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Zu wenig Strategie und Botschaft? FDP-Chef Christian Lindner steht in der Kritik.

© dpa / Michael Kappe

FDP-Chef unter Druck: Das System Lindner stößt an seine Grenzen

Ohne ihn geht bei den Liberalen wenig. Mit ihm läuft aber auch nicht viel. Was die Niederlagen der FDP bei den Landtagswahlen über Christian Lindner verraten.

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Eizellspende? Ist das sein Ernst? Die deutsche Wirtschaft trudelt in eine Rezession. Gewinne brechen ein, Kurzarbeit droht. Selbst Marktwirtschaftler reden massiven Staatsinvestitionen das Wort und wollen die Schuldenbremse lockern. Dazu der globale Zollkrieg, die Gefahr, dass die Welt im Protektionismus untergeht.

Doch worüber redet Christian Lindner am Ende einer viertägigen Klausurtagung seiner Partei- und Fraktionsführung im thüringischen Jena am vergangenen Freitagnachmittag?

„Wir stehen an der Seite der Menschen, die sich sehnlichst ein Kind wünschen“, sagt er da. Bestimmt interessiert die Fortpflanzungsmedizin viele Paare, die sich vergeblich Nachwuchs wünschen. Ist deren Schicksal aber das, was einen FDP-Vorsitzenden in diesen Tagen am meisten bewegen sollte?

Lindner ist ein Intellektueller, ein Politik-Profi mit Erfahrung und Machtbewusstsein. Er könnte das: Ein Konzept für die Zukunft entwerfen, freiheitlich, in Verantwortung. Ein Konzept, wie wir die Klimakrise meistern und trotzdem unseren Wohlstand sichern. Er könnte grundlegende Fragen beantworten. Wer, wenn nicht er sollte darauf Antworten geben, Lösungen aufzeigen?

Lindners schwerster Fehler: Die Flucht aus Jamaika

Eigentlich könnte Christian Lindner in diesem Herbst auf dem Höhepunkt seines politischen Erfolgsweges stehen. Ihm ist es vor zwei Jahren gelungen, eine inhaltlich ausgezehrte, eine totgeglaubte Partei zurück in den Bundestag zu führen. Erfahrene, Seiteneinsteiger, Junge, Ältere, Frauen und Männer hat er zuvor in einem bemerkenswerten Programmprozess zu einer frischen politischen Kraft vereint, der man abgenommen hat, dass sie das Land mit seinen Problemen versteht und mit einer Mischung aus Ernsthaftigkeit und lockerem Optimismus an Lösungen arbeiten kann.

Groß war der Jubel, als die Wähler Lindners neuer FDP schließlich am 24. September 2017 mit 10,7 Prozent den Wiedereinzug im Bundestag erlaubten. Selbst im Osten, wo die Freidemokraten lange Zeit als kalte Neoliberale verachtet wurden, zollte man seiner Truppe Achtung. „Hut ab!“, tönte es damals auch im Lager der politischen Gegner.

Lange ist das her. Und längst vergessen sind die Tage des Aufschwungs. Geblieben ist lediglich dieser eine Satz: „Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ Immer und immer wieder stemmt sich Lindner seither gegen dessen Deutung als Akt der Feigheit, in der Politik Verantwortung zu übernehmen und Kompromisse zu akzeptieren.

Bis heute schallt ihm der Vorwurf entgegen: Jamaika, jenes Bündnis aus Union, Grünen und FDP, hätte das Land nach der Wahl vor weiteren bleiernen schwarz-roten Jahren bewahren können, die die Union beinahe zerrissen haben, die SPD an den Rand des Untergangs führten und vor allem: Die der AfD immer mehr von der Regierungspolitik Frustrierte zutreiben.

Dass er in jener Nacht zum 20. November 2017 einen schweren Fehler beging, weiß Lindner längst, auch wenn er das hartnäckig leugnet. Wie folgenschwer sein Schachzug allerdings sein würde, das zeigt sich erst jetzt so richtig. Obwohl seither fast zwei Jahre vergangen sind, wird die FDP noch immer damit konfrontiert: Warum soll man eine Partei wählen, die kneift, sobald es brenzlig wird, die nur regieren will, wenn sie mehr Macht bekommt, als ihr zusteht?

Als es am vorvergangenen Wochenende in Sachsen und Brandenburg um die Frage ging, wie man die AfD bekämpft, hatte niemand Lindners FDP auf dem Zettel. In beiden Bundesländern verpassten die Liberalen den Einzug in die Landtage. Vielleicht war vielen Wählern nicht klar, wozu die Partei gebraucht wird. Für die Abschaffung des Solis zum Beispiel steht bereits die Union. Und machtstrategisch? Die Frage, wie stabile Mehrheiten gegen die AfD zustande kommen, beantworten CDU, Sozialdemokraten, Grüne und Linke in wechselnden Bündnissen.

