fordert bei einer Telefonkonferenz, alle Bankanleihen müssten bedient werden. Von der US-Regierung unter Druck gesetzt, will nun auch der IWF die „bondholder“ nicht mehr beteiligen, und Lenihan gibt auf. Am 27. November 2010 billigt Irlands Regierung das Abkommen mit den Euro-Rettern.

Das gewährt Irland 67,5 Milliarden Euro Kredit. Aber die „Erpressung“ durch die EZB, wie der Abgeordnete Donnelly den Vorgang nennt, bürdet dem irischen Staat Schulden von mehr als 100 Milliarden Euro auf, die zuvor private Banken bei privaten Investoren gemacht hatten.

Als die Iren drei Monate später die Oppositionsparteien an die Macht wählen, ändert das nichts. Zwar werben sie offensiv mit der Parole „burn the bondholders“. Aber Lenihans Nachfolger Michael Noonan kann das Versprechen nicht einlösen. Die EZB sei dagegen, er sei machtlos, gesteht er. So mündet die vermeintliche Rettung Irlands in ein Schutzprogramm für Banken und Kapitalanleger, für deren Fehlinvestitionen auf der Grünen Insel allein die irischen Steuerbürger bezahlen sollen. Die „Übertragung aller Bankschulden auf den Staat“ sei ein „schrecklicher Fehler“ gewesen, urteilt heute Irlands stellvertretender Finanzminister Brian Hayes, ein Fehler, aus dem andere Staaten lernen sollten. Doch Irland war nur der Anfang.

Spaniens Krise: Ein europäisches Gemeinschaftswerk

Ciudad Real, Spanien. Die Landebahn erstreckt sich über fast fünf Kilometer, hier kann sogar der Super-Airbus A380 landen. Davor blinkt ein nagelneuer Terminal aus Glas und Stahl. Auch der Bahnhof für die Expresszüge steht. Doch kein Flugzeug landet, kein Zug hält. Nur Sicherheitsleute bewachen die Stille. Wie ein Monument des Scheiterns zeugt der tote Großflughafen vor den Toren der Kleinstadt 240 Kilometer südlich von Madrid von der Katastrophe, die Spanien in den Niedergang treibt. Ein lokaler Baulöwe hatte das Projekt zusammen mit den Regenten der Provinz Castilla-la-Mancha angeschoben. Die gleichen Politiker saßen auch im Aufsichtsrat der örtlichen Sparkasse „Caja CCM“. So besorgten sie die nötigen Kredite von rund einer halben Milliarde Euro. Schon nach einem Betriebsjahr musste die Betreiberfirma 2010 mangels Nachfrage jedoch Bankrott anmelden. Bald darauf ging auch die CCM-Bank unter. Übrig blieben nur die Schulden.

So hielten es Provinzfürsten und Baukonzerne im ganzen Land. Die Euro-Einführung im Jahr 2000 bescherte niedrige Zinsen wie nie zuvor, und so trieben sie ihr Land in einen Immobilienrausch auf Pump, der Spanien mehr als eine Million leerstehende Wohnungen, tausende Bauruinen und faule Kredite in Höhe von rund 300 Milliarden Euro hinterließ. Anders als in Irland waren es jedoch nicht die Großbanken, die Spanien ins Unglück führten. Die meisten Fehlinvestitionen finanzierten die 45 regionalen Sparkassen, die von Politikern der Großparteien, der sozialistischen PSOE und der konservativen PP, kontrolliert wurden.

Aber auch der iberische Baurausch war ein europäisches Gemeinschaftsprojekt. Denn das Geld dafür kam fast vollständig aus dem Ausland. Allein die deutschen Banken legten in den drei Jahren bis 2008 mehr als 140 Milliarden Euro in Spanien an (siehe Grafik). Wie das zuging, weiß der Pensionär Tierno Galvan noch gut. Bis 2007 war er Anlagemanager bei der Großsparkasse Caja Madrid und fuhr gelegentlich mit zur Akquise nach Deutschland. „Da kamen die Angebote von allen Seiten. Die Kollegen von der Kreditabteilung wussten doch gar nicht, wo sie das Geld unterbringen sollten, da haben sie eben alles an Projekten angenommen, was irgendwie ging.“ Und dann eben auch schiefging. „Das war wie ein großes Kartenhaus“, sagt Tierno, „jeder konnte wissen, dass es einstürzen musste.“

