zum Hauptinhalt
EZB-Chef Mario Draghi.

© dpa

EZB-Chef Mario Draghi: Der mächtigste Mann Europas

Die Zypern-Krise zeigt: Nicht die Politik hat das Sagen, sondern EZB-Chef Mario Draghi.

Zwei Szenen aus jüngerer Zeit verdeutlichen besonders gut, was sich geändert hat: Es ist der Abend des 14. März, im achten Stock des Brüsseler Ratsgebäudes lauschen die 17 Staats- und Regierungschefs der Euro-Staaten einem Mann, der ihnen die Leviten liest. Er heißt Mario Draghi und hat eine Powerpoint-Präsentation dabei, die in einer auf solchen Gipfeltreffen bis dato unbekannten Schonungslosigkeit die Schwächen einzelner Euro-Staaten offenlegt: Die Arbeitslosenquoten in Griechenland und Spanien passen gar nicht mehr in die Skala, und in Frankreich geht die Schere zwischen Löhnen und Produktivität ungebremst weiter auf. Präsident François Hollande, so berichten es EU-Diplomaten, soll sinnbildlich geschluckt haben.

Die zweite Szene spielt sich zehn Tage später ab, am vergangenen Wochenende. Unter den Finanzministern der Euro-Zone, die zu einer kurzfristig anberaumten Krisensitzung nach Brüssel gerufen worden sind, um die eskalierende Zypernkrise zu beenden, wird die Stimmung immer schlechter. Es ist zehn Uhr am Sonntagabend, und ihr Treffen war für sechs angesetzt. Doch sie müssen warten, weil andere die entscheidenden Gespräche mit dem zyprischen Präsidenten Nikos Anastasiades führen. Neben EU-Ratschef Herman Van Rompuy sind das Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), und eben Mario Draghi. Als die Runde mit dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) den Mann aus Nikosia weichgekocht hat, geht es ganz schnell. Die Finanzminister treten formal noch für zwei Stunden zusammen und segnen den Beschluss ab, den Draghi mitgeformt hat.

„Die Rolle der Europäischen Zentralbank war einmal sehr langweilig“, sagt ein belgischer EU-Diplomat nur halb im Scherz, „sie musste sich nur darum kümmern, dass die Inflation nicht über zwei Prozent steigt.“ Tatsächlich ist es laut Artikel 127 des EU-Vertrags das „vorrangige Ziel“ der EZB, „die Preisstabilitat zu gewährleisten.“ Die Wirtschaftspolitik darf sie nur unterstützen, „soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist“. Von politischen Verhandlungen und Euro-Rettungsmaßnahmen dagegen steht nichts in den Verträgen, von Ultimaten erst recht nicht.

Erst die Drohung, Banken auf Zypern keine Notkredite mehr zu gewähren, sollte die Regierung den von den Eurostaaten geforderten Maßnahmen nicht zustimmen, führte zu deren Einlenken. „Zwischen vergangenem Samstag und heute lag das Frankfurter Ultimatum“, sagte ein zyprischer Regierungsbeamter im Anschluss an den Sinneswandel seines Präsidenten.

Es ist der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die 2010 begann. Erst kaufte die EZB griechische Staatsanleihen auf, später spanische und italienische, die normale Investoren angesichts eines erhöhten Pleiterisikos mieden. Zwei Mal flutete die Zentralbank 2011 den Bankenmarkt mit billigem Geld, um eine Kreditklemme in Europa zu verhindern. Am 26. Juli 2012 schließlich – vier Wochen nach einem weiteren Euro-Krisengipfel, der die Lage wieder nicht entschärfen konnte – sprach Mario Draghi auf einer Konferenz in London zwei inzwischen schon historische Sätze. „Die EZB ist im Rahmen ihres Mandats bereit alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten“, sagte der in Amerika ausgebildete Ökonom und frühere Goldman-Sachs-Vizepräsident: „Und glauben Sie mir, es wird reichen.“

Später beschloss die Zentralbank, Schuldtitel von Euro-Staaten notfalls in unbegrenzter Höhe aufzukaufen, wenn diese mit den EU-Partnern ein Spar- und Reformprogramm vereinbaren. Es war die Gemeinschaftshaftung durch die Hintertür, da für jeden Euro, den Europas Zentralbank riskiert, Europas Steuerzahler bürgt. Der Italiener Draghi führte de facto jene Euro-Bonds ein, auf die sich die Politik nicht einigen konnte, weil viele Wähler sie fürchten.

