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Finanzbranche: Nach der Krise ist vor der Krise

Die Ober-Notenbank BIZ warnt vor einem neuem Finanzcrash – das G-20-Treffen in Kanada hat die Probleme nicht gelöst.

Berlin - Die Welt steht vor einer neuen Krise – und die könnte noch folgenreicher werden als die Verwerfungen nach der Lehman-Pleite. „Was wir Ende 2008 und Anfang 2009 erlebt haben, könnte sich durch einen Schock beliebiger Größenordnung wiederholen“, warnte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) am Montag in Basel. Angesichts leerer Staatskassen könne die Politik darauf aber nicht reagieren. Eine einheitliche Reaktion der G-20-Länder auf die Krise ist nach dem Gipfel von Toronto aber unwahrscheinlich.

„Der Spielraum für wirtschaftspolitische Maßnahmen ist enger geworden“, urteilte BIZ-Generalsekretär Jaime Caruana. Nach drei Jahren Krise seien die kurzfristig wirksamen Gegenmittel von Regierungen und Notenbanken erschöpft. Angesichts der Anfälligkeit des Finanzsystems für Schocks drohe ein „Rückfall“, der die Reformbemühungen untergraben könne, sagte er.

Nach der Pleite der Lehman-Bank hatten die Staaten in aller Welt mit Milliardensummen Banken und Konjunktur stabilisiert, nun kämpfen sie mit hohen Defiziten. Die BIZ gilt als Notenbank der Notenbanken, bei ihr läuft das Wissen über die globalen Geldströme zusammen. Sie warnte als eine der wenigen bereits Jahre vor Ausbruch der Krise Mitte 2007 vor einer Überhitzung am US-Häusermarkt und einer Kettenreaktion. Nun fordert sie eine rasche Sanierung der Etats. Man könne mit der Normalisierung der Wirtschaftspolitik nicht warten, bis wieder ein kräftiges Wachstum eingesetzt habe, sagte Caruana. Er warnte davor, Finanzreformen auf die lange Bank zu schieben.

ES WIRD GESPART – VIELLEICHT

Die Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer hatten sich in Toronto unverbindlich darauf geeinigt, die Defizite bis 2013 halbieren zu wollen und bis 2016 den Schuldenstand zu halbieren oder zu senken. Michael Bräuninger, Konjunkturchef des Hamburger Wirtschaftsinstituts HWWI, sagte, die Beschlüsse würden wohl kaum umgesetzt, „sie sind zu schwammig“. Deutschland sei mit seinem Sparpaket zwar auf dem richtigen Weg, müsse aber nachlegen, „mit Subventionskürzungen und dem Abbau von Mehrwertsteuervergünstigungen“, empfahl er.

Die Reform des Finanzsystems wurde in Toronto vertagt. Daran gab es heftige Kritik. SPD-Chef Sigmar Gabriel bemängelte, die EU habe keine abgestimmte Strategie gehabt, sodass die Europäer als Einzelkämpfer aufgetreten seien. Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger sagte, es fehle die Bereitschaft, „grundlegende Konsequenzen aus dieser schrecklichen Finanzkrise zu ziehen“. Eine Regulierung mit höheren Eigenkapitalvorschriften würde dazu führen, dass „nicht so stark gezockt wird“, befand Hans-Werner Sinn, Chef des Münchener Ifo-Instituts.

EIN ERFOLG FÜR DIE BANKEN

Eine gemeinsame Einigung auf eine Bankenabgabe, mit der die Branche an den Krisenkosten beteiligt werden kann, gab es in Kanada nicht. Jetzt soll es nationale Lösungen geben, Bundeskanzlerin Angela Merkel strebt einen europäischen Ansatz an. Sie will jährlich zwei Milliarden Euro einnehmen. Jan Hagen, Bankenexperte bei der privaten European School of Management and Technology (ESMT) bezweifelt, dass das Geld ausreichen wird. „Die Commerzbank hat alleine 18 Milliarden Euro aus dem Rettungsschirm gebraucht – bei zwei Milliarden würde es zehn Jahre dauern, bis der Fonds gefüllt wäre.“ Die Bankenabgabe soll bis zu 0,04 Prozent der Bemessungsgrundlage betragen und nicht steuerlich absetzbar sein, wie aus einem Gesetzentwurf hervorgeht, der dem „Handelsblatt“ am Montag vorlag.

FINANZSTEUER OHNE MEHRHEIT

Noch skeptischer beurteilt Hagen den Plan, eine Finanztransaktionssteuer ohne breite internationale Beteiligung einzuführen. Dies könne dazu führen, dass große Finanzgeschäfte künftig an andere Standorte verlagert würden. Nur mit einer Beteiligung des Finanzplatzes London sei ein solcher Vorstoß sinnvoll. Ansonsten bleibe die Transaktionssteuer „ein zahnloser Tiger, der nicht bewirkt, dass wir die Geschäfte hier kontrollieren können“. Doch auch für einen europäischen Alleingang bestehe nur „wenig Hoffnung“, hieß es gestern in der Umgebung von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso.

DIE LOBBY SIEGT

Die Regierungen haben den Banken großzügige Übergangsfristen bei der Einführung schärferer Eigenkapitalregeln (Basel III) eingeräumt. Die Vorgaben, die die Banken krisenfester machen sollen, werden nun nicht einheitlich ab Ende 2012 gelten, sondern unterschiedlich schnell eingeführt. Die Bankenlobby hatte gewarnt, dass bei einer überhasteten Einführung Millionen Jobs auf dem Spiel stünden und das Wachstum gebremst werde. „Jeder kann nun im Prinzip so weitermachen, wie er will“, kritisiert Merck-Finck-Finanzexperte Konrad Becker. Eine einheitliche Verschärfung der Kapitalvorschriften wäre nötig gewesen, um die Banken krisenfester zu machen und einen erneuten Crash zu verhindern. Auch Andreas Schmitz, Präsident des Verbands der privaten Banken, kritisierte die fehlende Einigung: „Ein nationaler Flickenteppich bei Basel III hilft keinem weiter, er führt nur zu Regulierungsarbitrage. Das langsamste Pferd bestimmt dann das Tempo, das kann von den G-20-Ländern nicht gewollt sein.“ mit HB

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