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Finanzkrise: „Das kann auch unsere Jobs kosten“

Zwischen Sorge und Genugtuung: Wie Frankfurter Banker die Turbulenzen erleben.

Alles sieht aus wie immer. Oben an der Biedermeierfassade zieht sich in dezenten Lettern der Schriftzug „Lehman Brothers“ über die Wand. Unten in den Auslagen der Nobelgeschäfte von Escada, Lacoste und Faber Castell präsentieren sich die Polohemden, Mäntel und edles Schreibgerät in höheren Preisregionen. Dass die einst angesehene US-Investmentbank ihren Geschäften in Deutschland seit gut einer Woche nur noch in Abstimmung mit den Bankenaufsehern in Bonn nachgehen kann, ist dem Luxusambiente am Frankfurter Rathenauplatz nicht zu entnehmen. Alle Mann sind noch an Bord, heißt es aus den Büros. Zu mehr aber lässt sich keiner der rund 150 deutschen Lehman-Mitarbeiter bewegen. „Wollen Sie mir einen Job anbieten?“, fragt einer zurück, angesprochen auf seine Gemütslage. Der Exodus droht, wenn nicht doch noch ein Käufer auftaucht.

Natürlich wissen gerade die Anzugträger, die mittags in der angrenzenden Kalbächer Gasse, im Volksmund „Freßgass“, ihre Pasta essen oder einen Espresso trinken, dass die Tage der Investmentbank gezählt sind. Schlendern zwei vorbei und einer zeigt sich als unwissend, wird er postwendend aufgeklärt: „Da sitzt die Pleitebank.“ Und da ist dann mitunter selbst bei seriösen Privatbankern mehr als ein Schuss Häme in der Stimme. „Die Verbrecher“, sagt einer. „Das sind die, die jahrelang andere abgezockt haben. Es wurde Zeit.“ Solche Urteile treffen in diesen Tagen nicht nur Häuser wie Lehman. Auch Goldman Sachs, dessen deutscher Ableger außerhalb der City hoch oben im Messeturm residiert, kommt nicht viel besser weg. „Von denen habe ich nie etwas gehalten“, sagt der Banker.


Es ist nicht nur die Sorge um die eigene Zukunft

Es ist nicht nur die Sorge um die eigene Zukunft, sondern auch ein Schuss Genugtuung, was die Banker in Frankfurt am Main in diesen Krisentagen umtreibt. Und das Erstaunen, wie dramatisch sich die Finanzwelt in den USA verändert hat.

Auch vor der Börse mitten im Herzen der Stadt ist alles so, als sei die Finanzwelt in den vergangenen Tagen nicht vom Kopf auf die Füße gestellt worden. Chauffeure warten in schwarzen Limousinen auf ihre Chefs, die gerade zu Meetings im altehrwürdigen Gemäuer verschwunden sind. Drinnen im großen Handelssaal deutet nichts auf irgendwelche Umwälzungen hin. Die Makler gehen hinter den runden weißen Händlertresen ihren Geschäften nach. Die Lust, ein Wort über die Krise zu verlieren, ist mehr als begrenzt. Allenthalben ein Kopfschütteln. Vielleicht auch, weil die Herren und wenigen Damen im Alltagsstress nicht wirklich begriffen haben, was in den vergangenen zweieinhalb Wochen passiert ist.

Nur Fidel Helmer, wie immer im dunklen Anzug mit korrekt sitzender Krawatte und ebenso korrekt gescheiteltem Haar, mag es nicht bei besorgten Blicken und einem Kopfschütteln belassen. Seit 30 Jahren steht er fast jeden Tag für das Bankhaus Hauck&Aufhäuser auf dem Parkett der Frankfurter Börse, hat die Feier zur Fusion von Daimler und Chrysler 1998 genauso erlebt wie viele Crashs und das Platzen der Technologie-Blase. Helmer hat immer zu denen gehört, die gewarnt haben. Doch das, was gerade passiert, hat auch der Banker aus Bayern noch nicht erlebt. Geschweige denn in diesem Tempo erwartet. „Wir müssen aufpassen“, sagt er, „das kann am Ende auch unsere Jobs kosten.“ Sein Blick geht hoch zur großen Anzeigetafel. „Das lässt einen nicht los. Tag und Nacht. Wir sind fast mehr Psychologe statt Banker, weil wir unsere Kunden beruhigen müssen.“ Helmer ist einer vom alten Schlag, keiner der jungen Zocker. Und er ist ehrlich. „Dabei sind wir von dem, was wir sagen, auch nicht voll überzeugt.“

Ein bisschen Schadenfreude ist auch dabei

Und doch sieht Helmer auch das Gute in der Krise. „Den Brokerhäusern weine ich keine Träne nach. Lehman, Bear Stearns, Merrill Lynch und Goldman Sachs haben uns mit ihrem Teufelszeug in den Schlamassel reingeritten.“ Dass sich Deutschland am 700-Milliarden-Dollar- Hilfspaket der US-Regierung beteiligen soll – für Helmer eine absurde Idee. „Warum sollten wir für die zahlen, die die Krise heraufbeschworen haben?“ Zertifikate und andere neue Finanzprodukte haben die US-Investmentbanken auch nach Deutschland gebracht. Das Teufelszeug eben. Helmer handelt lieber mit Aktien. Davon versteht er viel.

