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EZB-Anleihenkauf: „Die Steuerzahler sind nicht betroffen“

Deutschland könnte vom EZB-Anleihenkauf sogar profitieren, schreibt unser Gastautor Paul De Grauwe. Der einzige Preis, den die Bürger für den Kauf der Staatsanleihen durch die Zentralbank zahlen, könnte eine höhere Inflation sein. Ein Kommentar.

Professor Hans-Werner Sinn hat im Tagesspiegel versucht zu begründen, warum deutschen Steuerzahlern Verluste aus dem Kauf von Staatsanleihen durch die EZB drohen. Dabei setzt er die Zentralbank einem privaten Unternehmen gleich. Das ist ein irreführender Vergleich. Ein privates Unternehmen benötigt Eigenkapital. Wenn es das verliert, weil seine Passiva, also Schulden und sonstige Zahlungspflichten sowie das Eigenkapital größer sind als der Wert seiner Aktiva (ausgereichte Kredite), dann ist das Unternehmen insolvent. Für die Zentralbank trifft das nicht zu. Bei ihr kann das Eigenkapital sogar negativ werden, ohne dass sie zusammenbricht.

Der Grund: Die Passiva einer Zentralbank bestehen im Wesentlichen aus Geld, das sie selbst schöpft, der sogenannten Geldbasis. Wer dieses Geld hält, hat keinen Anspruch auf die Aktiva der Zentralbank. Der Wert des Geldes ist auch unabhängig davon, welche Aktiva wie zum Beispiel Wertpapiere die Zentralbank besitzt. Der hängt nur von der Kaufkraft des Geldes ab, also wie viele Güter und Dienstleistungen es kaufen kann.

Durch den Kauf hören Staatsanleihen auf zu existieren

Wenn eine Zentralbank Staatsanleihen kauft, dann ersetzt sie nur eine Zahlungspflicht des öffentlichen Sektors durch eine andere. Staatsanleihen, die dem Käufer einen festen Zins versprechen, werden ersetzt durch eine monetäre Verpflichtung ohne Zinsversprechen, die aber ein Inflationsrisiko birgt. Im Moment des Kaufes durch die Zentralbank hören die Staatsanleihen faktisch auf zu existieren. Was bleibt, ist lediglich die Geldausgabepflicht der Zentralbank.

Gewiss, normalerweise behält sie die Anleihen in ihrer Bilanz und schafft so die Fiktion, dass sie noch existieren. Tatsächlich aber sind sie nur der Zahlungsanspruch eines Teils des Staates, der Zentralbank, gegenüber einem anderen Teil, der Regierung. Betrachtet man beides zusammen als öffentlichen Sektor, dann heben sich Zahlungsanspruch und -pflicht auf. Das zeigt sich auch am Zahlungsfluss. Wenn die Staatsanleihen in der Bilanz der Zentralbank bleiben, dann überweist die Regierung Zinsen an die Zentralbank, während diese das Zinseinkommen zurück an die Regierung schickt. Die Zentralbank könnte die Fiktion auch beenden und die Anleihen in den Schredder werfen. Es würde keinen Unterschied machen. Die Steuerzahler sind nicht betroffen.

Keine Zinsen mehr für die Anleihe

Es gibt aber eine Konsequenz für den Fiskus: Vom Moment des Kaufes an muss die Regierung de facto keine Zinsen mehr für die Anleihe zahlen. Vor dem Kauf durch die Zentralbank musste die Staatskasse Zinszahlungen an private Anleihebesitzer leisten und dafür Steuern erheben. Der einzige Preis, den die Bürger für den Kauf der Staatsanleihen durch die Zentralbank zahlen, könnte eine höhere Inflation sein. Aber wenn die Operation durchgeführt wird, um Deflation zu bekämpfen, wie das nun die EZB tut, dann kann das den Steuerzahlern nur nutzen und nicht schaden. Das gilt auch dann, wenn die erworbenen Anleihen auf dem Markt an Wert verlieren. Ja, man könnte den Wert dieser Anleihen in der Bilanz der Zentralbank sogar auf null setzen, und es würde keinem Steuerzahler schaden. Zwar würde der Wertverlust in der Bilanz der Notenbank das Eigenkapital mindern und vielleicht sogar aufzehren. Aber das wäre eine buchhalterische Operation. Eine Zentralbank ist eben keine Aktiengesellschaft, wie Professor Sinn schreibt. Sie braucht kein Eigenkapital.

Paul De Grauwe.
Paul De Grauwe.

© privat

Professor Sinn argumentiert nun, der Gewinntransfer von der EZB zu den nationalen Notenbanken und damit den Staatskassen könnte dauerhaft sinken oder ausfallen, wenn der Wert der erworbenen Staatsanleihen sinkt. Aber das ist keineswegs zwingend, sondern davon abhängig, wie der EZB-Rat entscheidet. Er könnte den Verlust auch mit den gebildeten Reserven verrechnen oder in die Zukunft fortschreiben. Und selbst wenn es dazu kommt, dann gibt es das Problem nur für 20 Prozent des Kaufprogramms für Staatsanleihen, das kürzlich beschlossen wurde. 80 Prozent dieser Anleihen werden in den Bilanzen der nationalen Zentralbanken bleiben und sind nicht Teil des gemeinsam getragenen Risikos. Die verbleibenden 20 Prozent werden Deutschland sogar Gewinn bringen, solange kein Staatsbankrott eintritt. Denn die Zinszahlungen der anderen Eurostaaten sind erheblich höher als jene, die Deutschland zahlt. Auf diesem Weg wird Steuergeld der anderen Euroländer der deutschen Staatskasse zugutekommen.

Paul De Grauwe ist Professor für politische Ökonomie am Europa-Institut der London School of Economics und Experte für Währungs- und Geldpolitik.

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