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© dpa

Wall Street: Milliardenbetrüger Madoff im Gefängnis

Über Jahrzehnte nahm er prominente Kunden mit Hilfe eines Schneeballsystems aus. Nun bekennt er sich vor einem New Yorker Gericht schuldig. Der Richter ordnet Untersuchungshaft an, die Opfer jubeln.

In regelmäßigen Abständen laufen die Gerichtsdiener die lange Reihe der Wartenden ab: „Irgendwelche Opfer hier, die im Gericht etwas sagen wollen?“ Hin und wieder meldet sich einer und wird aus dem ganz aus schwarz-weißem Marmor gebauten Gang zum Fahrstuhl und in den 24. Stock begleitet. Doch die über hundert Menschen, die im United States Courthouse in der Pearl Street in Lower Manhattan am frühen Donnerstagmorgen auf Einlass warten, sind nur Beobachter. Oder sie haben sich nicht rechtzeitig per E-Mail angemeldet, um bei der Anhörung des Milliardenschwindlers Bernard Madoff im Saal zu sitzen. So wie Judith Welling, 73: „Ich will gar nichts sagen. Aber ich hätte ihm gerne einmal in die Augen gesehen. Für mich ist er Abschaum.“ Vor allem hofft sie darauf, dass Richter Denny Chin Härte walten lässt. Kein Leben auf Kaution im feinen Penthouse auf der Upper East Side mehr. Gefängnis. Sofort. „Ich glaube, wenn Madoff nicht gleich abgeführt wird, gibt es einen Aufstand“, sagt sie, „und ich bin dabei.“

Doch so weit kommt es nicht. Madoff, 70, ein schmächtiger Mann im dunkelgrauen Anzug mit hellgrauer Krawatte, den silbernen Haarkranz wie stets akkurat nach hinten gekämmt, bekennt sich in allen elf Anklagepunkten schuldig, so wie es sein Anwalt Ira Sorkin Anfang der Woche angekündigt hatte. Mögliche Höchststrafe: 150 Jahre Gefängnis. Sorkin bleibt nur dafür zu plädieren, dass sein Klient unter Hausarrest in seinem Apartment leben darf, bis Richter Chin am 16. Juni das Strafmaß verkündet. Doch Chin zeigt sich ungnädig, er ordnet an, Madoff sofort in Untersuchungshaft zu nehmen. Gerichtsdiener fesseln seine Hände hinter seinem Rücken mit Handschellen und führen ihn ab.

Zuvor hatte der größte Wall Street-Betrüger aller Zeiten durch seine randlose Brille mit monotoner, leiser Stimme eine Erklärung vorgelesen. „Ich bin dankbar für die Gelegenheit, öffentlich zu meinen Verbrechen auszusagen“, sagt er. Er entschuldige sich und sei „zutiefst beschämt“. Die Anfänge des riesigen Schneeballsystems, durch das er nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft bis zu 170 Milliarden Dollar schleuste, beschreibt er mit bemerkenswerter Schlichtheit. In der Rezession Anfang der 90er Jahre sei es schwierig gewesen, den Renditeerwartungen seiner Klienten zu entsprechen, sagte Madoff. Deshalb habe er angefangen, die Ausschüttungen für seine alten Kunden mit dem Geld zu finanzieren, das ihm neue Kunden anvertrauten, um es anzulegen.

„Ich dachte, es sei eine kurzfristige Sache und ich wäre in der Lage, mich und meine Kunden wieder herauszuziehen“, sagt Madoff, „doch das stellte sich als schwierig und am Ende unmöglich heraus.“ Also stapelte er Lüge auf Lüge auf Lüge, narrte Aufsichtsbehörden und Mitarbeiter, Freunde und Geschäftspartner, bis das Kartenhaus Ende vergangenen Jahres zusammenbrach, weil zu viele Investoren auf einmal ihr Geld zurück haben wollten. Die Kontoauszüge, die Madoff gewissenhaft jeden Monat verschickte, wiesen zuletzt einen Saldo von 64,8 Milliarden Dollar auf. Alles virtuelles Geld, nicht einmal eine Milliarde haben die Ermittler bislang sichergestellt.

