zum Hauptinhalt
Das Berliner Bildungsprojekt Cucula will Flüchtlingen berufliche Perspektiven aufzeigen. Ein erster Schritt für mehr Integration auf dem Arbeitsmarkt. Die private Initiative finanzierte sich bislang über Crowdfunding und Privatspenden.

© Cucula

Flüchtlinge: Ein Job bleibt vielen verwehrt

In Berliner Unternehmen fehlen Fachkräfte und Auszubildende. Flüchtlinge könnten die offenen Stellen besetzen. Doch in den Firmen gibt es Berührungsängste. Und der Staat hat ihrer Beschäftigung Grenzen gesetzt.

Für Langeweile ist kein Platz in Maliks Leben. Nicht mehr. Er und zwei seiner Kollegen waren den ganzen Vormittag unterwegs, um ihre selbstgebauten Stühle aus der Werkstatt in ein Lager zu bringen. Als der junge Mann nach ein paar Stunden wieder in dem Kreuzberger Fabrikraum ankommt, stehen noch immer dutzende Möbelstücke auf den Werkbänken und mitten im Weg. Der Platz ist knapp, viele Bestellungen müssen bearbeitet werden. Jeden Tag vermessen, sägen und hämmern die insgesamt fünf jungen Männer – normale Handwerker sind sie aber nicht.

Die meisten Flüchtlinge kommen aus Syrien, Eritrea und den Balkanstaaten

Noch vor einem Jahr gehörten sie zu den Flüchtlingen, die auf dem Oranienplatz in der Kälte ausgeharrt haben in der Hoffnung, es würde sich endlich etwas tun: dass die Berliner Verwaltung ihre Bedürfnisse wahrnimmt, dass sie bleiben dürfen und dass man sie endlich arbeiten lässt. Malik ist einer von tausenden Menschen, die ihre Heimat verlassen und in Deutschland Zuflucht gesucht haben. In Berlin halten sich nach Zahlen des Landesamtes für Gesundheit und Soziales derzeit rund 13 700 Männer, Frauen und Kinder auf, die auf politisches Asyl hoffen. Die meisten von ihnen stammen aus Krisengebieten wie Syrien und Eritrea sowie den Balkanstaaten Serbien, Mazedonien und Kosovo.

Viele haben keine Arbeitserlaubnis für Deutschland

Nach aktueller Rechtslage sind die meisten von ihnen auf deutschem Boden mangels Arbeitserlaubnis zunächst einmal zum Nichtstun gezwungen. „Viele Geflüchtete verstehen das nicht“, sagt Berlins Arbeits- und Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD). „Sie wollen sich hier einbringen, also auch arbeiten und nicht von staatlicher Hilfe leben.“

Das Bildungsprojekt Cucula unterstützt Flüchtlinge

So wie Malik. Der 21-Jährige aus Niger hatte nicht damit gerechnet, dass die größte Volkswirtschaft Europas Migranten den Zugang zum Arbeitsmarkt derart erschwert – zumindest wenn es um Menschen geht, die nicht aus EU-Ländern stammen. „Die ganze Zeit nur schlafen und essen, das war sehr langweilig“, sagt Malik. Für den Afrikaner hat sich in den vergangenen Monaten alles verändert. Nicht weil die Behörden ihm nach seiner Ankunft in Berlin geholfen hätten, sondern wegen Cucula, dieser Werkstatt, in der er jetzt sitzt. „Cucula ist wichtig für mich“, sagt Malik. „Lernen, bauen, Deutsch sprechen.“ Als er 2012 in Berlin ankam, verstand er kein Wort. „Die deutsche Sprache ist das A und O für die Arbeitsmarktintegration“, sagt Senatorin Kolat. „Da muss die Bundesregierung schneller den Zugang zu den Integrationskursen für alle geflüchteten Menschen öffnen. Der zweite Schritt ist dann der Zugang zu den Betrieben.“