„Wir sind die Profis unserer Generation“

Hat Lindner das Glück verlassen oder ist es mehr? Verbirgt sich hinter dem Bedeutungsverlust am Ende ein politisches Theaterstück, in dessen Prolog dem sich nach modernen und liberalen Projekten sehnenden Publikum vorgespielt wurde, dass aus den Trümmern der Westerwelle-FDP eine frische und kraftvolle Freiheitskraft emporgestiegen ist? Und sich nun herausstellt, dass da nur große Leere ist?

Es mangelt nicht nur an glaubwürdigen Konzepten. Es fehlt auch eine Mannschaft, die ihren Parteivorsitzenden mit Kompetenz und Strahlkraft stützt. Stattdessen nur er selbst: Christian Lindner.

Sein Parteiprogramm kennt er auswendig, auf jede Frage hat Lindner eine Antwort parat. Die Auseinandersetzung, argumentieren und überzeugen, das liegt ihm. Vor allem die wirklich heiklen Themen liebe er, sagt der FDP-Chef über sich selbst. Doch inzwischen scheint er sein Gespür dafür verloren zu haben, wie man heiße Eisen anpackt, ohne sich daran zu verbrennen.

Am deutlichsten zu sehen war das in diesem Sommer, als Lindner erklärte, man möge den Klimaschutz „den Profis überlassen“. Der Angriff auf die Schülerdemos der „Fridays for Future“ löste einen Proteststurm aus der Mitte der in weiten Teilen inzwischen grün gewendeten Gesellschaft aus. Selbst die sonst so braven Jungen Liberalen (JuLis) attackierten Lindner. „Wir sind die Profis unserer Generation“, wies JuLi-Chefin Ria Schröder ihren Parteichef zurecht.

JuLi-Chefin Ria Schröder beim FDP-Bundesparteitag im April 2019.
JuLi-Chefin Ria Schröder beim FDP-Bundesparteitag im April 2019.

© Britta Pedersen/dpa

Richtig Abstand nehmen von seiner „Profi“-Aussage wollte Lindner trotz der kollektiven Wut gegen ihn nicht. Er tat stattdessen, was geschwächte Politiker in solchen Situationen gerne tun: Lindner erklärte, dass alles nicht so gemeint zu haben. Er habe nur zum Ausdruck bringen wollen, wie komplex die Klimapolitik sei und dass man mehr wissenschaftliche Expertise brauche und weniger Sprechchöre auf Schülerdemos.

Auch er könne als studierter Politologe nicht fachkundig über die schwierigen Details der Klimaforschung urteilen. Genutzt hat ihm das nichts. Sein Versuch, den Grünen einen Kontrapunkt entgegenzusetzen, ist gescheitert.

Fehlende Inhalte? „Ändern wir das!“

Lindner macht gegen die Grünen einfach keinen Stich. Vielmehr erweckt er immer wieder den Eindruck, sich zu verkämpfen, wenn er sich an der Öko-Partei abarbeitet. Die lässt Lindners Angriffe abprallen. Von der Debatte über SUVs bis hin zu seinem Vorwurf, Grünenchef Robert Habeck träume von „einem fleischlosen Land“ – nie wirkt Lindner so, als gehe sein Plan auf.

Dass er gegen den Zeitgeist nicht ankommt, mag der FDP-Chef verkraften. Dass er es sich mit Sprüchen wie von den „Profis“ aber vor allem mit den Jungen verscherzt, dürfte ihn schon schmerzen. Ist die Jugend doch eigentlich seine Hauptzielgruppe. So stolz war er einst auf die FDP-Erfolge bei den Jungwählern.

Fragt man die Liberalen, ist die kritische Selbst-Diagnose erstaunlich präzise: Taktische Züge statt Strategie, diffuse Botschaften statt durchdachter Politikansätze, keine überzeugenden Antworten auf die Frage: Was heißt es heute liberal zu sein?

Dazu Managementfehler des Chefs: Zu viele Selbstdarsteller in der Bundestagsfraktion, zu wenig Gemeinsamkeit in der Partei, Fehler in der Personalführung. Eine FDP, die auch nach zwei Jahren den Verdacht nicht abschütteln kann, kaum mehr zu sein, als das Produkt einer Marketingkampagne zur Selbstdarstellung ihres Vorsitzenden. Der hat inzwischen zumindest eingestanden, dass es der FDP an Inhalten fehle. „Ändern wir das“, twitterte er am Montag.

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Bei den Liberalen herrscht allgemeines Schulterzucken: „Wer soll`s denn sonst machen?“ Keine Inhalte? „Ändern wir das“, twitterte Christian Lindner nach dem Wahldebakel seiner Partei in Brandenburg und Sachsen.

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