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Das Scheitern des Euro wäre gut für Europa, meint Stefan Homburg.

© Rainer Surrey

Finanzprofessor Stefan Homburg: "Der Euro wird scheitern"

Stefan Homburg forscht und lehrt zu öffentlichen Finanzen an der Uni Hannover. Mit dem Tagesspiegel spricht er über die Schulden der Europäer, Merkels Irrtum und das Ende der Währungsunion.

Herr Homburg, Europa soll zur Fiskalunion werden, die Schuldenländer bekommen wieder billigere Kredite, die Konjunkturaussichten werden besser. Ist 2012 das Jahr, in dem der Euro gerettet wird?

Kurzfristig regiert an den Finanzmärkten die Psychologie, also die allgemeine Stimmung. Diese lässt sich kaum vorhersagen. Langfristig wird der Euro scheitern.

Warum?

Entscheidend sind die Anreize für die Akteure der Währungsunion. Derzeit haben alle Länder einen Grund, unsolide Finanzpolitik zu betreiben. Schuldenländer wie Griechenland oder Italien wollen sich auf Kosten der reichen Länder sanieren. Die wiederum hoffen, dass sie unpopuläre Beistandszahlungen vermeiden können, wenn sie selbst Finanzprobleme bekommen. So sitzen alle 27 Regierungschefs in einem Boot: Das Recht zur Verschuldung ist ihr wichtigstes Instrument, um die jeweilige Wiederwahl zu sichern. So ist fast jeder Regierungschef ins Amt gekommen.

Die Euro-Länder wollen nationale Schuldenbremsen einführen nach dem Vorbild der Deutschen. Das hat mit ungezügelter Ausgabenpolitik wenig zu tun.

Der sogenannte Fiskalpakt ist ein großes Theaterspiel. Und ob die deutsche Schuldenbremse jemals funktionieren wird, ist höchst unsicher. Finanzminister Wolfgang Schäuble versucht ja bereits, die deutschen Regeln aufzuweichen. Bisher sind noch alle Fünfjahrespläne für eine Reduzierung des Defizits auf null gescheitert. Irgendetwas kommt der Politik immer dazwischen, etwa eine Rezession oder eine politische Krise.

Sie glauben, Europas Politiker sagen in einer so zentralen Frage die Unwahrheit?

Schon 1806 bezeichnete David Ricardo Staatsverschuldung als „eine der schrecklichsten Geißeln, die jemals zur Plage einer Nation erfunden wurden“. Die notorischen Defizite ergeben sich aus einem Verteilungsproblem: Politiker von heute und ihre Wähler wollen sich möglichst viel Geld sichern – zulasten künftiger Generationen. In der EU kommt ein internationales Verteilungsproblem hinzu: Jedes Land möchte vom europäischen Kuchen ein möglichst großes Stück. Die Schuldenmacherei per Vertrag oder Gesetz zu beschränken, ist noch nie gelungen. Die Politik bricht systematisch alle Regeln, um an Geld zu kommen.

Das ist ein harter Vorwurf.

Die Geschichte des Euro zeigt es: Deutschland und Frankreich haben den Stabilitätspakt gebrochen, Griechenland hat seine Schulden verfälscht. Trotz des Verbots in den EU-Verträgen helfen die Länder einander mit Milliardensummen. Und die rechtlich gebotene Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank hat die Politik im Handstreich kassiert.

Die Bemühungen um eine Euro-Stabilisierung halten Sie allesamt für Show?

Seit Mai 2010 gab es insgesamt 14 Euro-Krisengipfel. Auf ihnen wurde immer das Ende der Krise verkündet, hinterher wurde sie aber stets schlimmer.

Unterschätzen Sie nicht die Macht Deutschlands, die Euro-Länder auf ihre Stabilitätspolitik zu zwingen?

Womöglich setzt sich Deutschland hier oder da durch. Das wird aber nur Quartalsdenker wie die Finanzmärkte beeindrucken. Der tiefere, längerfristige Trend zu höheren Schulden ist ungebrochen. Auch bei uns: Als der Maastricht-Vertrag verhandelt wurde, lagen die deutschen Schulden bei gut 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, heute sind es rund 80 Prozent. Die Regierung verteilt ja viele Wohltaten: Rentenerhöhung, Betreuungsgeld, Subventionen für die Häusersanierung und so weiter. Und 2012 will Schwarz-Gelb erneut mehr Schulden machen.

Die Defizitländer haben harte Einsparungen versprochen.

Seit Mai 2010 heißt es, Griechenland müsse nun aber wirklich harte Reformen vornehmen. In Wirklichkeit ist nicht viel passiert. Es liegt im Interesse Athens und Roms, möglichst viel Reformaktivität vorzutäuschen, tatsächlich aber nicht allzu viel zu tun. Ein griechischer Ministerpräsident hat wenig Neigung, seine Wähler zu vergraulen und Straßenschlachten mit Verletzten und Toten zu riskieren. Da greift er lieber zu Tricks.

Die Einschnitte haben in Griechenland eine tiefe Rezession ausgelöst.

Ich glaube nicht, dass die Rezession nur an der Sparpolitik lag. Sinkende Staatsausgaben führen nicht automatisch zu einer Rezession, die historische Erfahrung spricht dagegen. Sparen setzt oft Kräfte frei, dafür gibt es Dutzende Beispiele, man denke an die Hartz-IV-Reform.

Was geschieht, wenn der Euro zerbricht?

