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Eine Drohne (Symbolbild).

© picture alliance / dpa / Axel Heimken

Fliegende Lebensretter: Drohnen bringen Spenderorgane

Organtransporte, Medikamente und Überwachung von oben – Drohnen erhalten immer neue Aufgaben. Das ist praktisch, wirft aber auch Probleme auf.

Die Idee klingt einleuchtend: lebensrettende Spenderorgane per Drohne an ihren Bestimmungsort zu bringen. Das spart Zeit in lebenskritischen Situationen, denn Drohnen sind weitgehend unabhängig von gut ausgebauten Verkehrswegen, der herrschenden Verkehrslage und den Kapriolen des Wetters. Sie sind präzise und pünktlich. Und ist die technische Infrastruktur erst einmal eingerichtet, kostet der unbemannte Organtransport durch die Luft möglicherweise langfristig weniger als der Transport mit den bisher üblichen Mitteln: per Charterflugzeug oder Hubschrauber, im Auto oder – seltener – im ICE.

In den USA könnte nun der Durchbruch gelungen sein: Anfang Mai transportierte eine Drohne erstmals eine Spenderniere zu ihrer Empfängerin, einer 44 Jahre alten Patientin an der Uniklinik Maryland. Zwar blieb die für den Jungfernflug überbrückte Entfernung mit fünf Kilometern übersichtlich. Die beteiligten US-Wissenschaftler sprachen dennoch von einem Meilenstein auf dem Weg, „den Transport von Spenderorganen neu zu erfinden“.

Wichtigstes Erfolgsmerkmal ist aus Sicht der Transplantationsmediziner eine Verkürzung der sogenannten Ischämiezeit, also der Zeit, in welcher die Organe nach Entnahme aus dem Körper des Spenders nicht durchblutet werden. Nicht selten stehen für den Transport nur wenige Stunden zur Verfügung.

Innerhalb des europäischen Eurotransplant-Netzwerks wird die Vermittlung von Spenderorganen außerdem zwischen acht Ländern koordiniert.

Verantwortlich für eine flächendeckende Logistik ist hierzulande die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO). Die Entfernung zwischen Spender und Empfänger, die aktuelle Verkehrssituation und die Wetterbedingungen müssen berücksichtigt werden, ebenso wie der gesundheitliche Zustand des Organempfängers. Drohnen könnten in diesen Punkten beträchtliche Vorteile bringen, vermutet der DSO-Logistikexperte André Ebbing. Vor allem im Mittel- und Kurzstreckenbereich, in Ballungsgebieten und zu den Hauptverkehrszeiten könnten sich Drohnen bewähren.

Dass die ferngesteuerten Flugkörper für die lebensrettenden Missionen bald zum Einsatz kommen, glaubt Ebbing dennoch nicht: „In Deutschland ist das noch Zukunftsmusik“, sagt er. Zu viele technische, aber auch regulatorische Hindernisse müssen zuvor überwunden werden. Da ist zunächst einmal das Gewicht: Transportbox, Organ und Eis bringen zusammen leicht 15 Kilogramm auf die Waage: viel zu schwer für gängige Drohnensysteme. Große Drohnen, die ein solches Gewicht handeln können, erfordern außerdem eine ähnliche Infrastruktur wie ein kleines Flugzeug, einschließlich der Landemöglichkeiten. Die Leistungsfähigkeit von Lithium-Ionen-Akkus, wie sie heute zur Verfügung stehen, reicht nicht aus zur Überbrückung weiterer Strecken bei schwerer Ladung.

Völlig ungeklärt ist bislang die Haftungsfrage

Nicht minder gewichtig sind darüber hinaus die juristischen Barrieren: So untersagt die Luftverkehrsordnung (Luft VO) die Steuerung von zivilen Drohnen außer Sichtweite. Regulierungsbedarf gäbe es darüber hinaus auf dem Gebiet der Luftraumüberwachung. Völlig ungeklärt ist bislang außerdem die Haftungsfrage, etwa im Falle einer Kollision am Himmel. Ein Drohneneinsatz für den Organtransport sei von einem Serieneinsatz noch Jahre entfernt, bilanziert DSO-Experte Ebbing deshalb.

