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Wirtschaft: Flüchtige Shopping-Kicks

Konsumenten haben ihre Gewohnheiten geändert – die alten Kaufreflexe funktionieren nicht mehr

Bei Aldi Schampus kaufen und Skoda fahren. Perfekt!“ In den 90er Jahren hätte sich wohl keine Werbeagentur mit einem solchen Spruch zu seinem Auftraggeber gewagt. Damals waren die Billigketten noch nicht besonders beliebt, mit ihnen geworben hätte man schon gar nicht. Doch die Zeiten haben sich geändert. Die Kunden rennen den Discountern die Geschäfte ein, weil sie wissen: Gutes kann so billig sein.

„Krisenkonsum“ nennt das Dirk Ziems vom Marktforschungsinstituts Ifm. Mit Hilfe der Tiefenpsychologie versucht Ziems, das Verhalten von Konsumenten zu erklären. Besonders das Jahr 2002 habe den Verbrauchern einiges zugemutet: Die Nachwirkungen des 11. September, die Einführung des Euro, die Wirtschaftskrise und der Irak-Krieg haben die Menschen tief verunsichert. Die Folge: Kollektive Konsumverweigerung.

Wesentlich lockerer saß den Verbrauchern das Geld noch in den späten 90er Jahren in der Tasche. Börsenhype, Gründerboom und New Economy: Die Möglichkeiten des neuen Jahrtausends schienen verlockend. „Die Menschen haben ihren Individualismus gepflegt, indem sie teure Marken kauften oder ausgefallene Funsportarten ausprobierten“, sagt Ziems. Das Lebensgefühl der Zeit bestand darin, Grenzen zu überschreiten und Neues auszuprobieren.

Inzwischen hat sich das Wertesystem der Konsumenten grundlegend geändert. „Die Verbraucher reagieren auf die Krise“, sagt Ziems. „Sie suchen nach Halt, Bindung und neuer Bodenhaftung.“ Aus Sorge vor der Zukunft stehe heute die Absicherung des Wohlstandes im Vordergrund. Hipper Lifestyle ist vielen suspekt geworden. Dafür darf es heute etwas spießiger sein. Wenn Aldi, Lidl und Co eine Kollektion mit Gartenmöbeln anbieten, trifft sich eine bunte Mischung aus jung und alt, arm und reich an der Ladenkasse.

Rückzug ins Privatleben

„Die Menschen ziehen sich ins Private zurück“, sagt Ziems. In Berlin bevölkern junge, modische Familien aus Prenzlauer Berg oder Mitte die Schrebergärten, und Grillen wird zur Trendsportart. Die Lifestyle-Verweigerung trifft besonders die Markenhersteller. Sie rechtfertigen den hohen Preis ihrer Produkte mit besserer Qualität und einem besonderen Lebensgefühl, das sie vermitteln. Nachdem die Discounter bewiesen haben, dass sie mit ihren Produkten gleiche oder sogar bessere Qualität bieten, kommt den Markenherstellern jetzt auch das zweite Verkaufsargument abhanden. „Die Menschen werfen Ballast ab und verzichten. Sie wollen nicht mehr die Fun-aktiv-Margarine. Sie wollen einfach nur Margarine“, sagt Ziems.

Viele Händler reagieren mit blindem Preisaktionismus auf die Konsumkrise. Doch mit „Dauertiefpreisen und Schnäppchen-Happenings“ wird das Problem nur verschärft, sagt Lothar Rolke, Marketing-Professor an der Fachhochschule Mainz. Den Händlern gelinge es stattdessen immer weniger, die Kunden langfristig an sich zu binden. In Zukunft könnten daher Verkaufskonzepte erfolgreich werden, die völlig auf Sonderangebote verzichten. Auf diese Strategie setzt schon jetzt sehr erfolgreich die Textilkette C & A.

Ganz auf Luxus und ausschweifenden Konsumrausch wollen die Verbraucher aber nicht ganz verzichten. Ziems nennt das Ablenkungskonsum: „Die Kunden geben sich gerne flüchtigen Shopping-Kicks hin, um die Krise zu verdrängen.“

Maurice Shahd

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