Investition und Haftung fallen jedoch auch in Spanien auseinander. Als die Blase 2009 platzt, sucht die damals von den Sozialisten geführte Regierung das Heil darin, den Finanzsektor völlig umzubauen. 45 Banken und Kassen fusionieren zu 13 Geldhäusern. Schon dafür fließen 20 Milliarden Steuer-Euro als Startkapital. Zu keinem Zeitpunkt erwägen die Verantwortlichen, auch die ausländischen Investoren über einen Schuldenschnitt an den Kosten ihrer Fehlinvestments zu beteiligen. Stattdessen verkaufen sie Aktien der neu fusionierten Banken an spanische Sparer – als vermeintlich sichere Anlage. Besonders dreist treiben es die Manager der größten Neugründung „Bankia“, die aus der Caja Madrid und sechs weiteren Kassen Spaniens viertgrößte Bank machten. Unter Führung des früheren IWF-Chefs Rodrigo Rato drehen sie ahnungslosen Anlegern Aktien für mehr als drei Milliarden Euro an, obwohl sie mehr faule Kredite in den Büchern haben als jede andere Bank.

Die Stunde der Wahrheit kommt im Mai 2012. Als durchsickert, dass Bankia vor der Insolvenz steht, verliert Rato seinen Posten, und der neu gewählte konservative Premier Mariano Rajoy kündigt die Verstaatlichung der gerade erst privatisierten Bank an. Weitere zehn Milliarden Euro Steuergeld sollen fließen. Es kommt schlimmer. Am 25. Mai erklärt der neu ernannte Chef von Bankia, deren Bilanz sei gefälscht worden, und legt neue Zahlen vor. Danach fehlen seinem Konzern volle 19 Milliarden Euro, um weiter operieren zu können. Die beiden schiefen Türme der Bankia-Zentrale in Madrid werden zum Symbol der spanischen Krise.

Parallel dazu melden auch die anderen Großsparkassen enorme Verluste, und Rajoys Regierung verliert im wahren Sinn des Wortes ihren Kredit. Obwohl Spaniens Staatskasse weit weniger verschuldet ist als etwa die deutsche, kann sie neue Kredite nur noch zu ruinösen acht Prozent Zins aufnehmen. Trotzdem halten Rajoy und sein Finanzminister Julio de Guindos am alten Konzept fest. Keine Bank soll abgewickelt werden, kein Gläubiger sein Geld verlieren. Wo den Banken das Kapital ausgeht, sollen die Steuerbürger es ersetzen. Dafür beantragen sie beim Rettungsfonds (ESM) der Euro-Staaten einen Notkredit von 100 Milliarden Euro, der auch prompt gewährt wird.

Kritiker im deutschen Bundestag empören sich zwar, dass ihre Wähler nun auch für Spaniens Bankschulden in Haftung gehen müssen. Doch merkwürdig: Keiner fragt, bei wem die iberischen Banker ihre vielen Schulden eigentlich haben. Nur das Fachblatt „International Financial Review“ schreibt Klartext und betitelt einen Bericht über die Außenstände deutscher Banken bei spanischen Geldhäusern von 40 Milliarden Euro so: „Spanish bailout saves German pain“ (Spaniens Rettung erspart den Deutschen Schmerz).

Allein die Aktivisten des Massenprotests auf den Straßen stemmen sich gegen die Milliardenzahlungen. Einer ihrer Vordenker ist Juan Moreno, ein junger Anwalt, der in seinem kleinen Büro in Sevilla akribisch die Informationen über die Verfehlungen der spanischen Finanzelite zusammenträgt. Er reicht Klage ein, um den Geldfluss an Bankia zu stoppen, und fordert die Offenlegung der Daten über deren Zahlungsverpflichtungen.

Spanien exekutiert den Freikauf aller Fehlinvestoren zulasten seiner Steuerbürger

Aber die Regierung Rajoy verbietet selbst dem Gericht die Einsicht in die Bücher des staatseigenen Geldkonzerns und dokumentiert einmal mehr: Die Geheimhaltung ist die wichtigste Waffe der Bankenretter. Denn sie verhindert, dass „die einzig vernünftige Alternative“ (Moreno) überhaupt geprüft wird: die Beteiligung der Gläubiger an den Kosten der Bankensanierung durch die Umwandlung von Forderungen in Gesellschaftsanteile. „Bail-in“ statt „bail-out“ nennen Fachleute dieses Verfahren, bei dem das Eigentum an der Bank an die Gläubiger übergeht, die im Gegenzug auf ihre Forderungen verzichten.

Wie das im Fall Bankia machbar wäre, rechnet das britische Beratungsunternehmen „Credit-Sight“ anhand der Bilanzdaten im Juli 2012 vor. Demnach hatte der Sparkassenriese zu diesem Zeitpunkt 25 Milliarden Euro Schulden bei Gläubigern, die „ungesichert“, also ohne Pfandrechte auf Anlagen der Bank waren. Rechtlich hätte die Bank also ohne Steuergeld weiter operieren können, wenn sie gegen Schuldenstreichung in Regie der Gläubiger übergegangen wäre.