Trotzdem wächst das Interesse. Als das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) Anfang 2019 Fördermittel auslobte zum Thema „unbemannte Luftfahrtanwendungen (UAS) und individuelle Luftmobilitätslösungen“, häuften sich Nachfragen auch bei der DSO. Die Ausschreibung nennt ausdrücklich den Einsatz von UAS für die Beförderung von Blut, Blutplasma, Organen oder pathologischen Schnitten. Unter den Bewerbern seien auch Projekte aus dem medizinischen Bereich.

International ist der Run auf den Drohnentransport ohnehin ungebrochen. Amazon stellte bereits vor fünf Jahren öffentlichkeitswirksam den Prototyp einer Lieferdrohne vor. Eine Google-Tochter verschickt im australischen Canberra Lebensmittel und Medikamente per unbemannten Lufttransporter. In Ruanda und Ghana befördern Drohnen Medikamente, Impfstoffe und Blutkonserven. Ein kalifornisches Start-up baut hier an einem flächendeckenden Drohnennetzwerk und verspricht tägliche Belieferung mit mittelfristig bis zu 1500 Flügen pro Tag.

In Ostafrika hat die Post-Tochter DHL in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und dem Drohnenhersteller WingcopterLieferdrohnen im Einsatz, die Medikamente an schwer zugängliche Destinationen bringen sollen. Über sechs Monate hinweg habe die Zustellung per unbemanntes Luftfahrzeug auf eine Insel im Viktoriasee funktioniert, wirbt DHL. Der selbstständig fliegende „Paketkopter 4.0“ schaffe eine Flugstrecke von 60 Kilometern vom Festland bis zur Insel in durchschnittlich 40 Minuten.

Frachtdrohne mit fünf Kilo schweren Kisten

Zusammen mit einem chinesischen Drohnenhersteller erprobt der deutsche Logistikkonzern außerdem nahe der südchinesischen Metropole Guangzhou den Einsatz einer Frachtdrohne, die angeblich Kisten mit einem Gewicht von bis zu fünf Kilogramm transportieren kann. Die Deutsche Flugsicherung (DFS) tüftelt im Joint Venture mit der Deutschen Telekom an technischen Lösungen für die Fernnavigation von Drohnen, die sie auch Rettungsdiensten und Feuerwehren anbieten wollen.

Die erfolgreiche US-Drohne in Maryland war für den Transport von empfindlichen menschlichen Organen gut ausgestattet: Sensoren und Sicherheitssysteme, mit denen Luftdruck, Temperatur und Vibration gemessen wurden, erlaubten den Medizinern, den Zustand des Organs in Echtzeit verfolgen zu können. Dem ersten Einsatz waren 44 Testflüge mit mehr als 700 Flugstunden vorausgegangen.

Zusätzlichen Schub bekäme die Weiterentwicklung ferngesteuerter Transportsysteme beim Thema Transplantation beim Kostenvergleich: Für die schnelle Beförderung von zur Transplantation bestimmten Organen fallen hohe Vorhaltekosten an, die durch die derzeit praktizierte Mischung aus Jet, Hubschrauber, Auto oder Zug verursacht wird. Der Bedarf ist kaum planbar: Manchmal seien es mehrere Flüge in einer Nacht, dann wieder nur zwei innerhalb von zwei Wochen. Das Transportnetzwerk einschließlich Piloten, Fahrern und Technik muss dennoch rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Allerdings, gibt DSO-Experte Ebbing zu bedenken, müsse auch die technische Infrastruktur für den Drohnentransport erst einmal aufgebaut und finanziert werden.

Sabine Rössling

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