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Finanzkrise: Spaniens Generation null

Viele Jahre erstaunte das südeuropäische Aufsteigerland damit, dass es so viele Arbeitsplätze schuf wie kein Land in der Europäischen Union. Heute ist Spanien der schlimmste Arbeitsplatzvernichter in Europa.

Die Schlange führt morgens um neun, als das Arbeitsamt aufmacht, bereits bis zur nächsten Straßenecke. Einer von jenen, die sich in Parla, einem Vorort im Süden Madrids, vor der Tür die Beine in den Bauch stehen, heißt Jose Martinez. Seit sechs Uhr wartet der 21-Jährige in der Straße San Blas, um im Amt zu fragen, ob es in Spanien Arbeit für ihn gibt.

„Es ist zum Verrücktwerden“, sagt Martinez. Jeden Monat komme er vorbei. „Nichts. Kein einziges Angebot.“ Seit einem Jahr geht das so. „Ich habe die Schule mit 15 abgebrochen und dann auf dem Bau als Maurer angefangen.“ Fünf Jahre zog er täglich Hauswände hoch. Doch als Spaniens überhitzter Immobilienmarkt zusammenbrach, war auch sein Arbeitgeber plötzlich bankrott – und Jose Martinez ohne Job.

Parla gilt als Brennpunkt der Arbeitslosigkeit in der Hauptstadtregion Madrid. Es ist eine billige Schlafstadt für Landflüchtlinge aus der Provinz und Immigranten. Die Hälfte der 108 000 Einwohner ist jünger als 35 Jahre. Die offizielle Arbeitslosigkeit Parlas liegt bei über 20 Prozent.

Als Jose endlich bis zum Schalter vordringt, ist es elf Uhr. Doch auch heute macht ihm das Arbeitsamt keine Hoffnung. „Tut mir leid“, sagt der Berater, „im Moment bewegt sich nichts.“ In der Wirtschaftskrise, die Spanien heftiger erwischte als die europäischen Nachbarn, gibt es keine neuen Jobs, erst recht nicht für junge Leute.

Viele Jahre erstaunte das südeuropäische Aufsteigerland damit, dass es so viele Arbeitsplätze schuf wie kein Land in der Europäischen Union. „Ein wunderbares Wachstum“, jubelte damals Jose Luis Zapatero, der sozialdemokratische Regierungschef. Dem Höhenflug, getrieben durch einen irren Bauboom, folgte ein tiefer Fall, nachdem der aufgeblähte Wohnungsmarkt wie ein Kartenhaus zusammenfiel: Spanien ist heute Europas schlimmster Arbeitsplatzvernichter.

Die Gesamtarbeitslosigkeit liegt laut Eurostat bei nahezu 20 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei dramatischen 44 Prozent. Beide Quoten sind doppelt so hoch wie der EU-Durchschnitt – und sie steigen weiter. Die junge Generation zwischen 16 und 25 Jahren leidet unter der höchsten Arbeitslosenquote der EU. Als „Generation null“ werden die jungen Spanier schon bezeichnet – weil sie null Chancen haben.

Fälle wie den von Jose Martinez gibt es tausende in der Arbeitervorstadt Parla und hunderttausende im ganzen Land. Schulabbrecher machen den Großteil des jugendlichen Arbeitslosenheeres von 875 000 Menschen aus. Spanien beherbergt, mangels Bildungsinvestitionen, mit die meisten Schulversager Europas. Ein Viertel der Schüler gibt vor dem mittleren Bildungsabschluss auf. Das rächt sich: In der Krise haben vor allem die Unqualifizierten das Nachsehen.

Aber auch junge Akademiker machen die brutale Erfahrung, dass das Studium immer öfter in die Arbeitslosigkeit führt. Zum Beispiel Maria Gallego. Die 25-jährige Betriebswirtin aus der Hauptstadt Madrid beginnt seit Monaten den Tag in ihrer Studentenbude vor dem Computer: Durchforsten von Jobportalen im Internet, Bewerbungen für ein Praktikum, Kontakte suchen.

„Frustrierend“, sagt sie. „Wir werden wohl nicht gebraucht.“ Überall suche man Kandidaten mit mindestens drei Jahren Berufserfahrung. Und unter den Arbeitslosen gebe es zehntausende Akademiker mit zehn Jahren Berufserfahrung.

Die frisch studierten Ingenieure, Architekten, Juristen und Wissenschaftler bevölkern aber nicht die Arbeitsämter. Denn dort können sie weder mit finanzieller Unterstützung noch mit Jobs rechnen. Die Uni-Absolventen machen aber laut offizieller Statistik 25 Prozent der jugendlichen Arbeitslosen aus. Und sie suchen lieber auf eigene Faust.

Kein Job, keine Unabhängigkeit, keine eigene Wohnung. „Ich ziehe zurück zu meinen Eltern“, kündigt Maria Gallego an. „Kein Geld mehr.“ Auch der Stundenjob als Hilfskellnerin sei gekündigt worden. Einen Kredit für das Studium müsse sie noch zurückzahlen. „Ich dachte, mir gehört die Zukunft, aber nun fühle ich mich als die große Verliererin.“ Adios, Emanzipation.

„In Krisenzeiten“, sinniert der Soziologieprofessor Javier Elzo, „ist es normal, dass die Arbeitslosigkeit unter den jungen Menschen wütet.“ Es sei einfacher und oft auch gerechter, jüngere Beschäftigte zu entlassen – als ältere Arbeitnehmer, die von ihrem Lohn auch noch eine Familie ernähren müssten. Hinzu kommt, dass gut 90 Prozent der Arbeitnehmer unter 25 mit Billigverträgen arbeiten. Zeitlich befristete Jobs, die leicht gestrichen werden können. „Die Jungen sind deshalb sehr verwundbar“, sagt Pilar Duce, Sprecherin der Gewerkschaft UGT.

„Zerstörerisch, unerträglich und nicht hinnehmbar“ sei Spaniens Horrorquote der Jugendarbeitslosigkeit, sagt Spaniens Oppositionschef Mariano Rajoy, während sich die sozialdemokratische Regierung Zapateros seit Monaten im Gesundbeten der Arbeitslosenkatastrophe übt.

Jose Angel Gurria, Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), fordert, der Jobkrise mit Milliardenprogrammen entgegenzusteuern, ähnlich wie es bei der Finanzkrise getan wurde. Ansonsten, warnt der Generalsekretär, werde in Spanien eine verlorene Generation heranwachsen.

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