Cucula finanziert sich über Crowdfunding

Das „Unternehmen von und für Flüchtlinge“, wie es auf der Homepage von Cucula heißt, ist kein gewöhnlicher Betrieb, sondern ein Bildungsprojekt. Es soll Flüchtlingen den Weg in die Arbeitswelt erleichtern. Malik ist einer von fünf, die ein Jahr lang nicht nur Möbel zimmern sollen, sondern gemeinsam auch Berufsbildungszentren und Deutschkurse besuchen. Wer bei Cucula arbeitet, ist kein Beschäftigter im klassischen Sinne. Malik und die anderen Flüchtlinge sollen mittelfristig als Stipendiaten mit rund 1000 Euro pro Monat gefördert werden – das Geld dafür ist im Rahmen einer Crowdfunding-Aktion zusammengekommen. Es vergrößert die Chance auf Aufenthaltstitel, weil die fünf Männer im Falle einer Beschäftigung keine staatliche Hilfe bräuchten. Bis die Bescheide kommen, können allerdings Monate ins Land gehen. Wer kein Gehalt in Aussicht hat, muss eher mit einer Ablehnung rechnen und findet dann erst recht schwerer einen Job.

Das Bildungsprojekt soll Flüchtlingen Perspektiven aufzeigen

Die Idee zu Cucula kam den Designern Corinna Sy und Sebastian Däschle vor knapp einem Jahr. „Ich hatte vorher gar nichts mit Flüchtlingen zu tun“, erzählt Däschle. Die fünfköpfige Flüchtlingsgruppe lernte er im Kulturhaus „Schlesische 27“ kennen. Dort hatten die Männer ein Kälteobdach gefunden. In einem Workshop mit Däschle haben sie einfache Möbel gebaut, die sie selbst nicht gebrauchen konnten. Die Stücke sind echte Möbelklassiker, gebaut nach Plänen des Designers Enzo Mari. Warum also nicht verkaufen? Stück für Stück entwickelte sich daraus ein Konzept, das einen ganz neuen Ansatz bei der Integration von Flüchtlingen verfolgt. „Es geht vor allem darum, Perspektven zu öffnen“, erklärt Corinna Sy. Mit Hilfe von Cucula sollen die Flüchtlinge erkennen, welche Ziele realistisch und erreichbar sind. Malik zum Beispiel hat in der Werkstatt nicht nur gelernt, mit Holz umzugehen. Er kann sich mittlerweile auch auf Deutsch verständigen.

Deutschkurse sind sehr begehrt

Walid Chahrour hat jeden Tag mit Menschen zu tun, die versuchen, in Berlin anzukommen. Als Leiter des Beratungs- und Betreuungszentrums für junge Migranten und Flüchtlinge (BBZ) ist er oft zwölf Stunden täglich im Einsatz. „Die Nachfrage ist riesig, die Leute wollen arbeiten“, erzählt er, während die drei Telefone auf seinem Tisch fast ununterbrochen klingeln. Draußen auf dem Flur sitzen Menschen, die auf Ausbildungs- und Arbeitsplätze hoffen. Viele suchen einen Platz in einem Deutschkurs, obwohl die Arbeitserlaubnis noch in weiter Ferne liegt. „Es gibt aber auch Jugendliche, die die Schule abbrechen, weil sie denken, dass sie hier ohnehin keine Arbeits- oder Ausbildungsstelle antreten dürfen“, sagt Chahrour. Nichts tun zu dürfen, bewirke ein Gefühl des Unerwünschtseins. Chahrour befürchtet „eine neue verlorene Generation“.

Der Senat investiert 600 000 Euro

Der Senat gibt 2014 und 2015 insgesamt 600 000 Euro aus, um Flüchtlingen einen Basis-Sprachkurs an den Berliner Volkshochschulen (VH) zu ermöglichen. Rund 1000 Sprachkurse können laut Michael Weiß, Leiter der VH Mitte, mit dem Geld finanziert werden. Ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man sich in Erinnerung ruft, wie viele Menschen in Berlin Zuflucht suchen. Zudem reichen die im Grundkurs erworbenen Sprachkenntnisse gerade einmal aus, um einzukaufen oder sich im öffentlichen Nahverkehr zu verständigen – für eine Berufsausbildung aber ist das laut Weiß zu wenig. Wer auf dem Arbeitsmarkt ankommen möchte, muss sich also weiterbilden. Laut Weiß kommen dafür diverse Programme infrage, die von der EU, dem Bund oder den Ländern finanziert werden. „Sie müssen den Flüchtlingen aber besser zugänglich gemacht werden“, sagt Weiß. „Ein Übergangsmanagement tut not.“