Wenn also niemand spart und an morgen denkt, was passiert dann?

Die Verschuldung wird Europa auf Dauer zersetzen. „Scheitert der Euro, scheitert Europa“, dieser Satz Angela Merkels ist nicht nur falsch. Sondern umgekehrt wird ein Schuh daraus.

Scheitert der Euro, dann rückt Europa enger zusammen?

Hätte man sich vor zwei, drei Jahren vorstellen können, dass Hakenkreuz-Transparente durch Athen getragen werden, Deutsche als Imperialisten gelten und man bei uns Witze über faule Südeuropäer macht? Nicht nur ökonomisch, auch politisch besteht die Gefahr, dass Europa auseinanderdriftet. Deshalb wäre die Rückkehr zu nationalen Währungen vorzugswürdig.

Ein Ende des Euro kostet Unsummen und könnte weltweite Turbulenzen auslösen.

Stimmt, zum Nulltarif wird die Aufgabe des Europrojekts nicht zu haben sein. Die Kosten fallen aber früher oder später auf jeden Fall an, also handelt man besser jetzt als in fünf Jahren. Eine Hängepartie macht alles nur noch schlimmer und teurer.

Eine nationale Währung in Deutschland würde massiv aufwerten und der Exportwirtschaft das Genick brechen.

Ich halte das für falsch. Vor der Euro-Einführung hatten wir zu unseren engsten Handelspartnern Niederlande, Österreich und Frankreich jahrelang nahezu stabile Wechselkurse. Wenn Güterpreise nahezu gleich sind und die Transportkosten gering, können die Wechselkurse gar nicht unbegrenzt schwanken. Übrigens waren wir bereits 2000, als es noch die D-Mark gab, Exportweltmeister.

Rettet ein Rauswurf der Griechen den Euro?

Ein Rauswurf wäre rechtswidrig und ein aggressiver Akt. Dass Griechenland selbst einen Schlussstrich zieht, ist deutsches Wunschdenken, denn Griechenland profitiert von den Beistandszahlungen.

Und der Nord-Euro, wie ihn Hans-Olaf Henkel empfiehlt?

Der Nord-Euro ist ebenso wenig zu Ende gedacht wie der Euro, denn auch er würde unter einem Mangel demokratischer Kontrolle leiden. In einer Währungsunion mit Österreich, den Niederlanden oder Finnland könnte sich kein Wähler gegen Inflation wehren, weil jeder nur die eigene Regierung verantwortlich machen kann. Nur die Angst vor Abwahl bremst den Währungsmissbrauch durch Regierungen.

Der Euro hat also keine Zukunft?

Ich habe 1996 geschrieben, dass der Euro ebenso scheitern wird wie alle bisherigen Währungsunionen immer gescheitert sind. 1961 hat Wirtschafts-Nobelpreisträger Robert Mundell gezeigt, dass einheitliches Geld nur in einem Gebiet mit hoher Arbeitsmobilität funktioniert. In den USA ist diese Voraussetzung gegeben, in Europa wegen der Sprach- und Kulturbarrieren nicht. Das vergangene Jahrzehnt hat gezeigt, dass eine Zentralbank unmöglich für 17 Länder eine passende Geldpolitik machen kann. Als die Zinsen für Deutschland zu hoch waren, entstand die Immobilienblase in den Südländern.

Ein zersplittertes Europa würde neben den Wirtschaftsblöcken USA und China zur Randerscheinung.

Mir ist ein Staat lieb, der sich außenpolitisch zurückhält, wie die Schweiz oder Schweden. Machtpolitik mag zwar für das diplomatische Korps attraktiv sein. Der Nutzen für die Bürger ist aber fraglich.

Wie lange geben Sie dem Euro noch?

Das derzeitige Hütchenspiel kann noch ein paar Jahre währen. Das zeigen die Erfahrungen in Deutschland: Die Unabhängigkeit der Notenbank wurde 1914 und 1939 aufgegeben, aber erst neun Jahre später, nämlich 1923 und 1948, war die jeweilige Währung am Ende. Es kann durchaus sein, dass auch der Euro noch zehn Jahre hat, bis wir eines Morgens aufwachen und im Radio hören, er sei Geschichte.

Was raten Sie Anlegern?

Einige Menschen kaufen Immobilien auf Pump, in der Annahme, Bares und Schulden verlieren durch steigende Inflation ihren Wert. Doch wenn der Staat Geld braucht, wird er auch Hausbesitzer zur Kasse bitten, mit Zwangshypotheken oder einer Vermögensabgabe. So war es schon bei der Währungsreform 1948. Die Politik wird keine Bevölkerungsgruppe ungeschoren lassen, wenn es Lasten zu schultern gilt. Vermutlich liegen entsprechende Pläne bereits in den Schubläden.

DER PROFESSOR

Stefan Homburg ist Professor für öffentliche Finanzen an der Universität Hannover. Er war mit 29 Jahren Deutschlands jüngster Professor und lehrte in Bonn und Magdeburg. Mit seinen Ansichten liegt er mitunter quer zum Mainstream. Die Konjunkturprogramme in der Krise 2009 nannte er „Verschwendung öffentlicher Mittel“.

DER BERATER

Homburg gehört zu den bekanntesten Vertretern seines Fachs. Er war im Nachhaltigkeitsrat, in der Föderalismuskommission und im Beirat des Finanzministers. Zeitweise hat er auch Kanzlerin Angela Merkel und Ministerin Ursula von der Leyen beraten.

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