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Wirtschaft: Forscher: Längere Arbeitszeit bringt mehr Jobs

42-Stunden-Woche würde Betriebsverlagerungen in Billigländer stoppen – kurzfristig aber die Konjunktur bremsen

Berlin (brö). Eine Ausweitung der Arbeitszeit würde die Beschäftigung in Deutschland spürbar erhöhen und zu mehr Investitionen führen. Diese Ansicht vertraten Wirtschaftsforscher am Montag im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Damit würde der Trend zur Produktionsverlagerung nach Osteuropa endlich gestoppt“, sagte Rüdiger Pohl, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). „Eine Verlängerung muss die nächste Maßnahme im Rahmen der Agenda 2010 der Bundesregierung sein“, sagte er.

Zuletzt hatten Wirtschaft und Opposition verlangt, die Wochenarbeitszeit von rund 40 Stunden auf 42 zu erhöhen – ohne Lohnausgleich. So sollten die Konjunktur und der Arbeitsmarkt wieder in Schwung gebracht werden, hatte etwa die Union vorgeschlagen. Zuvor hatten die Bundesländer angekündigt, ihre Angstellten in Zukunft 42 statt derzeit 38,5 Stunden arbeiten lassen zu wollen. Hinzu kommt die Kritik der Wirtschaft an den Standortbedingungen in Deutschland – vor kurzem hatte Ludwig Georg Braun, Präsident des Wirtschaftsverbandes DIHK, den Firmen in einem TagesspiegelInterview nahe gelegt, die sich mit der EU-Osterweiterung bietenden Chancen zu prüfen. Viele Manager bemängeln, dass die Deutschen zu wenig arbeiteten und zuviel Geld verlangten.

In den vergangenen Jahrzehnten ist die Arbeitszeit aller Erwerbstätigen hier zu Lande stetig gesunken. Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zufolge arbeiteten die Deutschen 1960 noch 2163 Stunden pro Jahr – 2003 waren es nur noch 1429 Stunden. Dies treibe die Arbeitskosten in die Höhe und sorge dafür, dass neue Betriebe eher im Ausland errichtet würden, sagen Unternehmer. Nach einer Aufstellung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) sind hier zu Lande Industrie-Arbeitsstunden die zweitteuersten der Welt. Überboten werden sie (26,36 Euro pro Stunde) demnach nur von Norwegen (28,52 Euro). Im Falle Deutschlands liege das aber weniger an den Stundenlöhnen, sondern an den hohen Lohnnebenkosten. Darunter fallen Sozialbeiträge, Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie das Entgelt für freie Tage.

Neben den absoluten Arbeitskosten schauen Unternehmen auf die Lohnstückkosten, wenn sie einen Standort für eine neue Fabrik suchen. Dieses Maß gibt an, wie hoch die Löhne im Verhältnis zur Produktivität sind: Hohe Löhne sind demnach nicht schlimm, wenn zugleich die Produktivität beträchtlich ist. In Deutschland sind die Lohnstückkosten seit Mitte der neunziger Jahre nur moderat gestiegen. Laut IW lagen sie 2002 aber immer noch über dem Niveau anderer Länder. Wiederum sei nur Norwegen teurer gewesen, andere Industrieländer – Großbitannien, Frankreich, Italien – hätten besser abgeschnitten.

Wirtschaftsforscher raten nun, mit einer Verlängerung der Arbeitszeit für Kostensenkungen zu sorgen. „Das hätte einen starken psychologischen Effekt und würde wieder zu mehr Investitionen führen – auch von Unternehmern aus dem Ausland“, prognostizierte Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt der Hypo-Vereinsbank. Damit sei es aber nicht getan. „Die Unternehmen brauchen auch Flexibilität, damit sie die Arbeitszeit der Auftragslage anpassen können.“ So müsse kurzfristig ein Wechsel von minimal 30 bis maximal 45 Wochenstunden möglich sein. Eine Ausweitung der Normal-Arbeitszeit würde zudem bedeuten, dass die Betriebe weniger Überstunden-Zuschläge zahlen müssten. Allein 2004 wird es zu 1,6 Milliarden Stunden Mehrarbeit kommen, sagen Experten.

Die Gewerkschaften dagegen lehnen eine Ausweitung der Arbeitszeit ab. Dies führe zu sinkenden Löhnen und zu einem heftigeren Standortwettbewerb in Europa. Zudem führe Mehrarbeit wegen der Konjunkturschwäche zu noch mehr Arbeitslosen und zu sinkender Nachfrage. Der Deutsche Gewerkschaftsbund sieht 100000 Stellen in Gefahr.

Ökonomen halten dies für plausibel – für die erste Zeit nach einer Arbeitszeit-Ausweitung. „Mehrarbeit bringt nur auf längere Sicht mehr Jobs – kurzfristig könnte sogar die Arbeitslosigkeit steigen“, sagte Andreas Scheuerle von der Deka-Bank in Frankfurt (Main). Auch die Konjunktur könne leiden, weil die Menschen angesichts höherer Arbeitslosigkeit das Geld zusammenhalten und noch mehr sparen würden als heute.

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