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Platz Nummer 14. Für viele ist der Job als Callcenter-Agent nur eine Übergangslösung. Wenn die

© picture alliance / ZB

Wirtschaft: Experten im Ohren öffnen

In Callcentern sind rund 15 000 Stellen frei. Die Arbeit ist nicht einfach – kann aber auch Spaß machen

Callcenter haben ein Imageproblem. Schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Gehälter und unseriöse Telefonanrufe: Das sind nur einige Vorwürfe, denen die Branche ausgesetzt ist. Doch neben „schwarzen Schafen“ gibt es unter den Telefondienstleistern auch gute Anbieter – man muss sie nur finden.

Die zwölf Callcenter-Agenten, die in einem Büro in der Berliner Lützowstraße arbeiten, tragen weiße T-Shirts mit dem grün-schwarzen Aufdruck „Tolingo“. So heißt die Internet-Übersetzungsagentur, die weltweit mehr als 6000 Fachübersetzer beschäftigt und zu deren Kunden vor allem kleine und mittelständische Unternehmen gehören. Aufträge reinholen – das ist die Aufgabe der Gesprächsexperten des Callcenter-Betreibers SNT. „Die Ansprache von Unternehmenskunden, die Tolingo noch nicht kennen, ist die schwierigste Disziplin“, sagt Tolingo-Vertriebschef Jann-Martin Mauer. „Das macht unser Team gut.“

Doris Pfeiffer ist seit neun Jahren dabei. Wenn sie morgens an ihren Schreibtisch kommt, steht dort eine Schale mit frischem Obst. „Das fördert die Motivation“, sagt die 44-Jährige. Auch Fotos ihrer Freunde und Urlaubsbilder hängen an der Wand. „Individualität wird großgeschrieben“, sagt Mauer. Das gelte auch für die Gesprächsführung am Telefon. „Jeder Agent hat seine Stärken: Der eine spricht langsam, der zweite mit Berliner Akzent, der dritte am liebsten beim Gehen. Wichtig ist, dass jeder am Telefon authentisch klingt. Verbiegen bringt gar nichts.“

Nicht immer stoßen die Anrufer auf offene Ohren. „Man muss sich häufig durchfragen, bevor man die für Übersetzungen zuständige Person am Hörer hat“, sagt Doris Pfeiffer. „Dann geht es darum, verständlich und schnell zu erklären, welche Vorteile eine Online-Übersetzungsagentur bietet: Sie ist fixer als herkömmliche Büros und billiger als eigene, festangestellte Übersetzer im Haus.“ Das überzeuge viele Gesprächspartner. Zögert trotzdem noch jemand, einen Testlauf zu wagen, haben Pfeiffer und ihre Kollegen weitere Argumente in petto.

Tolingo-Geschäftsführer Hanno von der Decken lobt die Callcenter-Agenten: „Die haben uns allein 2010 rund 5000 neue Kunden gebracht.“ Das Erfolgsrezept? „Die einfache Maske auf dem Bildschirm, mit der die Mitarbeiter durchs Gespräch geführt werden, die lockere Arbeitsatmosphäre, der Teamspirit und das Entlohnungsmodell.“ Neben einer Grundvergütung gibt es Erfolgsprovisionen – aber nicht für den Einzelnen, sondern ausschließlich fürs Team. Die Folge: Man hilft sich gegenseitig.

Auch andere Callcenter widerlegen das Klischee. Etwa die rund 125 Mitarbeiter der Potsdamer und Berliner EOS Serviceline, dem Call Center des Inkassounternehmens EOS Deutschland. Sie mahnen im Auftrag von Gläubigern wie Versandhäusern oder Versicherungen säumige Verbraucher „konsequent, aber sympathisch“, sagt Heiko Simon, Qualitätskoordinator bei EOS Serviceline. EOS- Deutschland-Geschäftsführer Jürgen Borgartz ist mit der Arbeit der Mannschaft zufrieden: Im Inbound – also wenn sich die zuvor angeschriebenen Schuldner freiwillig bei der Hotline melden – würden bei 40 Prozent der Gespräche konkrete Zahlungsvereinbarungen erzielt, im Outbound – also beim „Hinterhertelefonieren“ – liege die Quote sogar bei 60 Prozent.

„Wir bilden die Mitarbeiter mehrere Wochen lang intensiv in Gesprächsführung aus und schulen sie regelmäßig weiter“, sagt Heiko Simon. Außerdem seien bei einem Inhouse-Callcenter Informations- und Entscheidungswege kurz. „Insgesamt führt ein eigenes Callcenter zu einer stärkeren Identifikation der Mitarbeiter mit dem Konzern.“ Das sei gerade bei heiklen Gesprächen über finanzielle Fragen wichtig.

Die Nachfrage nach einem telefonischen Mahnwesen steigt. „Nach einem persönlichen Kontakt sind viele Schuldner eher bereit, die Forderungen gegen sie zu bedienen, als dies zum Beispiel bei schriftlichen Mahnungen der Fall ist“, meint Jürgen Borgartz. Die wichtigste Fähigkeit, die in den zwei EOS-Callcentern verlangt wird, ist soziale Kompetenz. Oder auf gut Deutsch: Fingerspitzengefühl.

Wahre Anruferfluten hat zeitweise das Verbraucherportal Widge.de zu bewältigen. Die Hamburger beraten Privatkrankenversicherte kostenlos über einen Wechsel in einen günstigeren Tarif ihrer Versicherungsgesellschaft. „Sobald Verbraucher davon beispielsweise aus der Presse erfahren, rufen Hunderte fast gleichzeitig an und wir müssen auf unser Callcenter umstellen“, sagt Geschäftsführer Daniel A. Baumgartner. Die Agenten dort hätten gute Nerven und reagierten trotz des Stresses souverän. „Sie nehmen die Kontaktdaten der Anrufer auf und senden sie uns per E-Mail zu.“ So ein Dienstleister helfe enorm, die Kunden trotz des Ansturms in Ruhe weiter beraten zu können, meint der Widge.de-Chef.

Callcenter-Mitarbeiter werden nach wie vor gesucht. Derzeit gibt es nach Auskunft des Call Center Verbandes Deutschland rund 15 000 offene Stellen, davon einige 1000 im mittleren Management. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der „Call Center Gehalts- und Karrierevergleich 2011“ der Personalberatung TGMC und der Fachzeitschrift Teletalk. Jede zehnte Teamleiterstelle in Deutschland sei vakant, heißt es in der Februar- Ausgabe des Magazins. Überschlägig würden bei 500 000 Agents in Deutschland 3000 Teamleiter gesucht.

94 Prozent der Agents hätten sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, so ein weiteres Ergebnis der Umfrage. Allerdings arbeite nur gut ein Drittel in Vollzeit, und von den Teilzeitkräften wiederum die Hälfte unter 20 Wochenstunden. Entsprechend hoch sei die Fluktuation. Vielfach werde der Job als Callcenter-Agent nur als Übergangstätigkeit gesehen.

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