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Finanzen: Immer mehr Alte müssen zum Sozialamt

Weil die Rente nicht reicht, sind sie auf zusätzliche staatliche Hilfen angewiesen. Berlin ist besonders betroffen

Berlin - Immer mehr Menschen kommen im Alter nicht mehr ohne staatliche Unterstützung über die Runden. Wie das Statistische Bundesamt am Freitag mitteilte, erhielten im vergangenen Jahr rund 682 000 Alte und Erwerbsunfähige die staatlich finanzierte Grundsicherung, das waren 52 000 Menschen oder 8,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Grundsicherung ist eine Sozialleistung, die in zwei Fällen gezahlt wird: einmal an Rentner, die nur eine Minirente beziehen, und zum Zweiten an Erwerbsunfähige, die nicht länger als drei Stunden täglich arbeiten können und daher dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen und kein Arbeitslosengeld nach Hartz IV erhalten.

Die Zahl der Hilfsempfänger hat sich nach Angaben des Statistischen Bundesamts in den vergangenen Jahren drastisch erhöht. Seit Einführung der Sozialleistung im Jahr 2003 ist die Zahl der Bezieher um 55,4 Prozent gestiegen. Besonders betroffen ist Berlin. In der Hauptstadt bezogen zum Jahresende 2006 knapp 52 000 Menschen Grundsicherung, 26,7 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Tendenz steigend: Nach Angaben der Senatsverwaltung für Soziales ist die Zahl bis Ende April dieses Jahres auf 53 506 gestiegen.

„Das Problem wird sich noch verschärfen“, fürchtet Roswitha Steinbrenner, Sprecherin der Berliner Sozialverwaltung. Denn Grundsicherung beziehen vor allem Menschen, die lange Zeit arbeitslos waren, so dass sie nur geringe Rentenansprüche aufbauen konnten. Da die Arbeitslosenquote in Berlin seit Jahren besonders hoch ist, gibt es in der Stadt auch auffällig viele Bezieher von Grundsicherung. Das setzt der Hauptstadt auch finanziell zu. Im vergangenen Jahr musste Berlin 1,65 Milliarden Euro für die Grundsicherung ausgeben – das ist mehr als die Hälfte der 3,1 Milliarden, die alle deutschen Kommunen zusammen im vergangenen Jahr für die Grundsicherung aufbringen mussten. Tendenz ebenfalls steigend.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund kritisierte, der Bund wolle sich aus der Verantwortung stehlen. Statt mit jährlich 409 Millionen Euro wolle sich der Bund künftig nur noch mit 180 Millionen Euro an der Grundsicherung beteiligen. „Die Kommunen müssen immer mehr Leistungen für die Grundsicherung im Alter aufwenden“, sagte das Geschäftsführende Präsidialmitglied Gerd Landsberg am Freitag in Berlin. „Der Bund will dagegen den Bundeshaushalt zulasten der Kommunen sanieren.“

Auch die Wohlfahrtsverbände rechnen mit wachsenden Belastungen. „Die Menschen, die seit Beginn der 80er Jahre mit Langzeitarbeitslosigkeit zu kämpfen hatten, kommen jetzt ins Rentenalter“, sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, dem Tagesspiegel. „Das Problem wird uns in den nächsten 20, 30 Jahren begleiten“, warnte er. Erst jetzt beginne die Zahl der Langzeitarbeitslosen in Deutschland zu sinken.

Schneider fordert eine Reform der Grundsicherung. Statt bei den Sozialämtern solle sie künftig bei der Rentenversicherung angesiedelt werden. „Die gesetzliche Rente sollte mit staatlichen Zuschüssen auf eine Mindestrente angehoben werden“, schlägt Schneider vor. „Es ist für alte Menschen eine Frage der Würde, die Rente nicht vom Sozialamt, sondern von der Rentenversicherung zu bekommen“, meint der Experte. Zudem solle auch die Summe erhöht werden. Statt derzeit 347 Euro plus Wohnkosten sollten künftig monatlich 420 Euro plus Wohnkosten gezahlt werden.

Das Bundessozialministerium hält die Entwicklung für weniger dramatisch. „Die Steigerungsrate von 8,2 Prozent bei der Zahl der Grundsicherungsbezieher liegt deutlich unter den Steigerungsraten der Vorjahre“, betonte ein Sprecher von Bundessozialminister Franz Müntefering (SPD). In den Jahren zuvor sei die Zahl der Hilfsempfänger deutlich zweistellig gestiegen.

Auch das Statistische Bundesamt hält den Ball flach. Es verweist zum einen auf den demografischen Faktor: Bei immer mehr Älteren gebe es auch immer mehr Bedürftige. Zudem müsse man auch den statistischen Effekt berücksichtigen. Die Grundsicherung gebe es erst seit 2003. Daher habe man in den Folgejahren automatisch hohe Steigerungsraten.

Heike Jahberg u. Corinna Visser

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