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Wirtschaft: Europa und die Angleichung im Schneckentempo

Der Wind fährt säuselnd durch die Bananenplantagen.Von fern rauschen die Wellen.

Der Wind fährt säuselnd durch die Bananenplantagen.Von fern rauschen die Wellen.In der Saftbar von Carlos drängen sich die Touristen.Man sitzt unter einer Markise, um sich vor der Sonne zu schützen.Es geht beschaulich zu in La Calera, einem Ort im Südwesten der kanarischen Insel Gomera.Urlaubsidylle, wie sie der Deutsche mag.Doch die Kanareninsel Gomera hat in den vergangenen letzten 20 Jahren einen beispielhaften Aufstieg erlebt.Schnellstraßen entstanden, Tunnel wurden durch die Berge getrieben.Die Touristen kamen und mit ihnen die Hotelbetten.Früher war Gomera eine Insel der Bauern und Fischer, meint der Journalist und Inselkenner Adam Reifenberger.Anfang der 90er habe sie sich "zu einer Insel der Kellner und Bauarbeiter gewandelt".

Auch dank der EU-Subventionen, von denen Spanien mit am stärksten profitiert.Sieht so also die Entwicklung in Europa aus? Brüssel spendiert und die Lebensverhältnisse der Menschen zwischen Dublin und Heraklion nähern sich an? Leider nicht.Noch immer sind die Unterschiede gewaltig.In den zehn reichsten Regionen Europas erzielte 1993 - neuere Zahlen liegen nicht vor - jeder Bürger ein Bruttoinlandsprodukt (BIP), das 4,5 Mal höher war, als das, daß der Bewohner der zehn ärmsten Gebiete erwirtschaftete.Auch die Kapitalausstattung schwankt.Die Griechen gaben 1993 pro Kopf 89 DM für Informationstechnologien aus, die Dänen 1123 DM.

Die Strukturpolitik "Made in Brüssel" soll diese Unterschiede mit viel Geld einebnen.31,4 Mrd.ECU (etwa 60 Mrd.DM) darf die zuständige EU-Kommissarin Monika Wulf-Mathies im kommenden Jahr verteilen - mehr als ein Drittel des gesamten EU-Haushalts.Gefördert werden ländliche Räume, bevölkerungsschwache Gebiete, ehemalige Industriestandorte und die sogenannten Ziel-1-Regionen, in denen die Bewohner nur 75 Prozent des Bruttoinlandsprodukt im EU-Durchschnitt erzielen.Zwei Drittel aller Strukturgelder fließen allein in diese Gebiete; hierzulande zählt ganz Ostdeutschland dazu und Ost-Berlin, doch der Ostteil der Hauptstadt soll diesen Status verlieren.Daneben gewährt Brüssel Geld für das Zusammenrücken der Grenzregionen und macht über den Kohäsionsfonds Griechenland, Portugal, Spanien und Irland fit für den Euro.Folge der massiven Hilfen: Inzwischen lebt die Hälfte der Menschen zwischen Lissabon und Helsinki in Fördergebieten.Ein "absurdes Niveau" findet der dänische Industrieminister Jan Träjberg.Unklar ist auch, ob die Gelder die Unterschiede in Europa verringert haben.

Die Wissenschaftler des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft sprechen von der "Angleichung im Schneckentempo".Zwischen 1980 und 1993 konnten die Einwohner in den rückständigen Gebieten Europas ihre Wirtschaftskraft nur von 65 auf 67,6 Prozent des Gemeinschaftsniveaus steigern.Ähnlich sieht es die EU-Kommission in einem Bericht.Anfang der 80er Jahre erzielten beispielsweise die Azoren beim BIP 39 Prozent des EU-Durchschnitts, zehn Jahre später 42 Prozent.Besser wirkt die Bilanz der einzelnen Länder.So steigerten zwischen 1980 und 1995 Iren, Spanier, Portugiesen und Griechen ihr Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 67 Prozent des EU-Durchschnitts auf 73 Prozent.Gleichzeitig wuchs aber bei den Nachzüglern die Arbeitslosigkeit.Fazit: Die EU-Länder holen als Nation auf, nur die Regionen driften weg.Lissabon boomt, aber der Alentejo verfällt; Hamburg blüht auf, und Mecklenburg-Vorpommern darbt.Nur sind das Folgen von Brüssel oder der allgemeinen Entwicklung?

Schwer zu sagen.Konkret erhöhten die Strukturfonds die Wachstumsraten in den ärmsten Ländern jährlich um ein halbes Prozent, meint Detlev Samland, Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Europäischen Parlament.So stiegen dort die Investitionen und die Zahl der Jobs.Allein in Ostdeutschland seien 1996 dadurch das BIP um 3,6 Prozent gestiegen und 100 000 Arbeitsplätze entstanden, rechneten die Forscher des Münchener Ifo-Instituts aus.Bernhard Friedmann, Chef des Europäischen Rechnungshof kalkuliert anders.Ihm zufolge hätten die Fondsgeldern seit 1989 zu sechs Millionen Stellen europaweit führen müssen, aber: "Diese Arbeitsplätze kann ich nirgendwo entdecken." Denn: Mit den Geldern werden Straßen gebaut und Stadtkerne saniert - aber keine Menschen beschäftigt.Die Praxis gibt ihm Recht.Die dänische Insel Lolland erhielt in den vergangenen Jahren 130 Mill.DM.Der Erfolg: Bescheidene 75 Stellen.Auf Gomera haben EU-Strukturfonds und spanische Regierung zwischen 1989 und 1993 pro Einwohner 12 500 DM ausgegeben - die Zahl der Arbeitslosen sank um 18 Menschen.

Dennoch: Die Experten wollen nicht den Stab über die Strukturförderung brechen.Christian Weise, zuständig beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin meint: "Man wird nie genau den Erfolg der Strukturfonds belegen können." Immer würden Subventionen auch mitgenommen, wenn sie gezahlt würden.Den Erfolg einzelner Länder, wie Irland oder Spanien, erklärt er sich durch die begleitende nationale Wirtschaftspolitik.Außerdem fließen etwa ein Drittel der Strukturgelder über Lieferaufträge in die reichen Länder zurück.

Dennoch ist eine Reform dringlich.Durch die Osterweiterung der Union läßt sich das bisherige System nicht finanzieren.In Zukunft sollen die Gelder stärker auf Problemgebiete konzentriert und besser kontrolliert werden.Für Länder, wie Spanien oder Griechenland, bedeutet das weniger Geld - und sie kündigen Widerstand an.Auch die Deutschen wollen weniger an Brüssel überweisen, obwohl sie von der Osterweiterung am meisten profitieren.Kein Wunder also, daß die anstehenden Verhandlungen über die nächste Strukturfondsperiode hart werden.Sinn macht eine Reform allemal.Denn nicht nur auf Gomera fragt sich macher, warum Brüssel eigentlich einen Yachthafen bezuschußen mußte.

ANDREAS HOFFMANN

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