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Gemessene Zeit. Wer auf seinem Konto Überstunden ansammelt, kann das Mehr an Arbeitszeit auf verschiedene Weise einlösen.

© Picture-alliance /dpa

Flexible Arbeitszeit: Mit Stechuhr

Mehr Freizeit, eine Pause vom Job, früher in Rente gehen: Was Arbeitszeitkonten möglich machen – und warum sie dennoch umstritten sind.

Helga Dahlmann ist Mitarbeiterin der Deutschen Bahn und hat nun endlich genug Stunden angesammelt. Im Jahr 2005 hat sie damit begonnen, hat Monat für Monat die Zeit, die sie länger als vertraglich vereinbart im Büro verbrachte, auf dem Langzeitkonto ihres Arbeitgebers angelegt – und sich so ein Guthaben zusammengespart, das es ihr nun ermöglicht, ihr Arbeitsleben früher hinter sich zu lassen. Jetzt kann sie sich ein halbes Jahr vor ihrem eigentlichen Renteneintritt ganz ihrem Hobby, dem Gärtnern widmen.

Der Name Helga Dahlmann ist ausgedacht, doch ihr Fall real und ein Musterbeispiel für die Nutzung von Arbeitszeitkonten bei der Deutschen Bahn.

Und nicht nur bei der Bahn sind solche flexiblen Arbeitszeitmodelle üblich. Inzwischen hat laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) jeder zweite Arbeitnehmer in Deutschland ein Arbeitszeitkonto. Generell spricht man von einem Arbeitszeitkonto, wenn die Arbeitsstunden des Beschäftigten registriert werden und der Arbeitnehmer die Möglichkeit des Auf- und Abbauens von Stunden hat. Noch sind Kurzzeitkonten die Regel, bei denen das Konto zum Jahresende ausgeglichen sein soll.

Doch zunehmend werden solche Konten flexibler geführt: Vor allem in Großunternehmen arbeitet man – wenn von Arbeitnehmer und Arbeitgeber gewünscht – mit „optionalen Langzeitkonten“ und „Lebensarbeitszeitkonten“. Sie sollen dem Arbeitnehmer zum Beispiel ermöglichen, in seinen leistungsfähigsten Zeiten Arbeitsstunden anzusparen, um im Alter von dem Guthaben zu zehren. So kann man sich selbst seine Altersteilzeit verdienen.

Mit einem optionalen Langzeitkonto dagegen können auch berufliche Auszeiten, Familienzeiten oder Pflegezeiten für Angehörige genommen werden. Das Langzeitkonto-Modell wird von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen gefördert. Der Wandel findet bisher aber langsam statt: Derzeit bieten zwei Prozent aller Unternehmen jene Konten an.

Ines Zapf vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bewertet Arbeitszeitkonten überwiegend positiv: „Der Arbeitgeber kann so betriebliche Schwankungen ausgleichen und Leerlaufzeiten vermeiden“, sagt sie „und für den Arbeitnehmer ist es ein Plus an Flexibilität.“ So könne man Privates oft besser mit Beruflichem vereinbaren. Zapf sagt aber auch, dass die betrieblichen Belange häufig Vorrang hätten.

„Bei uns gibt es Langzeitkonten seit 2005“, sagt Stefan Gottschlich, Referent für Tarifpolitik bei der Deutschen Bahn. „Der Nutzungsgrad ist zwar noch nicht allzu hoch – die, die es nutzen, sind aber sehr zufrieden. Sie nehmen es gerne in Kauf, eine Zeit lang mehr zu arbeiten oder einen Teil ihres Gehaltes einzuzahlen, um sich dann für ein paar Monate aus dem Erwerbsleben zurückziehen.“

Nicht immer lassen sich flexible Arbeitszeiten umsetzen

Doch nicht in allen Bereichen lässt sich ein solches Modell gleich gut umsetzen. In der Verwaltung etwa mag die Umverteilung gut funktionieren, beim Schienenpersonal, das im Schichtdienst arbeitet, dagegen weniger. „Die Antragsfristen für Freistellungen beim Langzeitkonto sind dann etwas länger und es ist auch nicht so einfach, zwischendurch einmal einen Tag zuhause zu bleiben“, sagt Gottschlich. Bisher habe man aber allen Ansprüchen gerecht werden können.

