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Wirtschaft: Familienpolitik in Deutschland: Die Geburtenrate steigt wieder an

Die eifrigen schwedischen Gesellschaftsplaner atmen auf: Denn im vergangenen Jahr ist die Neugeborenenzahl bei dem skandinavischen Nachbarn endlich wieder angestiegen, und die daraus hochgerechnete Geburtenzahl je Frau hat sich auf 1,55 erhöht, womit Schweden über dem Durchschnitt in der Europäischen Union liegt. Sozialwissenschaftler führen als Grund für die Steigerung nicht in erster Linie die großzügige Familienförderung an, sondern die Erholung der Konjunktur.

Die eifrigen schwedischen Gesellschaftsplaner atmen auf: Denn im vergangenen Jahr ist die Neugeborenenzahl bei dem skandinavischen Nachbarn endlich wieder angestiegen, und die daraus hochgerechnete Geburtenzahl je Frau hat sich auf 1,55 erhöht, womit Schweden über dem Durchschnitt in der Europäischen Union liegt. Sozialwissenschaftler führen als Grund für die Steigerung nicht in erster Linie die großzügige Familienförderung an, sondern die Erholung der Konjunktur.

Bis Anfang der 90er Jahre erlebte Schweden einen Babyboom mit 124 000 Neugeborenen im Jahre 1991 (bei 8,7 Millionen Einwohnern). Das hieß 2,13 Kinder pro Frau. Dann sank aber die Geburtenzahl bis 88 000 im Jahre 1999, und man erreichte den langjährigen Tiefstand der Erwartung von 1,5 Kindern. Erstmals seit Anfang des 19. Jahrhunderts überstieg die Todes- die Geburtenziffer - trotz der hohen Zuwanderung von Flüchtlingen. Im vergangenen Jahr aber wendete sich die Kurve wieder nach oben auf 90 000 neue Schweden (1,55). Setzt sich diese Entwicklung fort, könnte die Geburtenrate im Laufe eines Jahrzehnts auf 1,8 ansteigen. Schon aber hat Schweden einen Mittelplatz in der Europäischen Union erreicht, erheblich vor Deutschland und den südeuropäischen Ländern.

Sozialwissenschaftler verweisen als wesentlichen Grund für den Rückgang während der 90er Jahre auf die tiefe Wirtschaftskrise, die Schweden 1990 traf. Der weit verbreitete Pessimismus förderte nicht den Wunsch nach Nachwuchs. Außerdem stieg die Zahl der Studierenden stark an, was den Eintritt ins Berufsleben und damit ins Verdienen hinauszögert. Hinzu kommen tiefe Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur des Landes. Weit mehr junge Schweden leben heute ohne Partner, und ein Drittel der 30-jährigen allein stehenden Frauen gab 1999 an, sie rechneten nicht damit, Mutter zu werden. Inzwischen ist es der sozialdemokratischen Regierung gelungen, die Finanzen zu sanieren und die Wirtschaft anzukurbeln. Das hat neuen kinderfreundlichen Zukunftsoptimismus erzeugt. Die Wiederherstellung von während der Krise gekürzten Sozialleistungen und die neuen Errungenschaften, die Schweden sich jetzt dank der verbesserten Haushaltslage leisten kann, stimulieren gewiss auch das Kinderkriegen.

Erhöhung des Kindergeldes

Zur vergangenen Jahreswende wurde das Kindergeld auf 950 Kronen (200 Mark) pro Monat für die ersten beiden Kinder, 250 Mark für das dritte, 360 Mark für das vierte sowie 400 Mark für weitere Kinder erhöht. Der Elternurlaub, den Mütter und Väter sich teilen können, wird 2002 um einen auf 13 Monate verlängert; die Bezahlung wurde bereits im vergangenen Jahr wieder um fünf auf 80 Prozent des Einkommens bis zu einer Obergrenze von etwa 5000 Mark im Monat erhöht. Hinzu kommen 90 sogenannte Garantietage, für die der Tagessatz in zwei Schritten auf 38 Mark verdreifacht wird. Außerdem darf Mutter oder Vater je Kind im Krankheitsfall 60 Tage im Jahr mit 80 Prozent des Einkommens zu Hause bleiben, und mit derselben Bezahlung sechs sogenannte Kontakttage pro Kind und Jahr zum Besuch in Kindergarten oder Schule frei nehmen. Um die Verbindung von Erwerbstätigkeit und Elternschaft zu erleichtern, können Väter und Mütter ihren Arbeitstag um zwei Stunden verkürzen, allerdings ist das auf Druck der schwedischen Arbeitgeber mit einem entsprechenden Lohnausfall verbunden.

Betreuung für alle Kinder

Ein anderes Herzstück der Familienpolitik ist das so gut wie erreichte Ziel, das für praktisch alle Kleinkinder Krippen-, Kindergarten- oder Tagesmutterplätze zur Verfügung stehen; das soll sowohl die Berufstätigkeit der Frauen (heute fast 90 Prozent) als auch die politisch erwünschte Erziehung der Kinder in der Gemeinschaft fördern.

Eine Trendwende unter den Schweden, die alle Fürsorge vertrauensvoll dem öffentlichen Sektor überließen, bedeutet die erhebliche Zunahme privater Kindertagesstätten, denen Förderung wie den kommunalen zusteht. Noch Aufsehen erregender ist eine Neuerung bei den Monatsgebühren für den Kindergartenplatz. Ab 2002 müssen die Eltern nicht mehr je nach Einkommen bis zu annähernd 840 Mark zahlen, sondern nur noch höchstens 250 Mark für das erste, 160 Mark für das zweite und 80 Mark für das dritte Kind, alle weiteren sind gebührenfrei; ähnliche drastische Senkungen gibt es bei den Freizeitheimen für Schulkinder. Die Erleichterungen gelten für alle, auch für Multimillionäre. Dies soll die Belastungen der Elternschaft zum Wohle der Geburtenrate mindern, doch die symptomatische politische Erklärung für die weitgehende Abschaffung der Einkommensabhängigkeit der Gebühren lautet: "Auch Gut- und Hochverdiener sollen etwas von der Wohlfahrt haben, sonst schwindet die gesellschaftliche Unterstützung für dieses (mit stark progressiven hohen Steuern finanzierte) Gut." Dies ist sozusagen die "umgekehrte" Argumentation zu früher, als die Sozialdemokraten in erster Linie propagierten: "Nehmt den Reichen, um es den Armen zu geben." Fernziel der Regierung: Der Kindergarten soll, wie seit jeher die Schule, kostenlos für alle Schweden, ob arm oder reich, gleichermaßen sein.

Jörgen Detlefsen

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