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Auf neuem Kurs. Zu den ersten deutschen Unternehmen, die sich beraten ließen, gehörte Siemens – hier das Werk in West-Berlin.

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Forum: 50 Jahre Top-Management-Beratung: Besser mit Struktur

Vom Sonderweg zur globalen Normalität: Mit der Öffnung der Märkte in den 60er Jahren kamen die amerikanischen Unternehmensberatungen nach Deutschland.

Im Jahre 1964 öffnete McKinsey & Co. Büros in Düsseldorf sowie – zeitgleich – in Amsterdam und Paris. Einige Jahre zuvor hatte die US-amerikanische Beratungsfirma sich bereits in London und Genf niedergelassen. Im gleichen Jahr folgte A. T. Kearney, im Laufe der 60er Jahre etablierten sich in schneller Folge andere Firmen in der Bundesrepublik, darunter Booz Allen Hamilton, Arthur D. Little und, als erster hausgemachter Top-Managementberater, Roland Berger, der zuvor bei der Boston Consulting Group in Italien tätig war.

Diese Neuankömmlinge fanden eine Art Beratungswüste vor. Anders als in den Vereinigten Staaten und Großbritannien, wo sich die Managementberater seit Anfang des 20. Jahrhunderts etablierten und seit der Zwischenkriegszeit stark ausdehnten, hatten deutsche Unternehmen bis dato wenig Bedarf für solche externen Dienstleister. Das war für die Top-Managementberater sowohl eine Herausforderung, da sie potenzielle Klienten von ihrem Wert überzeugen mussten, als auch eine Chance, da sie kaum lokale Konkurrenz vorfanden – mit einigen wenigen Ausnahmen, insbesondere der von Gerhard Kienbaum bereits 1945 gegründeten Beratungsfirma.

Heute, 50 Jahre später, sind die deutsche Wirtschaft und auch die öffentlichen Verwaltungen dagegen sehr gut beraten – zumindest was das Beratungsvolumen betrifft. Betrachtet man ihre eigenen Umsätze, haben die Top-Berater die damalige Herausforderung mit großem Erfolg bewältigt. Für viele Beratungsfirmen ist Deutschland der zweitgrößte Markt weltweit nach den USA und noch weit vor China, wo der Umsatz allerdings stärker wächst, und vor Japan, wo die Berater immer noch schwer Fuß fassen.

Auch im Europavergleich ist die Beratungsintensität, das Verhältnis des Beratungsaufkommens zur Gesamtwirtschaftsleistung, wohl nur in Großbritannien höher – obwohl man solche Vergleiche mit Vorsicht angehen muss, da „Managementberatung“ weder eindeutig definiert, noch statistisch erfasst ist.

Wissensvermittlung – Brot und Butter der Berater

Die hier skizzierte Entwicklung wirft eine Reihe von Fragen auf: Warum erscheint die Beratung hier erst so spät, obwohl Deutschland seit Ende des 19. Jahrhunderts zu den weltweit führenden Industrienationen gehört? Was war der Auslöser für die Beratungsexplosion in den 60er und 70er Jahren? Und vor allem: Was haben 50 Jahre Top-Managementberatung eigentlich gebracht oder, anders formuliert, gibt es einen Grund zum Feiern?

Anfangs fassten die Berater in Deutschland kaum Fuß – obwohl sie es durchaus versuchten, denn der Markt war attraktiv. So öffnete die damals international führende, aus den USA stammende Bedaux-Beratung bereits in den 20er Jahren eine Niederlassung in Deutschland. Doch fand sie kaum Interessenten, trotz einer gewissen Unterstützung durch die Deutsche Bank. Das lag an der Art und Weise, wie die deutsche Wirtschaft damals agierte – von vielen heutigen Beobachtern als „organisierter“ oder „kooperativer“ Kapitalismus charakterisiert.

Das betraf nicht nur die Vielzahl der Kartelle, sondern auch die Wissensvermittlung – Brot und Butter der Berater. Statt als einzelnes Unternehmen einen Berater zu engagieren, benutzte man bestehende Verbände für Vergleichsstudien (Benchmarking) oder zum Austausch innovativer Managementpraktiken (Best Practices). Oder man gründete neue Organisationen zu genau diesem Zweck, insbesondere das RKW (Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit in Industrie und Handwerk) und den REFA (Reichsausschuß für Arbeitszeitermittlung).

