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Wirtschaft: Experten: Ohne Atomstrom geht es nicht

Ausstieg ist für 2021 geplant – doch Kernkraftwerke werden weiter gebraucht, sagt auch die Industrie

Berlin/München Der anhaltend hohe Ölpreis und die Debatte um die künftige Energieversorgung haben Hoffnungen auf eine längere Nutzung der Kernkraftwerke über das Ausstiegsjahr 2021 hinaus geweckt. Hubertus Schmoldt, Vorsitzender der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie glaubt sogar, der Ausstieg sei nur ein Beschluss auf Grundlage der gegenwärtigen Technikgeneration.

Nach der Vereinbarung zwischen Industrie, Energiewirtschaft und Regierung sollen zwar alle Atomkraftwerke in zwei Jahrzehnten abgeschaltet sein. Doch die Wirtschaft setzt darauf, dass die Restlaufzeiten ihrer Anlagen verlängert werden. Offiziell mag das keiner der Kraftwerksbetreiber Eon, EnBW, RWE oder Vattenfall bestätigen. In Konzernkreisen ist jedoch immer wieder zu hören, dass nach einem Wechsel der Bundesregierung im Jahr 2006 die Lockerung des Atomkonsenses ein Thema werden könnte. Bis dahin gilt die Devise: „Wir halten uns an den Atomausstieg“.

Auch Energieexperten wie Dieter Schmitt, Professor an der Hochschule in Essen, gehen davon aus, dass die Verlängerung der Kraftwerkslaufzeiten in einigen Jahren zur Diskussion steht. „Dafür gibt es gute Gründe.“ Denn selbst wenn regenerative Energien wie Wind, Wasser und Sonne in einigen Jahren doppelt so viel Strom lieferten, den Ausfall der Atomkraftwerke, die derzeit 31 Prozent des Stroms in Deutschland produzieren, könnten diese Energieträger nicht ersetzen, sagte Schmitt dem Tagesspiegel. Atomkraftwerke, die etwa 7000 Stunden im Jahr Energie liefern, werden vor allem für die Produktion von Grundlaststrom eingesetzt. Windräder sind im Schnitt 2000 bis 3000 Stunden im Einsatz und können daher nur Spitzenlast abdecken.

Die Wirtschaft hat trotz ihrer Unterschrift unter den Atomkonsens immer betont, dass sie die Option zur Nutzung der Kernkraft offen halten will. Um keinen neuen Streit mit den Gegnern der Kernkraft zu entfachen, heißt es heute nur hinter vorgehaltener Hand, es sei „jede Überlegung wert, die Anlagen über den vereinbarten Zeitraum hinaus zu nutzen“. Zumal Kernkraftwerke nach rund 30 Jahren Laufzeit noch lange nicht ihre Lebensdauer von 50 bis 60 Jahren erreicht haben. Energieexperte Schmitt glaubt jedoch nicht daran, dass alle Energieversorger ein Interesse daran haben, ihre Anlagen länger laufen zu lassen. „Wir sollten nicht so tun, als wenn alle Kernkraftwerke 60 Jahre genutzt werden.“ Vor allem ältere Anlagen müssten mit so hohen Investitionen nachgerüstet werden, dass sich der Betrieb nicht mehr lohnt. ErnstUlrich von Weizsäcker (SPD), Vorsitzender des Umweltausschusses im Bundestag, findet es jedoch geradezu absurd, ausgerechnet unter dem Gesichtspunkt Versorgungssicherheit über terrorgefährdete Atomkraftwerke zu debattieren.

„Eine Verlängerung der Laufzeit würden wir sehr begrüßen“, sagte Alexander Jonat von Framatome, einem Gemeinschaftsunternehmen von Siemens und dem französischen Atomkonzern Areva. Dafür spreche auch, dass die deutschen Anlagen technisch „immer noch in einwandfreiem Zustand“ und wirtschaftlich seien. Auch einen Neubau von Kernkraftwerken sähe Framatome positiv. Jonat wies allerdings darauf hin, dass das Investitionsvolumen für eine Anlage bei etwa drei Milliarden Euro läge. „Es ist fraglich, ob einer der deutschen Energieversorger so viel Geld dafür in die Hand nehmen würde“, sagte er. Zum Vergleich: Ein großes Kohlekraftwerk kostet bei modernster Technik derzeit nicht halb so viel.

Mit der Stilllegung aller Kernkraftwerke in Deutschland wäre das Thema Atomstrom aber nicht beendet. Schmitt weist darauf hin, dass Europa mehr und mehr zu einem großen Stromverbund zusammenwächst. „Da kann am Ende keiner mehr sagen, woher der Strom kommt.“ In Deutschland gibt es zwar keine Atommeiler mehr, doch in den Leitungen fließt französischer Atomstrom.

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