Der Politiker Mario Draghi kommt entsprechend nicht überall gut an. „Die EZB hat den verbotenen Weg der Staatsfinanzierung durch die Druckerpresse eingeschlagen“, kritisiert etwa Lüder Gerken vom Centrum für europäische Politik, einem ordnungspolitischen Think Tank aus Freiburg. Und auch in Kreisen der Bundesbank, deren Protagonisten Jürgen Stark und Axel Weber im Zuge dieser Entwicklung das Handtuch warfen, wird Draghis Kurs weiter „generell kritisch“ gesehen. „Wir fragen uns, ob das Programm in Italien nicht mehr Schaden als Nutzen angerichtet hat“, heißt es bei den einstigen Gralshütern der D-Mark: „Es sollte Ministerpräsident Mario Monti genug Zeit geben, in Ruhe zu arbeiten. Nun ist er weg und einer neuen Regierung der Handlungsdruck genommen.“ Denn dass sich die Lage mittels einer bloßen Ankündigung erst einmal beruhigt hat, stellt auch bei der Bundesbank keiner infrage. Gekostet hat das bisher nichts.

„Vor ein paar Monaten hätte ich auch noch schön ordnungspolitisch argumentiert“, räumt Herbert Reul ein, der Chef der CDU-Abgeordneten im Europaparlament. Inzwischen verteidigt er die Interventionen der europäischen Zentralbanker: „Gott sei Dank, dass es die Typen gibt. Sie waren in vielen Fällen extrem hilfreich.“ Auf die Frage, ob das alles ohne Rücksprache erfolge, antwortet der oberste Vertreter der deutschen Regierungspartei im Europaparlament ohne Umschweife: „Nein, natürlich nicht.“

Weisungen, wie sie nach Artikel 130 des EU-Vertrags verboten sind, gab es sicher nicht, auch aus Berlin nicht. Und gut möglich, dass die Mitgliedstaaten auch nicht unzulässigerweise versuchen, Handlungen der EZB zu beeinflussen. Der Eindruck aber, dass in der Krise Hand in Hand gearbeitet wird, drängt sich schon auf. „Die Zentralbank“, urteilt der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold, „ist in ihrer Unabhängigkeit immer mehr gefährdet.“

Am klarsten zeigt sich die politische Kooperation der Bank in der sogenannten Troika. Zusammen mit den Finanzexperten des IWF und der EU-Kommission verhandeln die Fachleute der EZB in den Krisenländern über die Bedingungen, die im Gegenzug für Rettungsmilliarden vereinbart werden. Politischer geht es kaum, wenn Arbeitsmarktreformen oder Rentenkürzungen verlangt werden.

Anhand des Beispiels Zypern erläutert der belgische EU-Diplomat, dass die Zentralbankexperten durch ihr Troika-Engagement eben längst nicht mehr nur Zahlenkolonnen vor sich haben, sondern „auch die geopolitischen Auswirkungen mitdenken müssen“. Was passiert mit den Beziehungen zu Russland, wenn deren Anleger geschröpft werden? Wird Zypern für Moskau zum Brückenkopf Richtung Syrien oder Nordafrika, wenn der russische Einfluss auf Zypern nicht zurückgedrängt wird? Und wie wirkt sich die Krise auf das Verhältnis zur Türkei aus? Der Diplomat räumt ein, dass solche Gedanken in Zentralbankerköpfen nicht viel verloren haben, beharrt aber darauf, dass die EZB in der Troika gebraucht wird: „Wir brauchen ihre finanztechnische Expertise. Auf den IWF alleine sollten wir nicht vertrauen.“

Die Regierungen machten es sich damit zu leicht, sagt der Grüne Giegold und fordert von Merkel & Co. eine Entscheidung: „Entweder habe ich eine unabhängige Zentralbank oder ich nutze sie als politische Brechstange – dann muss sie sich aber auch demokratisch dafür verantworten. Beides geht nicht.“ Mario Draghi und seine Kollegen im EZB-Direktorium treffen sehr weitreichende Entscheidungen, obwohl sie nur von Europas Regierungen ernannt, aber nicht gewählt sind.

„Mario Draghi muss schauen, dass er aus dieser politisierten Rolle herauskommt“, heißt es bei der Bundesbank. Interessanterweise wird dort gerade das hochpolitische Zypern-Ultimatum als Rückkehr auf den Weg ordnungspolitischer Tugend gesehen. Zu lange sei Geld an Banken geflossen, die quasi pleite waren. Nun, so heißt es mit Verweis auf einige griechische Institute und die belgisch-französische Dexia, sollten auch „alle anderen problematischen Fälle bereinigt werden“.

Draghi selbst ruft stets nach mehr politischem Handeln der Regierungen. „Es gibt klare Grenzen, was mit der Geldpolitik erreicht werden kann und was mit ihr angestrebt werden sollte“, sagte er fast demütig in einer Rede Ende Februar an der Katholischen Akademie in München: „Wir können keine unsoliden Haushalte in Ordnung bringen. Wir können strauchelnden Banken nicht wieder auf die Beine helfen. Wir können nicht die tief verwurzelten strukturellen Probleme der Volkswirtschaften in Europa lösen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false