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Wirtschaft: Experten warnen: Jeder zweite Bescheid ist falsch

Bundesagentur zählt schon 75 000 Widersprüche / Weit weniger Ablehnungen als erwartet / Proteste laufen verhalten

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Berlin - Weit mehr Menschen als zuvor angenommen, haben Anspruch auf das neue Arbeitslosengeld II. Nur 6,5 Prozent der rund 2,7 Millionen eingegangenen Anträge sind abgelehnt worden, berichtete das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA), Heinrich Alt am Montag in Berlin. Die Behörden hatten mit einer Ablehnungsquote von etwa 23 Prozent gerechnet. Experten warnten jedoch am Montag davor, dass fast jeder zweite Bescheid fehlerhaft sei. „40 bis 50 Prozent der Bescheide sind falsch", sagte Angelika Klahr von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen in Berlin dem Tagesspiegel. Vor allem bei der Anrechnung von Einkommen und Vermögen des Arbeitslosen oder seines Lebenspartners würden viele Fehler gemacht. Klahr rät daher allen Betroffenen, ihre Bescheide bei Beratungsstellen überprüfen zu lassen.

Bei der Bundesagentur für Arbeit sind bereits 75 000 Widersprüche gegen die neuen Arbeitslosengeld II-Bescheide eingegangen. Die Zahl dürfte noch steigen, da die Widerspruchsfrist erst Ende Januar abläuft. Die BA prüft, ob die Widersprüche berechtigt sind. Falls ja, ändert sie den Bescheid. Lehnt sie den Widerspruch ab, müssen die Betroffenen vor den Sozialgerichten klagen. Damit es bei den Gerichten keine Engpässe gibt, haben sich nach Informationen des Tagesspiegels bereits zahlreiche Richter von den Verwaltungs- zu den Sozialgerichten versetzen lassen. Dennoch warnt der Vorsitzende des Rechtsausschusses, der CDU-Rechtsexperte Andreas Schmidt, vor einer drohenden Überlastung der Sozialgerichte. Zwar wird derzeit über eine Zusammenlegung von Verwaltungs- und Sozialgerichten diskutiert, die einen flexibleren Einsatz der Richter ermöglichen würde, mit einem Gesetzentwurf rechnet Schmidt aber frühestens Ende dieses Jahres.

In den Arbeitsagenturen ist der Start der „Hartz IV“-Arbeitsmarktreform am Montag offenbar ohne größere Probleme verlaufen.Trotz der jüngsten Softwarepannen ist das Arbeitslosengeld II nach Darstellung von Kommunen und Arbeitsagenturen pünktlich ausgezahlt worden. Nur rund 300 Empfänger holten sich das Geld vor Ort bar ab. Auch die Proteste zum Start der Reform blieben in den meisten Orten verhalten – anders als von den Organisatoren erhofft. Zwar waren nach Informationen des Leipziger Aktionsbündnisses Soziale Gerechtigkeit, das auch schon an der Organisation der Montagsdemonstrationen beteiligt war, Aktionen in 83 Städten geplant. In vielen Fällen beteiligten sich aber nur sehr wenige Menschen an den Demonstrationen unter dem Motto „Ein menschenwürdiges Leben für alle“.

Insgesamt meldete das Aktionsbündnis 15000 Teilnehmer, die Polizei zählte sogar nur wenige hundert. In der Protestbewegung überlegt man jetzt wie es weitergehen soll. So finden manche Anhänger von Attac, dass die Arbeitsagenturen die falsche Adresse für den Protest sind. Ganz ähnlich sieht man das auch bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und bei der PDS.

Noch im Sommer hatte Attac offensiv zu den Montagsdemonstrationen aufgerufen, diesmal beteiligte sich nur ein Teil der Ortsgruppen. „Der Protest beschränkte sich auf aktive Erwerbslosengruppen, während im Sommer nicht nur Betroffene erreicht wurden“, sagte Werner Rätz vom Attac-Koordinierungskreis Deutschland. Attac habe sich „größere Aktionen gewünscht“.

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