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Wirtschaft: Europa sucht den Champion

Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac verhilft seinen Unternehmen zum Sieg – und Kanzler Gerhard Schröder hat das Nachsehen

Die Superminister haben Terminprobleme. Frankreichs Ressortchef für Wirtschaft und Finanzen, Nicolas Sarkozy, und sein Kollege Wolfgang Clement aus Berlin, zuständig für Wirtschaft und Arbeit, kommen nicht zusammen. Dabei sollen sie Wichtiges abstimmen, die industriepolitischen Interessen ihrer Länder.

Mit der Suche nach dem Termin endet allerdings die Gemeinsamkeit zwischen Paris und Berlin. Die schroffe Abfuhr an Siemens, beim angeschlagenen Konkurrenten Alstom einzusteigen, um einen neuen Industriechampion für Europa zu bilden, hat beträchtliche Verärgerung ausgelöst. Der Kanzler sah sich genötigt, Sarkozy Nationalismus vorzuwerfen. Diese Irritationen im Vorfeld des Industriegipfels wundern Unternehmensberater Roland Berger nicht. „Die französische Position war nie eine rein marktwirtschaftliche", sagt Berger. Paris habe von jeher alle Mittel dazu eingesetzt, nationale Champions zu fördern. Das Ergebnis seien drei große Banken oder der Pharmakonzern Sanofi/Aventis. Mit ihren umfangreichen Industriebeteiligungen und ihrem engen Beziehungsnetz zwischen den Wirtschafts- und Politikeliten hätten die Franzosen auch die Instrumente dazu in der Hand. „In Deutschland hingegen fehlt ein solcher Einfluss weit gehend.“

Ob Schröder und Frankreichs Staatschef Jacques Chirac deshalb gemeinsame Wege in der Industriepolitik finden, wird bezweifelt. Einen gemeinsamen Gegner haben sie aber schon ausgemacht: Die EU-Kommission, die in der Subventions- und Wettbewerbspolitik längst das Sagen hat. Brüssel müsse die „Deindustrialisierung“ Europas aufhalten, meinen Paris und Berlin, weil immer mehr Arbeitsplätze in Billiglohnländer abwandern.

Den Franzosen geht es aber in Wahrheit darum, ihre eigenen Unternehmen zu schützen. Anfangs waren auch die Briten bei der Industriepolitik-Initiative dabei. Doch inzwischen hat sich London abgesetzt: Das politische Gezerre um die Alstom-Sanierung mit der Milliarden-Hilfe des Staates hat bei den Engländern Kopfschütteln ausgelöst. „Altmodisches Denken", kommentiert Wirtschaftsministerin Patricia Hewitt.

Die Bundesregierung setzt weiter auf Paris. „Der Fall Aventis hat uns geärgert“, heißt es in Berliner Regierungskreisen, „aber es nutzt nichts, über die Franzosen zu schimpfen.“ Vor der Sommerpause soll es auf jeden Fall noch ein Treffen mit den Wirtschaftsministern geben. An diesem Montag sprechen nur Chirac und Schröder in Aachen. Dabei wird es auch um den von beiden gewünschten neuen Superkommissar in Brüssel gehen, der sich nicht nur um Wettbewerbsfragen, sondern auch um die Industriepolitik kümmern soll. Deutscher Wunschkandidat wäre der Erweiterungskommissar Günter Verheugen.

Dieser Versuch, die künftige Politik der Kommission zu beeinflussen, stößt dort auf massive Kritik. „Bevor Berlin und Paris von der Kommission Industriepolitik fordern“, sagte Haushaltskommissarin Michaele Schreyer, „sollen sie doch erst einmal die Beschlüsse von Lissabon umsetzen.“ Und die sehen vor, Europa bis 2010 zur wettbewerbsfähigsten Region der Welt zu machen. Zum Beispiel durch höhere Investitionen in Forschung und Bildung. Eine Politik der „nationalen Abschottung“ lehnt Schreyer ohnehin ab.

Mit dieser Kritik ist sie nicht allein. „Wir sollten nur die Rahmenbedingungen schaffen, in denen jedes Unternehmen die Chance hat, zum lokalen, europäischen oder auch globalen Champion zu werden“, sagt Jan Figel. Der Slowake arbeitet zurzeit mit dem Industriekommissar Erkki Liikanen zusammen und wird ab Herbst der neuen EU-Kommission angehören. Unternehmen zu unterstützen heiße jedoch nicht, notwendige Sanierungen zu verhindern. „Man darf öffentliches Geld nicht dazu nutzen, um Unternehmen harte Entscheidungen zu ersparen“, sagt Figel.

So sieht das auch Roland Berger. Industriechampions zu bilden sei „Sache der Unternehmen. Sie zu entwickeln ist nicht Aufgabe des Staates“. Wenn aber die USA über ihren hohen Verteidigungsetat indirekt die nationalen Technologiekonzerne fördere, dann müsse auch Europa „seinen industriepolitischen Beitrag dazu leisten“. Damit möglichst viele globale Champions ihren Sitz und einen Großteil ihrer Wertschöpfung in Deutschland oder Europa haben.

Im Streitfall Alstom rät Berger dem Bundeskanzler zur Offensive. „Eine Gesamtfusion ist wenig sinnvoll.“ Aber die profitablen Sparten Verkehrstechnik und Energietechnik könnten durchaus zusammenpassen. Da sollte Schröder „die Franzosen überzeugen, dass dies im Interesse beider Länder liegt". Keine leichte Aufgabe für den Kanzler. Minister Sarkozy hat nach der Kritik aus Deutschland zwar großzügig angeboten, Siemens solle doch ein Angebot für Alstom machen. Aber nur als gleichberechtigter Partner. „Wenn einer am Boden liegt und Blut verliert und der andere ihn in Teilen aufkaufen will, dann ist das keine Partnerschaft und wird meine Zustimmung nicht bekommen,“ sagte Sarkozy. Inzwischen fragen sich auch die Beamten in Clements Ministerium: „Warum müssen es eigentlich immer französische Champions sein“?

Dieter Fockenbrock, Flora Wisdorff

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