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Wirtschaft: Film ab – größte Razzia gegen Raubkopierer

Ein Münchener Anwalt und drei Thüringer sollen 45 000 Kunden über das Internet mit neuen Kinostreifen versorgt haben. Nun sind die Verdächtigen in Haft.

Lange Zeit galt eine Münchener Anwaltskanzlei als der Schrecken der Raubkopierer. Im Auftrag der Industrie ging sie gegen den illegalen Tausch von Computerspielen und andere Urheberrechtsverletzungen vor. Ausgerechnet ein Mitinhaber der Kanzlei wechselte jedoch offenbar später auf die Seite der Raubkopierer. Am Donnerstag schlugen Polizisten und Staatsanwälte zu: Anwalt S. wurde wegen des Verdachts der illegalen Verbreitung von Kinofilmen über das Internet verhaftet – zusammen mit drei 19- bis 30-jährigen Beschuldigten aus Thüringen. Die Fahnder durchsuchten Wohnungen und Geschäftsräume. Vom „vermutlich weltweit größten Schlag“ gegen kommerzielle Anbieter von Raubkopien spricht die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU). Die Organisation kämpft im Namen der Film- und Computerindustrie gegen illegale Kopien.

Die Raubkopienseite namens „www.ftpwelt.com“ habe seit Juni 2003 rund 45000 Kunden bedient und dabei Einnahmen von knapp einer Million Euro erzielt, gab die Staatsanwaltschaft Mühlhausen in Thüringen am Donnerstag bekannt. Anwalt S. sei „für „Rechtliches, Buchhaltung und Finanzen“ verantwortlich gewesen. Laut Unterlagen, die sowohl dem Tagesspiegel als auch den Ermittlern vorliegen, flossen die Einnahmen und Ausgaben mutmaßlich über ein Konto der Kanzlei. Außerdem scheint der Anwalt S. auch Aufträge an Rechenzentren erteilt zu haben, um das kriminelle Netzwerk weiter auszubauen.

Anders als in den bekannteren Internet-Tauschbörsen gab es aktuelle Kinofilme, Computerspiele und Musikdateien dort nur gegen Entgelt. Diese „hohe kriminelle Energie“ und das „hoch professionelle, konspirative Vorgehen“ seien einzigartig, sagt der Chefermittler der GVU, Bernd Kulbe. Den monatlichen Umsatz beziffert er auf zuletzt rund 120000 bis 140000 Euro – „mit steigender Tendenz“. Der Schaden für die Filmindustrie belaufe sich auf einen zweistelligen Millionenbetrag. Schließlich sei davon auszugehen, dass Kunden die heruntergeladenen Filme weiter vervielfältigten.

Manche Streifen gehörten schon eine Woche vor ihrem Kinostart zum Angebot der Raubkopienseite. Mindestens einer der Beschuldigten aus Thüringen steht im Verdacht, Kontakt zu so genannten Erstveröffentlichern zu haben. Diese nehmen Filme zumeist mit Videokameras in Kinosälen auf. Die Filme seien bei „ftpwelt“ früher als in Internet-Tauschbörsen verfügbar und in „atemberaubender Geschwindigkeit“ herunterzuladen, warb die Seite. Auf einem Prüfsiegel einer erfundenen „Stiftung Downloadtest“, das aussah wie eine Bewertung der Stiftung Warentest, benoteten sich die Betreiber selber mit „sehr gut“.

Als Zahlungsmittel akzeptiert waren Kreditkarten, Banküberweisungen und kostenpflichtige Anrufe bei einer 0190er-Telefonnummer, die später über die Telefonrechnung abgerechnet wurden. Die unterschiedlichen Pauschalpreise galten jeweils für bestimmte Datenmengen. Für rund 15 Euro ließen sich zwei bis drei Filme herunterladen. Die Namen der 45000 Kunden könnten die Behörden wohl anhand der im Computersystem gespeicherten Listen der Zahlungsvorgänge herausfinden. Dem Vernehmen nach müssen die Nutzer aber keine Strafverfolgung fürchten. Die Vielzahl von Verfahren würde die Justiz vermutlich überlasten. Auch der GVU und den dort organisierten Filmkonzernen genügt es vorerst, die „Vertriebsstrukturen zu zerschlagen“.