Doch wer diese sind, möchte Minister de Guindos, vordem Chef der spanischen Tochter von Lehman Brothers, nicht einmal ermitteln. Würde man sie haften lassen, dann müssten alle Banken mehr Zins für ihre Refinanzierung zahlen, „und so würden die Kosten für die Kredite an die reale Wirtschaft steigen“, rechtfertigt er die Aufhebung der Marktregeln für den Finanzsektor – nach Meinung von Anwalt Moreno ein bloßes Vertuschungsmanöver. In Wahrheit solle nur verhindert werden, „dass die Gläubiger aufdecken, was die Politiker mit den Krediten gemacht haben.“

So exekutiert auch Spanien den Freikauf aller Fehlinvestoren zulasten seiner Steuerbürger. Mindestens 60 Milliarden Euro Staatsgeld sind dafür bereits geflossen. Aber das Volumen fauler Kredite steigt, und Analysten erwarten, dass am Ende auch der ESM-Kreditrahmen von 100 Milliarden nicht reichen wird. Der Abfluss der Milliarden ins Ausland für die Bedienung der Gläubiger zieht die spanische Wirtschaft jedoch immer tiefer in den Verfall – mit ausdrücklicher Billigung der anderen Euro-Staaten.

Nicht einer der Verantwortlichen will die Haftung der Investoren durchsetzen. Zuvor sind schließlich auch in Portugal und Griechenland die Gläubiger der dortigen Banken vorbehaltlos gerettet worden. Finanzminister Schäuble leugnet sogar, dass Investoren überhaupt Mitverantwortung tragen. Das Geld sei den Spaniern ja „nicht mit Waffengewalt aufgezwungen worden“, sagt er. Einzig der deutsche EZB-Direktor Jörg Asmussen gibt sich zumindest nachdenklich. Natürlich, so räumt er ein, stelle sich bei der Bankenkrise „die Verteilungsfrage“, ob also nicht vor allem vermögende Anleger begünstigt werden. Da hätten „Notenbanken und Aufsichtsbehörden einen blinden Fleck“. Aber, so Asmussen, „diese Fragestellung taucht in unserem Mandat nicht auf“.

So wird auch die anstehende Stützung der Banken in Zypern nach dem gleichen Muster ablaufen. Zwar fordern einige Regierungen in diesem Fall, wo es vorehmlich um das Geld russischer Anleger geht, erstmals ein „bail-in“ der Bankengläubiger. Aber dafür ist es vermutlich zu spät. Viele Großanleger haben ihr Geld bei Zyperns Banken abgezogen. Für die fehlenden Einlagen ist wiederum die EZB mit mehr als zehn Milliarden Euro „Liquiditätskrediten“ eingesprungen.

Dublin, im Februar, 2013. Die Ironie der Geschichte will es, dass die von der EZB erzwungene Bankenrettung die Zentralbank selbst zum größten Gläubiger Irlands machte. Um die Anglo Irish Bank zahlungsfähig zu halten, hatte die alte Regierung 2010 dem Pleitehaus staatliche Schuldscheine in Höhe von 30 Milliarden Euro ausgestellt. Diese reichte die Anglo Irish sodann als Sicherheit beim EZB-System ein, um dafür Notenbankkredite zu erhalten. Mit dem Geld daraus zahlte sie schließlich ihre Gläubiger aus. Bis 2020 sollte Irland daher nach dem Willen der EZB jährlich 3,2 Milliarden Euro zurückzahlen, so viel wie alle Sparmaßnahmen im laufenden Haushalt ausmachen.

Diese Last wollen die Iren jedoch nicht tragen. Weil die Zentralbanker einen Schuldenerlass ablehnen, verfügt die Regierung am 7. Februar einseitig einen Umtausch der Schuldscheine in lang laufende Staatsanleihen, die erst 25 Jahre später zu tilgen sind. Das wäre rechtlich anfechtbar, doch die EZB-Direktoren erkennen ihre Mitverantwortung und nehmen den Beschluss nur „zur Kenntnis“. Das entlastet Irlands Staatskasse vorerst. Trotzdem protestieren mehr als 100 000 Iren auf den Straßen gegen die Übertragung einer Schuld, die sie nicht als die ihre ansehen, auf die nächste Generation. Die Bewohner von Ballyhea wollen ihre Aktionen fortsetzen – demnächst in Brüssel.

Einen Film von Regisseur Arpad Bondy und Harald Schumann zu diesem Thema zeigt Arte am Dienstag, 26. Februar, um 21.45 Uhr.

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