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Wirtschaft: Finnland: Die besten Ideen kommen in der Sauna

Der Trend geht zum Dritt-Handy. "Eines braucht man geschäftlich, eines ist privat, und das dritte liegt im Auto", erklärt Jarmo Lindell.

Der Trend geht zum Dritt-Handy. "Eines braucht man geschäftlich, eines ist privat, und das dritte liegt im Auto", erklärt Jarmo Lindell. "Viele Finnen haben sogar noch ein viertes in der Sauna." Der an sich sehr nüchterne Manager der Firma "Invest in Finland" sitzt in einem schicken Restaurant in der Mitte Helsinkis und kommt kaum dazu, sein "Carpaccio vom Rentier" zu essen. Nach kurzer Warmlaufzeit sprudeln aus ihm ununterbrochen Worte wie "wireless application", "GPRS" und "WAP". Die Welt der Telekommunikation entwickelt sich zu schnell, als dass man allzu viel Zeit auf so banale Dinge wie Essen verschwenden dürfte.

Die Faszination Lindells für das High-Tech-Spielzeug beschreibt die Stimmung im ganzen Land: Die ist ausgezeichnet. Nach der schweren Rezession Anfang der neunziger Jahre, als der Ostmarkt abrupt wegbrach, hat das dünnbesiedelte Land im Norden einen beispiellosen Aufschwung erlebt. Seit 1993 ist die finnische Wirtschaft durchschnittlich um fünf Prozent gewachsen - mehr als doppelt so viel wie der OECD-Durchschnitt. Auch auf dem Arbeitsmarkt macht sich der Aufschwung bemerkbar: Seit dem traurigen Höhepunkt 1993, als jeder fünfte Finne ohne Job war, ist die Quote auf unter zehn Prozent gesunken. Innerhalb von nur einer Dekade hat sich Finnland von dem unteren Ende der europäischen Skala an die Spitze hoch gearbeitet. Und das Wirtschaftswunder hat einen Namen: Nokia.

Noch zu Beginn der neunziger Jahre hat das finnische Telekommunikationsunternehmen Gummistiefel und Klopapier produziert. Heute ist Nokia weltweit die Nummer eins auf dem Handymarkt, mit jährlichen Wachstumsraten von rund 70 Prozent. Der Konzern hat die US-Konkurrenz Motorola und den schwedischen Konkurrenten Ericsson von der Spitze verdrängt und macht inzwischen 50 Prozent des Börsenwertes in Helsinki aus. Aus dem Holz- ist längst ein Handyland geworden.

Nokia hat nicht nur die ganze Nation mit nach oben gezogen, sondern das Wald- und Seenland auch mit einer beispiellosen Hightech-Euphorie infiziert: Schon Ende vergangenen Jahres hatten drei der fünfeinhalb Millionen Einwohner ein mobiles Telefon. Darauf angesprochen, ziehen Finnen jeden Alters ihr neuestes Handy-Modell aus der Tasche und führen aufgeregt die neuesten Innovationen vor. Für sie ist das Handy mittlerweile ebenso selbstverständlich wie der Saunagang geworden.

Im Fahrwasser von Nokia sind in den vergangenen Jahren auch zahlreiche kleinere Internet- und Telekommunikationsfirmen entstanden, die den Ruf Finnlands als nordisches Silicon Valley begründet haben. "Sogar Weltkonzerne wie Microsoft oder Hewlett-Packard haben inzwischen Entwicklungsbüros in Helsinki", sagt ein Mitarbeiter des städtischen Tourismusbüros. Er hat seine eigene Theorie über die Innovationsfreudigkeit seiner Landsleute: "Die besten Ideen kommen in der Sauna, jenseits der 100 Grad."

Niklas Grönlund ist von der Euphorie mitgerissen worden. Der junge Manager ist seit zwei Jahren Senior Vice President der Software-Firma LPG Innovations. LPG, das 1994 in Helsinki gegründet wurde und sich als "Pionier im Bereich drahtlose Technologien" bezeichnet, hat heute über 90 Mitarbeiter und knapp 60 Kunden auf der ganzen Welt - darunter Nokia, Oracle, Ericsson und seit Anfang September auch BMW. "Wir haben Substanz", sagt Grönlund selbstbewusst und könnte damit auch das ganze Land meinen.

Auch die Firma SSH Communications Security rechnet sich große Chancen auf dem Zukunftsmarkt aus. Das vor fünf Jahren ebenfalls in Helsinki gegründete Unternehmen entwickelt Technologien, die das Internet sicherer machen sollen. Anfang des Jahres hatte die Firma noch 60 Mitarbeiter, heute sind es bereits 170, das Durchschnittsalter liegt bei 28 Jahren. "An jedem ersten Montag im Monat kommt ein neuer Schwung", sagt Vizepräsident Kare Laukkanen. Auch SSH hat eine imposante Kundenliste, Nokia ist selbstverständlich dabei, daneben Ericsson, Compaq und Sun Microsystems.

Aber wie LPG hat auch SSH ein Problem: Es wird immer schwieriger, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. "Der Wettbewerb mit den USA um Arbeitskräfte ist hart", sagt Laukkanen. Im Kampf um Talente setzt SSH nicht nur lukrative Aktienoptions-Programme ein, sondern lässt jungen Mitarbeitern auch bei der Wahl des Arbeitsplatzes weitgehende Freiheit. So wird die komplette Entwicklung inzwischen in Kuopio erledigt, im äußersten Norden Finnlands. "Die Entwickler haben sich in Helsinki nicht wohlgefühlt", erklärt Laukkanen. "Da sind wir ihnen entgegengekommmen."

Der Mangel an guten Mitarbeitern wird zusehends zum Problem. Schon im vergangenen Jahr riet Finanzminister Sauli Niinistö zur Vorsicht: "Es läuft schon seit so langer Zeit so gut, dass theoretisch die Gefahr einer Überhitzung besteht. Wir müssen diese Möglichkeit im Auge behalten und dagegen gewappnet sein." Schon jetzt fehlen Tausende von Fachkräften in der Informations- und Kommunikationstechnologie. Vor allem kleine Unternehmen müssen kämpfen - nicht nur gegen das Ausland: Nokia neigt dazu, Hochschulabsolventen gleich jahrgangsweise einzukaufen.

Dass das Land zu den europäischen Spitzenreitern in der IT-Branche zählt, liegt auch daran, dass der Staat die Zukunftstechnologien konsequent fördert - nicht zuletzt durch die konsequente Einrichtung von Technologieparks im ganzen Land. Fast drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes hat die Regierung im vergangenen Jahr für Forschung und Entwicklung ausgegeben - besser war nur Schweden. Ein Handycap sind nur die hohen Unternehmens- und Einkommenssteuern, die zu den höchsten Europas gehören. Das konsequente Engagement zahlt sich heute aus: Technologie durchdringt inzwischen das ganze Land.

Als der ehemalige Handelsattaché Jarmo Lindell im vergangenen Jahr nach neun Jahren in Deutschland in seine Heimat zurückkehrte, plante er schlechtgelaunt mehrere Tage für die Erledigung der Formalitäten ein. So kannte er es aus Deutschland. Tatsächlich war dann alles in einer halben Stunde geschafft. "Ich konnte alles über das Internet erledigen", sagt Lindell.

Maren Peters

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