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Wirtschaft: Fonds rechnen wieder mit Börsengängen

2005 werden bis zu zehn Neuemissionen erwartet – doch Experten warnen vor zu hohen Erwartungen

Von Henrik Mortsiefer Berlin Fondsmanager und Banken machen sich Hoffnung: 2005 werden wieder mehr deutsche Unternehmen an die Börse gehen. Im vergangenen Jahr hatten es nur fünf Firmen aufs Parkett geschafft, während es etwa in Großbritannien über 300 Börsengänge gegeben hatte. „Der Boden ist fruchtbar, das Interesse der Investoren ist da“, sagte Eberhard Dilger, Leiter des Aktienemissionsgeschäfts bei der Commerzbank, dem Tagesspiegel. Doch er warnte vor übertriebenen Erwartungen: „Es werden nicht mehr als zehn Unternehmen sein.“ Außerdem werde es kein IPO (engl.: Initial Public Offering) von der Größe der Postbank geben, die bei ihrem Börsengang 2004 – einschließlich einer Anleihe von einer Milliarde Euro – 2,53 Milliarden Euro am Kapitalmarkt aufgenommen hatte.

Auch Matthias Born, Fondsmanager bei der Allianz-Investmenttochter Dit, rechnet nur mit „fünf bis zehn Neuemissionen“ im laufenden Jahr. „Die Investoren sind aufnahmebereit – wenn das Geschäftsmodell plausibel ist und der Preis stimmt.“ Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen stünden in den Startlöchern. „Ein halbes Dutzend oder mehr“ Börsenpremieren erwartet Rolf Drees von der Union-Fonds-Holding. Große Emissionen sieht auch er nicht auf den deutschen Kapitalmarkt zukommen.

Als potenzielles Schwergewicht nennen die Experten den Fernsehsender Premiere, der von Morgan Stanley und der Deutschen Bank für einen Börsengang vorbereitet wird. Auch Arcor, die Festnetztochter von Vodafone, findet sich als Prominente auf der Liste der Kandidaten. Weit fortgeschritten sind nach Angaben des Fachblatts „Going Public“ auch die Vorbereitungen der Biotechfirma Paion, des Autozulieferers Sick und des Solar-Unternehmens PV Crystalox Solar. „Wir sind mit einigen Unternehmen im Gespräch, einen Kandidaten werden wir schon im ersten Halbjahr an die Börse bringen“, sagt Eberhard Dilger von der Commerzbank. Namen nennt er nicht, „weil schon 2004 viele zu früh verbrannt sind“. Niemand wolle sich in diesem Jahr unter Zugzwang bringen lassen.

So hatten das Halbleiterunternehmen X-Fab und der Siliciumhersteller Siltronic 2004 ihre Börsenpläne kurzerhand begraben, weil sie ihre IPOs offenbar zu schnell und unprofessionell vorbereitet hatten. Dabei sind die Aktien von Mittelständlern nach Meinung der Experten eigentlich auch für Privatanleger attraktiv: „Solide kleine und mittlere Unternehmen sind interessant, weil sie häufig erfolgreiche Nischenplayer und Marktführer in ihrem Bereich sind“, sagt Fondsmanager Matthias Born. „Sie sind oft hervorragend gemanagt. Außerdem sind die Geschäftsmodelle relativ einfach zu verstehen und die Bilanzen übersichtlich.“

Gerade in den Portfolios der einflussreichen Beteiligungsgesellschaften – auch Private-Equity-Gesellschaften genannt – finden sich zahlreiche Firmen, die an die Börse gebracht werden könnten. Schon im Frühjahr 2004 kam eine Umfrage des Bundesverbands deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK) zu dem Ergebnis, dass sich in den Beständen der Private-Equity-Gesellschaften mehr als 130 Unternehmen „mit ausreichender Reife für einen Börsengang“ befanden. Doch die Unsicherheit der Investoren, die schlechte Stimmung und vor allem die unterschiedlichen Preisvorstellungen der Verkäufer und Investoren verhinderten, dass aus den Kandidaten auch Debütanten an der Börse wurden.

„Die Beteiligungsfirmen wollen ihre Portfolios nicht verschenken und die Anleger zahlen nicht mehr jeden Preis“, beschreibt Eberhard Dilger das Dilemma. Durch übertriebenes Pokern hätten Investoren wie Fonds oder Banken aber in den vergangenen Jahren attraktive Chancen vertan. So zum Beispiel bei der Werkstattkette Auto Teile Unger, die 2004 ihren Börsengang absagte und stattdessen an einen Großinvestor verkauft wurde.

„Unsere Anleger wollen eine gute Rendite sehen. Warum sollten wir also jeden Preis zahlen, nur weil ein IPO eine neue Investmentidee liefert?“ verteidigt sich Dit-Manager Matthias Born. Je höher der Emissionspreis sei, desto kleiner sei auch das Potenzial für spätere Kurssteigerungen. Auch Union-Sprecher Drees sieht die Schuld für den Preispoker eher bei den Private-Equity-Firmen, die die Fondsmanager häufig unter Zeitdruck setzten und auf einen möglichst schnellen Abschluss drängten. Doch die Investoren sind flexibel genug, um dem Druck zu widerstehen. „Den Fonds mangelt es nicht an Alternativen. Es gibt genug interessante Unternehmen an der Börse“, sagt Matthias Born.

Was für den einzelnen Fonds entbehrlich sein mag, kann für den gesamten Markt zur Gefahr werden. Denn der deutsche IPO-Markt droht nach drei Flautejahren auszutrocknen. Mit Blick auf die lange Warteliste börsenreifer Unternehmen, die hier zu Lande nicht aufs Parkett gelassen werden, warnte der BVK schon vor einem Jahr: „Das Potenzial gilt es zu heben, da sonst internationale Alternativbörsen genutzt werden.“

Gemeint war wohl vor allem der erfolgreiche Londoner „Alternative Investment Market“ (AIM), das Börsensegment für kleine und mittlere Unternehmen. Hier finden Unternehmen einen lebhaften und liquiden Neuemissionsmarkt – und Anleger steuerbegünstigte Investments. „Es kann gut sein, dass der AIM auch für deutsche Unternehmen – auch Mittelständler – an Anziehungskraft gewinnen wird“, glaubt Born. Überlegungen, sich in London listen zu lassen, gebe es bei vielen Vorständen. Eine Spätfolge der deutschen Aktienhysterie der Jahre 1999/2000: „Seit dem Zusammenbruch des Neuen Marktes haben wir kein klassisches Segment für Börsenpremieren mehr.“

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