Wo es geblieben ist, gehört zu den ungelösten Rätseln des Falles. Dass Madoff Luftbuchungen vornahm, vorgab, Wertpapiere zu kaufen, ohne es tatsächlich zu tun und Geld zwischen New York und seiner Filiale in London verschob, sieht auch die Staatsanwaltschaft so. Doch in entscheidenden Punkten glaubt sie dem Mann nicht. Die Ermittler sind der Überzeugung, dass er neben seinem Aktienhandel, den er mit der Bernard L. Madoff Investment Securities LLC betrieb, sein Anlagengeschäft – und damit das Schneeballsystem – bereits in den 80er Jahren startete. Sie halten es ebenfalls für unwahrscheinlich, dass Madoff seinen riesigen Betrug alleine ausführte, auch wenn bis heute niemand der Beihilfe angeklagt wurde. Schließlich bezweifeln sie die Beteuerung des Verurteilten, er habe den gesunden Arm seiner Firma nicht mit seinem illegalen subventioniert. Das ist vor allem für die Frage wichtig, auf welche Besitzstände für die Entschädigung der Opfer zurückgegriffen werden kann.

Es klingt zu simpel, aber dass Madoff mit seinem Betrug begann, weil er nicht verwinden mochte, dass er wie alle anderen an der Wall Street auch mal ein schlechtes Jahr mit Verlusten haben sollte, passt durchaus in das Bild seiner Persönlichkeit, das die Öffentlichkeit von ihm hat. Der Mann aus dem Arbeiterviertel Queens gründete die sein Unternehmen 1960 mit 5000 Dollar, die er sich als Rettungsschwimmer neben seinem Jurastudium verdiente. Er gehörte zu den Pionieren, die die Bedeutung von Computern im Aktienhandel erkannten und die etablierten Firmen an der Wall Street angriffen, die mit dem alten System satte Margen einstrichen. Madoff war eine treibende Kraft hinter der Gründung der Technologiebörse Nasdaq, der er 1990 bis 1993 vorstand. Anfang der 90er Jahre zeichnete seine Firma an manchen Tagen für ein Zehntel des Nasdaq-Handels verantwortlich. Er war ein Star in der Branche, die graue Eminenz.

Madoff holte seine Familie ins Unternehmen, seine Frau Ruth arbeitete zeitweise als Buchhalterin, sein Bruder Peter spezialisierte sich auf die technische Seite des Geschäfts, seine Söhne Mark und Andrew stiegen zu Top-Managern auf. Madoff genoss bei den Kollegen und bei Politikern in Washington hohes Ansehen. „Keine Frage, er war ihr Liebling“, sagte der ehemalige Präsident der Börse in Philadelphia, Nicholas Giordano, kürzlich. Auch Arthur Levitt, der von 1993 bis 2001 der Börsenaufsicht SEC in New York vorstand, wollte gelegentlich wissen, was Madoff dachte. Dass er ihm deshalb weniger genau auf die Finger sah, bestreitet er heute heftig.

15 Hedgefonds schafften Madoff schließlich immer neue Kunden heran - zuletzt verwaltete er 4800 Konten. Mit seinen zuverlässigen Gewinnen von um die zehn Prozent per Anno beeindruckte er vor allem die jüdische Geldelite der Ostküste. Universitäten und Stiftungen vertrauten ihm große Vermögen an. Auf seine Investitionskünste verwetteten Familien ganze Erbschaften, die Rücklagen für das College der Kinder und die eigene Altersvorsorge. Mit der Zeit weitete Madoff seine Geschäfte auch nach Europa aus. Er führte sie alle an der Nase herum: Filmemacher Steven Spielberg gehört zu seinen Opfern und das Internationale Olympische Komitee. Auch Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel verlor den Großteil seiner Stiftung und des Privatvermögens.

Judith Welling verfolgt Madoff auf einer der beiden Videoleinwände, die sie in einem Extraraum aufgebaut haben für jene, die nicht mehr in den Saal passten. Sie ist vor allem auf die Börsenaufsicht SEC sauer. „Wir haben ja nicht blind investiert“, sagt sie, „wir haben uns das alles sehr genau angesehen und die Börsenaufsicht hatte nichts zu beanstanden.“ Außerdem will sie gegen die Steuerbehörde IRA vorgehen, die all die Jahre für die – fiktiven – Gewinne die Hand aufhielt, nun aber die zu viel gezahlte Vermögenssteuer für höchstens drei Jahre zurückerstatten will. 1,5 Millionen Dollar haben Welling und ihr Mann verloren – oder über zwei Millionen, wenn man die scheinbaren Zugewinne mitrechnet, die Madoff auf ihren Kontoauszügen angab. Trotzdem gehe es ihnen im Vergleich zu anderen, die alles verloren, noch gut, sagt Judith Wellington: „Wir sehen uns nicht als Opfer. Wir sind Überlebende.“

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