Der Klinikkonzern Vivantes setzt auf Zuwanderer

Berater Chahrour sieht mit Blick auf den Arbeitsmarkt aber nicht nur die Verwaltung, sondern auch die Unternehmen in der Pflicht. „Sie sollten das Potenzial der Flüchtlinge für ihre eigenen wirtschaftlichen Perspektiven verstehen“, fordert er. Ein gutes Beispiel für die Integration von Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt sei etwa Vivantes. Bei dem Berliner Klinikkonzern habe man bemerkt, dass zugewanderte Kräfte aufgrund ihrer Muttersprache und des kulturellen Wissens in der Versorgung von Patienten mit Migrationshintergrund ein echter Vorteil sein können. „Gerade im Klinikum Neukölln und Am Urban haben wir viele Patienten mit Migrationshintergrund“, bestätigt Personalentwicklungsleiterin Eva Müller-Dannecker. Derzeit arbeiten Menschen aus rund hundert Nationen in dem Unternehmen – darunter auch fünf syrische Ärzte, die nicht in ihrer Heimat bleiben konnten. Vor allem Mediziner müssten gut Deutsch sprechen können, damit in der Zusammenarbeit keine Fehler passierten. Bei Bedarf bekommen sie Hilfe bei der Suche nach Sprachkursen.

Unternehmen fürchten, dass Flüchtlinge abgeschoben werden

Viele Firmen scheuen dennoch zugewanderte Mitarbeiter ohne gesicherten Asylstatus – auch aus Angst, sie nach kurzer Zeit durch eine Abschiebung zu verlieren. Das Gleiche gelte für Auszubildende, sagt Arbeitssenatorin Kolat. „Die Unternehmen erwarten, dass junge geflüchtete Auszubildende nach der Ausbildung ein Bleiberecht erhalten“, sagt sie. Der Bundesrat hat gerade in seiner Stellungnahme zu einem entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung dieselbe Forderung formuliert – und den Gesetzgeber zum Nachbessern aufgefordert.

----------------------------------------

WARUM DIE MEISTEN FLÜCHTLINGE NICHT ARBEITEN DÜRFEN

Seit November dürfen Flüchtlinge unter bestimmten Bedingungen nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland einer beruflichen Tätigkeit nachgehen. Zunächst muss die zuständige Agentur für Arbeit aber prüfen, ob es nicht bevorrechtige Arbeitnehmer für die Stelle gibt – das sind Deutsche, EU-Bürger und Migranten mit Aufenthaltserlaubnis. Die Behörde entscheidet aber nach Aktenlage und nicht nach tatsächlicher Nachfrage seitens potenzieller Arbeitnehmer.

Ein Beispiel: Wenn ein Flüchtling als Hilfsarbeiter in einem Lager arbeiten möchte, prüft das Amt, ob für die Stelle bevorrechtige Arbeitssuchende infrage kämen – geeignet sind alle gesunden Menschen, eine Ausbildung braucht es nicht. In strukturschwachen Regionen wirkt dieses Vorgehen nach Auffassung von Pro Asyl wie ein Arbeitsverbot, weil es viele Arbeitssuchende gibt, die das Angebot theoretisch annehmen könnten – ob sie es wirklich tun würden, ist nachrangig. In Boomregionen hätten Flüchtlinge da schon bessere Chancen, da sie die Einzigen für die Stelle sind.

Um den Antrag auf eine Arbeitserlaubnis stellen zu können, muss man im Asylverfahren sein. Doch auch wenn dieses negativ entschieden wurde, man also nur geduldet ist, kann man sich theoretisch bei der Arbeitsagentur melden. Viele Geduldete unterliegen dennoch einem Arbeitsverbot, weil sie nicht an ihrer eigenen Abschiebung mitwirken, sich also zum Beispiel weigern, bei der Ausländerbehörde ihren Pass vorzulegen. Der Zugang zum Arbeitsmarkt bleibt Flüchtlingen allein deshalb oft verwehrt, weil sie kein Deutsch sprechen. Ein Recht auf Integrationskurse hat aber nur, wer schon einen Aufenthaltstitel hat. Der Bundesrat hat die Bundesregierung am Freitag aufgefordert, bei den entsprechenden gesetzlichen Regelungen nachzubessern. Die Länder wollen auch Geduldeten die Teilnahme an Integrationskursen ermöglichen. anp

Zur Startseite