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Wirtschaft: Ford: Die Reifenkriste belastet den Autokonzern

Wenn der Krieg droht, stellen sich Amerikas Konzernlenker mit gezogenem Säbel vor die Truppe. Lee Iacocca rettete vor zwei Jahrzehnten die Chrysler Corporation, indem er eine staatliche Lohnbürgschaft erkämpfte.

Wenn der Krieg droht, stellen sich Amerikas Konzernlenker mit gezogenem Säbel vor die Truppe. Lee Iacocca rettete vor zwei Jahrzehnten die Chrysler Corporation, indem er eine staatliche Lohnbürgschaft erkämpfte. Bill Gates verteidigt heute mit Auftritten im Fernsehen und in Anhörungssälen des Kongresses die Microsoft Corporation gegen Vorwürfe wettbewerbswidriger Praktiken. Seit mehreren Tagen versucht nun Jacques Nasser, Vorstands- und Verwaltungsratschef der Ford Motor Company, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass Explorer-Geländewagen sicher sind. Die Ausstrahlung der TV-Spots erfolgt drei Wochen nachdem die Bridgestone/Firestone Corp aus Nashville/Tennessee, eine Tochter der japanischen Bridgestone Corporation, den Rückruf von 6,5 Millionen Reifen angeordnet hat. Die US-Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA hatte Unfälle, bei denen es in den USA mindestens 62 Tote und in Venezuela sogar 100 Tote gab, mit den auf Explorer-Modellen montierten Reifen in Verbindung gebracht.

Am 28. August hat Ford drei Werke bis zum 8. September geschlossen. Das bedeutet nach Mitteilung des Unternehmens einen Produktionsausfall von 25 000 Fahrzeugen. Rund 6000 Arbeiter werden dadurch zeitweise von ihrer Arbeit freigestellt, hieß es in Detroit. Als erster Analyst hat David Garrity von der Wall-Street-Bank Dresdner Kleinwort Benson seine Bewertung von Ford von "Erhöhen" auf "Kaufen" zurückgestuft. Seine Begründung ist, dass Ford vor dem Rückruf in den USA 46 000 Explorer in Übersee zurückgerufen habe; das könnte Fords Glaubwürdigkeit bei den Verbrauchern und bei Kongressmitgliedern unterwandern, so der Analyst. Ob und in welchem Umfang die Reifenkrise das Ergebnis des zweitgrößten Autoherstellers beeinflussen wird, lasse sich vorerst schwer abschätzen, sagen Analysten. Die Börse wittert jedoch Gefahr: Vorige Woche stürzte die Ford-Motor-Aktie auf unter 28 Euro ab, nachdem die Aktien in der Vorwoche um 2,50 Dollar eingeknickt waren. Anfang Juni, als der Kurs bei 48 lag, hatte der Analyst Jonathan Lawrence von der Firma Dain Rauscher Wessels noch ein Kursziel von 80 Dollar innerhalb eines 52-Wochen-Zeitraums vorgegeben. Ford, so der Experte damals, profitiere von der größten Wirtschaftsexpansion der letzten Jahre und von Beteilungen an den Marken Jaguar, Volvo, Mazda und Austin Martin.

Im Juni hat Ford seinen Visteon-Teileherstellungsbereich abgespalten und die Aktionäre mit Aktien oder Bargeld ausgezahlt. Der neue Ford-Titel wurde bei etwa 30 Dollar angesetzt. Das Reifen-Debakel hat Visteon nicht ungeschoren gelassen: Der weltweit drittgrößte Lieferant von Autoteilen veröffentlichte vorige Woche im Zusamenhang mit den schadhaften Reifen eine Gewinnwarnung. Lawrence, wie alle anderen Autoanalysten, tüftelt zur Zeit an der Ausarbeitung einer Neubewertung von Ford. In seiner letzten Analyse lobte er den im Mai angekündigten Shareholder Value Enhancement Plan. Die Aktionäre können ihre Stamm- oder Class-B-Aktien für neuausgegebene Titel beider Kategorien und zusätzliche Ford-Aktien oder deren Gegenwert in bar bis zu 10 Milliarden Dollar tauschen.

Attraktiv ist laut Lawrence auch das 1998 angekündigte E-Commerce Joint Venture mit Microsoft und Consumer Connect. Zu Consumer Connect gehört Auto-Xchange (AX), das Fords E-Commerce-Aktivitäten zusammenfasst. Der Börsengang für AX soll Mitte 2001 stattfinden. Lawrence rechnete damit, dass Fords sogenannte Business-to-Business-Beteiligung zu einer Wertsteigerung führen wird. "Ich glaube, der AX-Börsengang wird im Markt sehr gut ankommen und jeder, der mit Ford zu tun hat, dürfte daraus Nutzen ziehen", sagt Lawrence.

Im Juli gab Ford zum siebzehnten Mal in Folge einen Anstieg des operativen Gewinns bekannt: 2,7 Milliarden Dollar oder 2,20 Dollar je Aktie verdiente Ford im zweiten Quartal im Vergleich zu 2,48 Milliarden Dollar oder 2 Dollar je Aktie in der entsprechenden Vorjahresperiode. Der Umsatz stieg um sechs Prozent auf 44,5 (41,9) Milliarden Dollar. Im September wird allerdings mit einer weiteren Abkühlung der Nachfrage gerechnet, die Analysten mit höheren Zinsen und Benzinpreisen begründen. Für August teilte Ford letzte Woche einen Rückgang der Fahrzeugverkäufe um insgesamt drei Prozent mit, wobei Pkw-Auslieferungen 11 Prozent Minus und Lkw-Verkäufe ein Plus von drei Prozent auswiesen. Explorer-Auslieferungen gingen trotz der Reifen-Krise nur um 0,8 Prozent zurück.

Steigende Zinsen belasten

Die Zinserhöhungen belasten den Automarkt insgesamt. Man glaubt jedoch an der Wall Street, dass die Notenbank ihr Ziel, eine weiche Landung der Konjunktur herbeizuführen, erreicht hat und keine weiteren Zinssteigerungen zu erwarten sind. Eine Zinssenkung im ersten Quartal 2001 gilt nicht als ausgeschlossen, und das wäre für die Autoindustrie ein Plus. Das Reifen-Desaster wirft jedoch einen langen Schatten voraus. Aufsichtsbehörden in den USA und Südamerika beschleunigen ihre Ermittlungen. Venezuela wird voraussichtlich gegen Ford und Bridgestone/Firestone Strafverfahren einleiten.

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