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Verlorene Zeit: Rund 1500 Menschen warten jeden Tag so lange, dass sie Entschädigungen von den Airlines verlangen könnten.

© dpa

Fluggastrechte: Brüssel: Weniger Entschädigungen für Verspätungen

Die EU-Kommission will die Fluggastverordnung überarbeiten. Entschädigungen soll es künftig erst ab Verspätungen von fünf Stunden geben. 72 Prozent der Verbraucher gingen dann leer aus.

Kunden, die stundenlang am Flughafen sitzen und hinterher die Airline für die Verspätung zur Kasse bitten wollen, kennen das Spiel. Erst einmal passiert gar nichts. Wenn die Verbraucher nicht aufgeben und drängeln, folgt meist ein Musterschreiben, in dem die Fluggesellschaft erklärt, dass sie an der Verspätung unschuldig ist, weil ein technischer Defekt den pünktlichen Start verhindert hat. Erst wenn der Kunde dann einen Anwalt einschaltet, geht alles plötzlich ganz schnell: "Zu 90 Prozent bekommen die Leute ihre Ansprüche durch", weiß Ronald Schmid, Rechtsanwalt und Professor für Luftverkehrsrecht in Dresden.

Doch künftig könnte es für Fluggäste noch schwieriger werden, eine Entschädigung durchzupauken, als heute. Denn die EU-Kommission will die seit 2005 geltende Fluggastrechteverordnung 261/2004 überarbeiten und plant eine massive Einschränkung der Verbraucherrechte. Derzeit können Passagiere von der Fluggesellschaft eine - entfernungsabhängige - Entschädigung zwischen 250 und 600 Euro fordern, wenn der Flug ausfällt, überbucht ist oder der Flieger sein Ziel erst mit einer Verspätung von mindestens drei Stunden erreicht (ab 3500 Kilometern: vier Stunden). EU-Verkehrskommissar Siim Kallas will das ändern. Während bei Annullierungen und Überbuchungen alles beim alten bleiben soll, sollen Passagiere bei Verspätungen künftig erst ab fünf Stunden einen finanziellen Ausgleich bekommen. Bei außereuropäischen Flügen zwischen 3500 und 6000 Kilometern will Kallas die Verspätungsgrenze auf neun Stunden erhöhen, bei Flügen von mehr als 6000 Kilometern auf zwölf. Wer von Berlin nach Gran Canaria fliegt, müsste danach künftig nicht mehr vier, sondern bis zu neun Stunden in Tegel warten, ohne dafür von der Airline eine finanzielle Entschädigung zu bekommen. Ein Unding, meinen Kritiker. „Man muss erst einmal neun Stunden irgendwo sitzen, um fünf Stunden zu fliegen“, kritisiert Schmid.
Für die Kunden wären die Einschnitte enorm. Nach Berechnungen des grünen Verkehrspolitikers Markus Tressel sind in Deutschland nämlich jeden Tag an die 1500 Menschen von entschädigungspflichtigen Verspätungen betroffen. Nach der Neuregelung würden 72 Prozent derjenigen, die heute noch eine Entschädigung verlangen können, leer ausgehen, warnt Josef Schneider vom Europäischen Fahrgastverband EPF. Die europäischen Airlines würde das nach Schätzungen Schmids um ein bis drei Milliarden Euro im Jahr entlasten.

Und das sind nicht die einzigen Zumutungen, die Kunden aus Brüssel drohen.

Fünf Stunden Warten auf dem Rollfeld

Nach dem Reformpapier sollen Passagiere nämlich nicht nur in der Wartehalle, sondern auch im Flugzeug stundenlang schmoren müssen, ohne hinterher einen finanziellen Ausgleich zu bekommen. Geht es nach den Vorstellungen der EU-Kommission, sollen Kunden künftig bis zu fünf Stunden in der geschlossenen Maschine auf der Rollbahn hocken müssen, ohne später dafür die Fluggesellschaft zur Kasse bitten zu können. Was heute eher selten vorkommt, könnte Reisenden künftig häufiger drohen. Denn zwar sollen die Fluggesellschaften auch in Zukunft weiter für technische Pannen haften, aber nicht, wenn das Personal die Probleme erst auf dem Rollfeld bemerkt, warnt Rechtsanwalt Robert Weist. Technische Defekte, die erst während des Flugs auftreten, gelten als außergewöhnliche Umstände so wie Fluglotsenstreiks oder Vulkanausbrüche, für die Lufthansa und Co. aus Prinzip nicht haften müssen. Das lädt zu Missbrauch ein, fürchtet der Jurist. Wer erst auf dem Rollfeld die verstopfte Toilette bemerkt und reparieren lässt, kann so die Entschädigungszahlungen umgehen.