Im Haftbefehl wird dem Anwalt S. nicht nur die „gewerbsmäßige Vervielfältigung“ urheberrechtlich geschützter Werke vorgeworfen. Es gehe eventuell auch um die „Bildung einer kriminellen Vereinigung“, bestätigte der Leitende Oberstaatsanwalt auf Nachfrage. Die Betreiber der Seite könnten sich außerdem möglicherweise der Steuerhinterziehung schuldig gemacht haben, allerdings lägen dazu noch keine Erkenntnisse vor. Die GVU, von der die Strafanzeige stammt, will auch Verstöße gegen Jugendschutzbestimmungen prüfen lassen. Anscheinend waren Sexfilme ohne die vorgeschriebene Alterskontrolle abrufbar.

Die Hintermänner hatten ihre Spuren gründlich verwischt. Die Rechner standen offenbar im europäischen Ausland, während ein eigens entwickeltes Einwahlprogramm interkontinentale Verbindungen vortäuschte. Registriert war die Seite über eine Briefkastenfirma auf den Jungferninseln.

Doch mit einem hatten die Beschuldigten nicht gerechnet: Einem Hacker gelang es, unbemerkt in das Computersystem einzudringen. Der junge Mann soll verärgert über Aktivitäten der Kanzlei gewesen sein, heißt es. Monatelang hatte er Zugriff auf brisante Daten des Raubkopien-Netzwerks – darunter E-Mails, Abrechnungen, Kundendaten sowie Angaben zu Bankverbindungen und den Standorten der Rechenzentren. Diese Indiziensammlung ging bereits vor Monaten über einen Mittelsmann der Polizei, der GVU, dem Tagesspiegel und der Computerzeitschrift c’t zu. In Absprache mit den Ermittlern warteten beide Medien bis jetzt mit der Veröffentlichung. Zuletzt ließ die federführende Staatsanwaltschaft Mühlhausen auch Telefone überwachen und die Verdächtigen beschatten.

Trotz des jüngsten Ermittlungserfolgs gibt es Raubkopien von Kinofilmen weiterhin in großer Zahl im Internet; in Tauschbörsen kursieren die Streifen nach wie vor. Die Quantität und Qualität des Angebots hat jedoch abgenommen. Immer öfter gibt es die Filme auch erst nach der Kinopremiere. Bereits im Frühjahr waren bei rund 800 Hausdurchsuchungen und Razzien in Rechenzentren große Teile der deutschen Erstveröffentlicher-Szene aufgeflogen – darunter zwei Gruppen, die in Zusammenarbeit mit Filmvorführern die Szene mit guten Kopien versorgt hatten.

Auch die nun geschlossene Bezahlseite „ftpwelt“ erfüllte längst nicht alle Ansprüche von Cineasten und griff oft auf schlechtes Material zurück. Bereits im Juni hatte der Tagesspiegel dort als Teil der Beweissicherung „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ heruntergeladen. Die im Kinosaal abgefilmte Kopie wurde vermutlich für alle, die dafür bezahlt hatten, eine herbe Enttäuschung. Das Bild war nicht nur äußerst dunkel, sondern auch stark in den Proportionen verzerrt.

Der verhaftete Münchener Anwalt ist übrigens in weitere dubiose Geschäfte verwickelt. In die Schlagzeilen geriet er bereits als Geschäftsführer einer Firma, die Internet-Einwahlprogramme (Dialer) für teure 0900er-Rufnummern vermarktet. Dialer sind zwar in der Regel nicht illegal, werden von Kritikern wie der Verbraucherzentrale Berlin jedoch immer wieder als „Abzocke“ gebrandmarkt. Auch diese Einnahmequelle dürfte für den Anwalt nun versiegen.

Mehr zum Thema im Internet:

www.gvu.de

www.heise.de

Zu den illegalen Filmkopien auf der Internetseite „ftpwelt“ gehörte der aktuelle Spitzenreiter der Kino-Charts, „The Village – Das Dorf“. Verfügbar wurde der Streifen am Tag des deutschen Leinwandstarts. Bei „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ hatte es im Juni nur einen Tag länger gedauert.

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