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Wirtschaft: Eva Etta Blomeyer

Geb. 1948

Wo ist man gefangen, wo kann man sich freimachen? Wer hilft dabei? Nichts ist bei einer ersten Begegnung verstörender als ein unangenehmer Händedruck, und nichts einnehmender als eine Vertrauen schenkende Hand.

Man kann es Reiki nennen, den Glauben an sprechende, an heilende Hände, und eine Lebensphilosophie darauf gründen, Therapiekonzepte entwerfen, Seminare abhalten. Man kann, wenn man denn grüblerisch gestimmt ist, über eine universelle Lebensenergie rätseln, die sich bei manchen frei und bei anderen nur gehemmt äußert.

Eva Maria Blomeyer sah das etwas einfacher: Wo ist man gefangen, wo kann man sich freimachen, und wer hilft dabei. Denn das empfindet jeder: Manche Menschen sind stärker und manche schwächer, und es ist gut, wenn Starke etwas von ihrer Stärke abgeben.

Sie war Kauffrau, Chefsekretärin, Tochter einer sehr fürsorglichen holländischen Mutter und eines sehr altmodischen Bremer Vaters, der es für überflüssig hielt, der Tochter ein Universitätsstudium zu finanzieren – also hat sie in Freiburg das Leben studiert und die Nächte durchtanzt. Lebensfreude ist Energie, und die hatte sie im Übermaß, ohne anfangs zu wissen, wozu.

Dann drückte ihr jemand auf Sri Lanka ein Buch in die Hand: „Du kannst das!“ Ein Buch über Reiki, über die drei Stadien der Selbstvergewisserung: Wie lerne ich mit Energie umgehen, wie deute ich ihre Symbole, und wie komme ich mit mir so ins Reine, dass ich Energie an andere übertragen kann. So wurde sie Reikimeisterin. Wie gut sie war, sah man auf den Gesichtern ihrer Schüler.

Esoterischer Humbug? Ist es Humbug, wenn ein berühmter Dirigent und ein unbelehrbar optimistischer Choreograph ihre Vorstellung von harmonisierter Energie auf eine Horde bewegungsfauler Schüler übertragen, mit Erfolg: „Rhythm is it!“ Das war ihr Lieblingsfilm, und ihr Lebenskonzept. Konkret im Projekt Schlesische Straße, wo sie vernachlässigten Kindern durch Kunsterziehung und Tanz das Selbstvertrauen wieder geben wollte.

Spiritualität ist harte Arbeit an sich selbst, gepaart mit Intuition. Die besaß sie im Übermaß. Deswegen hat sie gern geraucht: „Zu viele Eindrücke, zu viele Gedanken von anderen bedrängen mich, das Rauchen hingegen dämpft.“ Und sie hat es beibehalten, selbst als die Krankheit kam, selbst als sie unter Morphium stand, nach monatelanger Qual.

Wie geht man damit um, mit Leid? „Eine Krankheit kann ich widmen!“, das war ihr Entschluss. „Ein anderer soll das nicht erleben, deswegen durchleide ich es.“ Kein Grund zum Lachen mehr, aber einer zum Lächeln.

Leiden bewusst auf sich nehmen, das ist ein sehr christlicher Gedanke – und ein sehr buddhistischer auch. Das war für sie ein großer Trost: Dass Mönche, weit weg in Asien, für sie beteten.

Denn den Tod kann man nicht allein bewältigen, nicht vom Kopf her und nicht vom Gefühl her. Sie glaubte an die Wiedergeburt im buddhistischen Sinn und im sehr konkret bremischen. Sie hat als Bremerin immer das Meer geliebt, also verfügte sie, dass ihre Asche dem Meer übergeben werden soll. „Denn das Meer trägt mich in alle Welt.“

Und vor dieser letzten Reise wollte sie drei Tage unberührt in der Wohnung liegen. Sie wollte nicht aufgebahrt werden, das hatte sie bestimmt, kein Mund zugenäht, kein Kinn hochgebunden, kein ungewohntes Kleid. Leute, die kommen wollten, sollten kommen, und an sie denken, aber sie durften nicht traurig sein.

Sie war es ja auch nicht. Weil sie ihre Schüler hatte, die wie Kinder für sie waren. Und weil sie vierzehn Jahre mit ihrem Mann die Liebe erlebt hatte. Ein Tunnel der Liebe, so empfanden es beide. Die Welt wurde klein und kleiner, schloss sie eng zusammen und weitete sich dann wieder zu einer großen, gemeinsamen.

Und dieses Gefühl blieb. Bis zum Schluss.

Ein Mal konnte sie noch aufstehen, und er sie noch ein Mal in den Arm nehmen. „Stört dich das, all diese Schläuche?“, fragte sie. – „Das liebe ich alles mit, weil es dir erlaubt, weiterzuleben…“

Kurz vor ihrem Tod wollte sie noch einmal die Haare gewaschen haben, dann war sie bereit. Darin lag der Trost für ihn. Dass sie alles festgelegt hatte. Und er ihr alle Wünsche erfüllen konnte, auch den letzten: Im Tod die Hand eines geliebten Menschen halten zu können.

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