In der Branche kommen die Reformpläne gut an. "Es muss auch in der Luftfahrt das Prinzip gelten, dass nur der haftbar ist, der einen Schaden auch verursacht hat", heißt es beim Bundesverband der deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL). Der Änderungsvorschlag stelle das sicher, indem er genau definiere, für welche Verspätungen Airlines haften und wann höhere Gewalt vorliege. Der Ausgleich für Schäden müsse in einem angemessenen Verhältnis zur Schadenshöhe stehen, mahnt der Verband. "Alles was darüber hinausgeht, geht letztlich zu Lasten aller Passagiere, da Fluggesellschaften sich über ihre Ticketerlöse finanzieren", warnt der BDL vor Preiserhöhungen.

Doch die dürften nicht nötig sein, zumindest nicht wegen übergroßer Ansprüche der Kunden. Im Reformpapier, das seit März in Brüssel beraten wird, schlummern nämlich weitere Härten. Während bisher die Fluggesellschaften die Hotelkosten für gestrandete Passagiere, deren Flüge ausfallen oder verschoben werden, in voller Höhe und ohne zeitliche Beschränkung zahlen müssen, sollen sie künftig nur noch drei Nächte und maximal 100 Euro pro Nacht übernehmen müssen. Wenn sie es geschickt anstellen, kommen sie sogar kostenlos aus allen Verpflichtungen heraus, befürchtet Rechtsanwalt Andreas Seegers. Die neue Verordnung erlaubt den Airlines, mit den Kunden individuelle Vereinbarungen zu schließen, in denen diese auf Zahlungen verzichten. Einzige Voraussetzung: Die Airline muss die Verbraucher vorher über deren Rechte aufgeklärt haben.

Kunden, die ihre Rechte verteidigen und Geld von der Airline wollen, müssen sich künftig beeilen. Nach der geplanten, veränderten Verordnung muss man innerhalb von drei Wochen Beschwerde einlegen, bisher hat man drei Jahre Zeit.

Justizministerium hat noch Beratungsbedarf

Doch noch ist unklar, ob sich Brüssel mit der Reform durchsetzt und wie lange die Diskussionen noch dauern werden. Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, will sich für Korrekturen einsetzen. Und auch im Bundesjustizministerium, das gemeinsam mit dem Bundesverkehrsministerium zuständig ist, sieht man in der geplanten Reform zwar „viel Gutes“. Aber „in Details besteht noch Beratungsbedarf“, betonte eine Sprecherin auf Anfrage.

Die EU-Kommission verteidigt dagegen die geplante Reform. Die bisherigen Fluggastrechte würden der Annullierung von Flügen Vorschub leisten, sagte eine Sprecherin dem Tagesspiegel. Die geplante Verschärfung bei den Verspätungsregeln „soll den Druck auf die Fluggesellschaften erhöhen, einen Flug durchzuführen und nicht einfach zu annullieren.“ Mit der Reform will Brüssel zudem weitere Probleme beheben, die in der alten Verordnung stecken. So wolle man ein effizientes Beschwerdeverfahren für die Fluggäste schaffen. Künftig sollen die Fluggesellschaften klare Beschwerdeverfahren einrichten, ihren Kunden E-Mail-Adressen für deren Beschwerden nennen und Online-Formulare zur Verfügung stellen. Zudem sollen sie spätestens innerhalb einer Woche den Eingang der Beschwerde bestätigen und innerhalb von zwei Monaten eine Antwort schicken. Zudem sollen die Airlines gezwungen werden, Passagiere auch dann zu befördern, wenn sie nur den Rückflug antreten und auf den Hinflug verzichten. Das hatte in der Vergangenheit immer wieder für Ärger gesorgt.

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