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Wirtschaft: Experten warnen Eichel vor Kurswechsel

„Höheres Defizit wäre Tod des Stabilitätspaktes“ / Finanzminister dementiert Berichte über Konjunkturprogramm

Berlin (avi/brö/dr/mot). Wirtschaftsexperten haben die Bundesregierung davor gewarnt, die Staatsverschuldung auszuweiten und erneut den Stabilitätspakt der Europäischen Union zu brechen. „Wenn die rotgrüne Koalition jetzt bewusst ein Überschreiten der Defizitgrenze in Kauf nimmt, ist der Stabilitätspakt tot – das wäre sehr schädlich“, sagte Wolfgang Wiegard, Vorsitzender des Sachverständigenrates, am Montag dem Tagesspiegel. Die EU-Kommission geht weiterhin davon aus, dass Berlin die Stabilitätskriterien 2005 einhalten kann.

Der Stabilitätspakt schreibt vor, dass die Neuverschuldung der Euro-Länder drei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsproduktes nicht überschreiten darf. Deutschland verstößt seit 2002 gegen den Stabilitätspakt. Auch in diesem und im nächsten Jahr, so heißt es im Frühjahrsgutachten der führenden Wirtschaftsinstitute, werde Deutschland die Maastricht-Grenze reißen.

„Der Pakt ist wichtig für die Stabilität des Euro“, sagte Wiegard. Einen Wechsel hin zu einer expansiven Finanzpolitik hält er für ökonomisch falsch. „Ein solcher Schwenk beißt sich in mehreren Punkten mit den Zielen der Agenda 2010. Außerdem würde dies dem Vertrauen der Bürger in die Finanzpolitik schaden“, urteilte der Regensburger Professor. Kurzfristig die Verschuldung zu erhöhen könne zwar einen konjunkturellen Impuls erzeugen. Dadurch werde das langfristige Wachstum aber geschmälert. Nötig seien jetzt mehr Reformen im Sinne der Agenda 2010, damit die Wirtschaft wieder dynamischer wachse. Wiegard: „Kurzfristiges Doping wirkt immer. Langfristig landet der Patient damit aber auf der Krankenstation.“

Auch Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, sieht den Plan der Regierung kritisch. „Wer im Moment die Reformen abbläst, hat nicht alle Tassen im Schrank.“ Wem es nur darum gehe, bequeme Subventionszahlungen fortzusetzen, wer Transferzahlungen nicht in Frage stellen wolle, der handele unverantwortlich und schaffe „eine schwere Hypothek für unsere Kinder und Kindeskinder“, sagte der Chefvolkswirt. Bundesfinanzminister Hans Eichel hat unterdessen die Presseberichte über eine Kehrtwende in der Haushaltspolitik zurückgewiesen. „Es bleibt beim Konsolidierungskurs“, sagte Eichel am Montag. Am Wochenende hatte es geheißen, die Regierung wolle die Ausgaben erhöhen und mehr in Bildung und Innovationen investieren. Vor allem Außenminister Joschka Fischer hatte sich entsprechend geäußert. CDU, CSU und FDP sprachen daraufhin von einem „Offenbarungseid“ der Regierung.

Die EU-Kommission sieht bislang keinen Beleg dafür, dass die Bundesregierung vom erklärten Kurs der Haushaltskonsolidierung abweichen will. Abgesehen von Zeitungsberichten liege der Behörde keinerlei Bestätigung für einen solchen Politikwechsel vor, sagte der Sprecher des neuen EU-Finanzkommissars Joaquin Almunia. An Neuigkeiten aus Berlin habe die Kommission nur die Senkung der deutschen Wachstumsprognose für das laufende Jahr zur Kenntnis genommen. Die darin von Berlin veranschlagte Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um 1,5 Prozent liege exakt auf dem Niveau der Frühjahrsprognose der Kommission.

In der Union drängen neben den neuen osteuropäischen Mitgliedern vor allem kleinere EU-Staaten auf die Einhaltung des Pakts. So sagte eine schwedische Regierungssprecherin dem Tagesspiegel: „Nach wie vor halten wir die Defizit-Obergrenze für ein wichtiges Element des Stabilitätspaktes. Wir können über eine Änderung reden, sollten das aber nur aus einer Position der Stärke tun, nicht aufgrund sinkender Einnahmen.“

Angesichts der zunehmenden Sorgen um den Haushalt 2005 war auch über einen möglichen Verkauf von Staatsanteilen an Post und Telekom spekuliert worden. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die die Aktien hält, wollte sich dazu am Montag nicht äußern. „Zu Marktgerüchten nehmen wir grundsätzlich keine Stellung“, sagte eine Sprecherin. Man werde zu gegebener Zeit über Verkäufe informieren. „Aktien werden nur dann platziert, wenn der Markt aufnahmefähig ist“, sagte die Sprecherin.

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