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Wirtschaft: Finanzpolitische Sünder müssen zahlen

Der Stabilitätspakt legt Strafenund Belohnungen für die Mitgliedsländer der Währungsunion festVON THOMAS GACK, BRÜSSELWer sich mit dem Euro-Stabilitätspakt befaßt, der wird unwillkürlich anein deutsches Sprichwort erinnert: Wer anderen eine Grube gräbt, fälltselbst hinein.Die Idee einer zusätzlichen stabilitätspolitischenVereinbarung, die auch nach dem Starttermin des Euro die Haushaltsdisziplinin der Währungsunion garantieren und damit den Maastrichter Vertrag"härten" soll, stammt nämlich von Bundesfinanzminister Theo Waigel.

Der Stabilitätspakt legt Strafenund Belohnungen für die Mitgliedsländer der Währungsunion festVON THOMAS GACK, BRÜSSEL

Wer sich mit dem Euro-Stabilitätspakt befaßt, der wird unwillkürlich anein deutsches Sprichwort erinnert: Wer anderen eine Grube gräbt, fälltselbst hinein.Die Idee einer zusätzlichen stabilitätspolitischenVereinbarung, die auch nach dem Starttermin des Euro die Haushaltsdisziplinin der Währungsunion garantieren und damit den Maastrichter Vertrag"härten" soll, stammt nämlich von Bundesfinanzminister Theo Waigel.ImVisier hatte er dabei stabilitätspolitische Sünder, deren Defizit nachdem Eintritt in die Währungsunion möglicherweise über die MaastrichterToleranzgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigenkönnte.Mit den Regeln des Stabilitätspakts, der schmerzhafte Geldstrafenvorsieht, sollten sie dann wieder auf den haushaltspolitischen Tugendpfadgezwungen werden.Als Waigel diese Idee aus dem Hut zauberte und zurÜberraschung aller Beobachter im EU-Finanzministerrat damit auch nochZustimmung erhielt, war er von der Rolle der Deutschen alsstabilitätspolitische Musterknaben so überzeugt, daß er wohl kaum darandachte, daß die Strenge des Gesetzes als erstes ihn selbst treffenkönnte.Doch genau dies könnte nach dem Start des Euro passieren.DerBonner Finanzminister, wer immer es dann sein wird, müßte die Suppeauslöffeln, die ihm Theo Waigel eingebrockt hat.Wenn man denStabilitätspakt auf das deutsche Haushaltsdefizit vom vergangenen Jahranwenden würde, müßte Waigel 10,73 Mrd.DM in die Brüsseler Strafkasseüberweisen - zunächst als zinslose Einlage.Wenn der BonnerFinanzminister in den darauffolgenden zwei Jahren seine Kassen aber nichtin Ordnung brächte, würde die Einlage als Strafe einbehalten.Denn werdie stabiltätspolitischen Zügel schleifen läßt, dem droht ein imStabilitätspakt festgelegtes Verfahren, an dessen Ende eine hoheGeldstrafe stehen kann.Der Stabilitätspakt legt nämlich fest, daß einMitgliedsland, dessen Haushaltsdefizit die Grenze von drei Prozent des BIPüberschreitet, im darauffolgenden Jahr einen festen Sockelbetrag von 0,2Prozent des BIP hinterlegen muß, dazu noch einen variablen Betrag, der einZehntel der Überschreitung beträgt.Am Beispiel des deutschen Defizitsvon 1996 (3,9 Prozent des BIP) würde das bedeuten: Bei Überschreitung derSchwelle von 3,0 wird der Sockelbetrag 0,2 Prozent des BIP fällig.Dazukommt die Variable von einem Zehntel der Überschreitung von 0,9 Prozent,also weitere 0,09 Prozent des BIP.Insgesamt ergibt das 0,29 des BIP.Da1996 das BIP in Deutschland 3700 Mrd.DM betrug, müßte Bonn insgesamt10,73 Mrd.DM als zinsloses Deposit in Brüssel hinterlegen."KeinProblem", meint der Bonner Finanzstaatssekretär Stark, der fest damitrechnet, daß die Bundesregierung einen finanzpolitischen Ausrutscher imFolgejahr korrigieren kann.Dann wird die Einlage nämlich wieder an Bonnzurücküberwiesen.Der Verlust für die Staatskasse wäre auf denZinsverlust beschränkt.Der würde sich beim Beispiel 1996 - aus Sicht derFinanzpolitiker - in Grenzen halten: bei einem Zinssatz von fünf Prozentrund 500 Mill.DM.Die Zinsen für die Einlagen, so haben dieFinanzminister in Noordwijk vereinbart, werden an die "tugendhaften"Mitgliedsländer ausgezahlt, die die Stabilitätskriterien erfüllen.Wennder "Maastricht-Sünder" auch nach zwei Jahren nicht aus seinemSchuldenloch herauskommt und dann die zinslose Einlage in eine Geldbußeumgewandelt wird, fällt auch diese nicht dem EU-Haushalt, sondern denstabilitätspolitisch vorbildlichen Mitgliedstaaten zu.Damit dieSanktionen aber für die abgestraften Länder nicht zu hart werden, hat derEU-Ministerrat in das Strafsystem Sicherungen eingebaut.So müssendefizitäre Mitgliedstaaten jährlich nicht mehr als 0,5 Prozent ihres BIPan Brüssel abführen.Wenn ein Mitgliedstaat auch im zweiten Jahr überder Maastrichter Toleranzgrenze liegt, muß er nicht nochmals denSockelbetrag von 0,2 Prozent des BIP bezahlen, sondern nur die variableStrafsumme, die ein Zehntel der Überschreitung beträgt. Dieser schlimmsteFall aber, so hoffen die EU-Finanzminister, wird nie eintreten.Gerade inBonn setzt man auf die anziehende Konjunktur und ein stärkeresWirtschaftswachstum, das entscheidend für die Erfüllung der MaastrichterKriterien ist.Wenn nämlich das BIP kräftig wächst, dann rutscht ein nurwenig über der Maastrichter Grenze liegendes Defizit anteilig wieder inden Bereich des Erlaubten - auch wenn es keinen Pfennig geringer wird."Esgeht uns beim Stabilitätspakt nicht darum, irgendjemanden schulmeisterlichabzustrafen", beruhigt auch EU-Kommissionspräsident Jacques Santer."DieSanktionen sind eine Abschreckungswaffe, die wir hoffentlich nie anwendenmüssen - ein Damoklesschwert, das alle zur stabilitätspolitischen Tugendzwingt." Unsere Euro-Serie setzen wir am kommenden Sonntag fort.Dannberichten wir über Idee und Geschichte des Euro und stellen dieMaastrichter Konvergenzkriterien vor.

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