Auch das Modell Kurzzeitkonto birgt im Arbeitsalltag Probleme: Wenn etwa ein Architekturbüro gerade drei Großaufträge angenommen hat, wird es dort sicher nicht gern gesehen, wenn ein Mitarbeiter sein Guthaben reduzieren und einen Tag mit der Familie verbringen will, statt sich der Planung für eine Gebäudeerweiterung zu widmen. Einen Anspruch darauf, seine Mehrarbeit auszugleichen, wann es für ihn günstig ist, hat der Mitarbeiter nicht. Die Kurzzeitkonten unterliegen keiner gesetzlichen Regelung – es sei denn, die Nutzung des Kontos ist vertraglich vereinbart.

Bei Langzeitkonten sieht das anders aus. Sie sind durch das „Flexi II“-Gesetz 2009 im Sozialgesetzbuch (SGB) geregelt. Danach ist das „Wertguthaben“ der Arbeitnehmer, wie die angesparte Arbeitszeit dort genannt wird, etwa bei möglicher Insolvenz des Unternehmens abgesichert, der Arbeitnehmer geht in einem solchen Fall nicht leer aus.

Außerdem hat der Arbeitnehmer durch Flexi II den gesetzlichen Anspruch darauf, für die Pflege eines Angehörigen freigestellt zu werden, die Elternzeit auszubauen oder dauerhaft seine Arbeitszeit zu verringern; je nach vereinbartem Verwendungszweck des Wertguthabens. Bei Langzeitkonten kann der Arbeitnehmer seinen Anspruch zur Not rechtlich einklagen.

Sind Arbeitnehmer und Arbeitgeber nun doch nicht gleichermaßen Nutznießer dieses Modells? „Die Regelungen vor allem für Kurzzeitkonten sind extrem schlecht. Üblicherweise sind diese Arbeitszeitkonten noch im Interesse des Arbeitgebers“, sagt Martina Perreng vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) Berlin. Dort, wo Arbeitszeitkonten in den Tarifverträgen verankert seien, wie bei der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) oder der IG Metall, profitierten beide Parteien. „Aber überall, wo es individuelle Vereinbarungen gibt, sind diese meistens im Sinne des Arbeitgebers“, sagt Perreng. „Da entscheiden doch vor allem die Unternehmen, wann die Stunden abgebaut werden.“

Auch das Langzeitkonto-Modell bedarf der Überarbeitung: Der DGB will etwa erreichen, dass in der gesetzlichen Regelung zum Wertguthaben auch die Freistellung des Arbeitnehmers vor dem eigentlichen Renteneintritt berücksichtigt wird.

Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung hingegen kritisiert in einem Diskussionspapier von 2011, dass die Arbeitszeitkonten zu wenig mit beruflicher Weiterbildung gekoppelt seien. Hier wird von Lernzeitkonten gesprochen, die als Ergänzung auch den Unternehmen zu Gute kämen.

Bisher funktioniert diese Kopplung nur auf Eigeninitiative der Mitarbeiter. So erzählt Stefan Gottschlich von einem Bahn-Mitarbeiter, der sich auf seinem Konto einen Monat zusammengespart hatte, um in der Zeit an einer Qualifizierungsmaßnahme teilzunehmen. Und „Exoten“ gäbe es bei der Nutzung der Langzeitkonten auch: So habe ein Mitarbeiter einmal so viel Zeit zusammengespart, dass er sich mehrere Jahre freistellen lassen konnte.

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