Wie Dirk Müller. Als selbsternannter Mister Dax sitzt er vor seinen Bildschirmen. Er ist das Gesicht der Börse und seit Monaten auch das Gesicht der Krise. Und Müller gehört zu den Börsianern und Bankern, die ihr Treiben stets auch kritisch hinterfragen, die um die Sorgen der Kleinanleger wissen. „Das Finanzsystem hat sich selbst ad absurdum geführt. Früher war die Börse einmal eine sinnvolle Einrichtung und Dienstleister der Wirtschaft. Heute drehen sich die Finanzmärkte nur noch um sich selbst.“ Müller schaut auf die Schirme, tippt auf die Tastatur, führt Börsenorders aus. Um seinen Job fürchtet er nicht. „Aber die Unsicherheit ist groß.“

In den Kneipen und Bistros rund um die Börse wirkt alles wie immer

Wirklich zu spüren ist sie in Frankfurt in diesen Tagen nicht. Nebenan sitzen die ersten Banker und Börsianer nach Börsenschluss im Bistro „Bulle und Bear“, einem der typischen Finanz- Treffs. Die Experten tauschen sich aus, diskutieren das Auf und Ab der Kurse, die unglaubliche Entwicklung in Amerika. Und trotzdem ist es doch irgendwie wie immer. „Unsere Geschäfte laufen, die Banker kommen wie vor der Krise“, sagt Barkeeper Michele Abawi. Hinter ihm hängt ein großes Foto vom hektischen Treiben an der Terminbörse in Chicago an der Wand. „Es gibt keine Klagen.“ Ein paar Meter weiter in der Kleinen Hochstraße sind die Tische im Garibaldi gut besetzt wie eh und je. „Es ist nichts zu spüren, unsere Geschäfte laufen gut“, sagt ein Ober des vornehmen italienischen Restaurants.

Krise und doch keine Krise in Frankfurt. Erstaunlich einerseits und verständlich andererseits. Das deutsche Finanzzentrum war nie der Hort des spekulativen Investmentbankings. Auch wenn die Deutsche Bank Anfang der 90er Jahre einmal allein diesen Weg einschlagen wollte. Heute ist Vorstandschef Josef Ackermann froh, dass sein Haus doch an den Filialen festgehalten hat. Was einst als langweilig und renditeschwach galt, liefert heute stabile Erträge und ist eine feste Stütze bei allen Großbanken. „Das macht den Unterschied“, sagt Makler Helmer. Und das erklärt die Gelassenheit, aber womöglich auch die Verschwiegenheit der Banker. Fehler räumt man nicht gerne ein in den Kathedralen des Geldes.

Die größten Sorgen in diesen Tagen rühren in Frankfurt nicht aus der Finanzkrise. Sie rühren eher aus der Stärke einzelner Banken. Während die Institute in den USA vom Steuerzahler gerettet werden müssen oder Pleite gehen, kauft hierzulande die Commerzbank die Dresdner Bank für fast zehn Milliarden Euro und die Deutsche Bank steigt mit 2,8 Milliarden Euro bei der Postbank ein. Mit Folgen für die Beschäftigten, vor allem bei der Dresdner. Viele werden ihren Job verlieren. „Da geht die Angst um“, sagt einer, der selbst betroffen ist, seinen Namen aber nicht in der Zeitung lesen will.

Banker gehen auf die Straße

Deshalb und wegen der laufenden Tarifverhandlungen gehen Banker auf die Straße. So als ob es die Krise des Finanzsystems nicht gäbe. Eine deutliche Gehaltssteigerung fordern die Gewerkschaften. Und Sicherheit für die Arbeitsplätze. Die Globalisierungskritiker von Attac dagegen wollen das „Casino“ schließen. Sie machen vor der Börse ihrem Unmut Luft, sperren das Gebäude symbolisch ab. „Vorsicht Einsturzgefahr“ steht auf einem Schild.

Aber es gibt in diesen Tagen auch Gewinner. Die gleichwohl nicht triumphieren und eher unglücklich sind über die Umstände, die dazu geführt haben. Schräg gegenüber des Turms der Commerzbank an der Frankfurter Galluswarte sitzen solche Banker. Dezent und verschwiegen gehen sie im Bankhaus Metzler ihren Geschäften nach. Seit 334 Jahren und auch jetzt in der Krise. Die Zurückhaltung wird von den Kunden geschätzt. Auch im Investmentbanking, das bei Metzler nicht so genannt wird. Es ist die Beratung von Firmen bei Börsengängen und Übernahmen, beim Auflegen von Anleihen, bei der Währungsabsicherung. Aber: Komplizierte, spekulative Finanzprodukte sind tabu.

Seit 30 Jahren widmet sich Metzler dem Investmentbanking, als eine der ersten Banken in Deutschland überhaupt. Jetzt profitieren auch die Metzlers vom Desaster bei ihren Konkurrenten Lehman, Merrill Lynch oder den Rückschlägen bei Goldman Sachs. Ohne dass die im Familienbesitz befindliche Bank ihre Strategie ändert. „Ich bin eher schüchtern, zurückhaltend“, sagt Bank-Chef Friedrich von Metzler. „Jeden Tag frage ich mich: Kann ich eigentlich was? Das ist eine gute Voraussetzung, dass man nicht zu viele Fehler macht.“

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