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Wirtschaft: Europa der 25 Zugführer

Nach dem Scheitern des Brüsseler EUVerfassungsgipfels im vergangenen Monat blüht in Europa nun wieder die große Metaphorik. Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac mahnte jüngst wieder, dass die EU eine „Pioniergruppe“ bräuchte, die „der Motor sein könnte, um Europa ein schnelleres, besseres Wachsen zu ermöglichen“.

Nach dem Scheitern des Brüsseler EUVerfassungsgipfels im vergangenen Monat blüht in Europa nun wieder die große Metaphorik. Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac mahnte jüngst wieder, dass die EU eine „Pioniergruppe“ bräuchte, die „der Motor sein könnte, um Europa ein schnelleres, besseres Wachsen zu ermöglichen“. Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte, dass „wir uns auf ein Europa der zwei Geschwindigkeiten einstellen müssen". Und EU-Kommissionspräsident Romano Prodi verwendet einmal mehr das immer gern bemühte Bild von der Eisenbahn. In Dublin sagte Prodi vergangene Woche zur Eröffnung der irischen Ratspräsidentschaft: „Europa kann nicht immer mit der Geschwindigkeit des allerlangsamsten Wagens fahren.“

Seit Generationen verfechten EU-Führer nationale Lieblingsprojekte gern unter dem Deckmantel, es sei „zum größeren Wohl Europas“. Als Repräsentant der Brüsseler EU-Exekutive steht Prodi für das institutionelle Interesse der Kommission, mehr Macht übertragen zu bekommen – wie es der gescheiterte Verfassungsentwurf vorsah. Kanzler Schröder schätzte die Regelung, die bei Abstimmungen Deutschlands zahlenmäßige Überlegenheit in der EU anerkannte. Und dem Franzosen Chirac gefiel das in der Verfassung verankerte Ziel einer zentralisierten Außenpolitik und jene Klauseln, die es großen Mitgliedern leichter machen, die vergrößerte EU zu dirigieren. Alles im Namen Europas natürlich.

Ganz gewiss haben alle EU-Länder das souveräne Recht, Abkommen mit anderen Staaten zu schließen, sei es über Grenzkontrollen, wirtschaftliche Zusammenarbeit oder Einwanderungspolitik. Die zukünftige EU von 25 Staaten wird ohne Zweifel in verschiedenen Geschwindigkeiten funktionieren. Jene, die von zwei Geschwindigkeiten sprechen, sind jedoch auffällig zurückhaltend, wenn es um Einzelheiten geht – was den Eindruck über ihre wahren Intentionen bestätigt. Das Geisterbild eines geteilten Europas (nämlich das der zwei Geschwindigkeiten) zu beschwören, sollte die abtrünnigen Länder – nicht nur Polen und Spanien – erschrecken. Und es sollte als Drohung an die Kritiker dienen, den Verfassungsentwurf zu unterstützen.

Man sollte meinen, dass die europäischen Metaphern-Freunde ihre Lektion auf dem Brüsseler Gipfel im Dezember gelernt haben. Konsens, nicht Einschüchterung, ist der einzige Weg, die EU vor einem Zerreißen zu bewahren. Schließlich hat der europäische Zug 25 verschiedene Zugführer.

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