Anders als heute, wo sie sich auf den Mittelstand konzentrieren, waren diese Organisationen damals von Großunternehmen wie dem Siemenskonzern dominiert. Sie förderten den landesweiten, industriespezifischen und -übergreifenden Wissensaustausch durch die Erstellung von Handbüchern und die Ausbildung von Managementexperten, die zum Großteil in den Unternehmen selbst beschäftigt waren.

Das hatte Vorteile, wie eine Gruppe interner und externer Berater aus Deutschland bei einer Studienreise in die USA im Rahmen des Marshallplans feststellte. Anders als in Deutschland benutzten die vielen Beratungsunternehmen dort unterschiedliche Terminologien für ähnliches Wissen, um sich von ihren Konkurrenten zu unterscheiden – und um den firmenübergreifenden Wissensaustausch zu erschweren, der ihrem Geschäft abträglich war.

Viele Beratungsfirmen kamen auf dem Rücken ihrer Klienten nach Europa

Auch statistisch gesehen war das deutsche Modell erfolgreich, da hierzulande mehr Unternehmen effiziente Arbeitsorganisationen einführten als anderswo. Aber die Zeiten änderten sich. Ab den 60er Jahren öffneten sich die Märkte, und die Unternehmen konnten nicht mehr nur durch effiziente Produktion konkurrieren, sondern benötigten neue Strategien und Strukturen, um ihre immer größeren Organisationen zum Erfolg zu leiten. So erhöhte sich damals der Konkurrenzdruck auf deutsche Unternehmen auch im eigenen Markt, sowohl durch den Abbau der Handelsschranken als Folge der europäischen Integration, als auch durch die amerikanische Herausforderung, also die Expansion der Großunternehmen aus den USA nach Europa, vor deren möglichen Folgen der französische Journalist Jean-Jacques Servan-Schreiber damals in seinem gleichnamigen und sehr einflussreichen Buch hinwies.

Das Wissen, um dieser neuen Herausforderung zu begegnen, fehlte den deutschen und europäischen Unternehmen, da half auch kein noch so organisierter Wissensaustausch. Daher schien es natürlich, diejenigen zu fragen, denen die amerikanischen Unternehmen selbst vertrauten. Und tatsächlich kamen viele Beratungsfirmen auf dem Rücken ihrer Klienten nach Europa und dann auch nach Deutschland; oder mit Hilfe multinationaler Unternehmen aus Europa, denen sie bei der Expansion in die USA behilflich waren.

Aber das alleine hätte den Erfolg der Top-Managementberater nicht garantiert. Sie mussten auch lokal und national ihre Netze spannen. Die Deutsche Bank half wohl erneut, insbesondere im Falle McKinsey, vor allem durch ihren Vorstandssprecher, dem Aufsichtsratsvorsitzenden Hermann-Josef Abs und seine weitreichenden Verbindungen – eine Rolle, die historisch noch aufzuarbeiten ist. Das umfangreiche und verzweigte Flickunternehmen wurde einer der ersten großen Kunden der amerikanischen Berater.

Besonders hilfreich war auch die wichtige, aber immer noch weitgehend unbekannte Kaderschmiede der deutschen Großunternehmen, die sogenannten Baden-Badener Unternehmen, wo sich seit Ende der 50er Jahre die Top-Manager mit ihren potentiellen Nachfolgern trafen und diskutierten. Dort regelmäßig zu Vorträgen eingeladen zu werden, trug erheblich zum späteren Erfolg der Top-Managementberater und ihrer Einbindung in die deutsche Elite bei.

Was haben die Top-Managementberater gebracht?

Erwähnen muss man auch noch den Generationswechsel in den Chefetagen, der etwa zur gleichen Zeit stattfand, als diejenigen, die noch im „organisierten Kapitalismus“ aufgewachsen waren, von anderen abgelöst wurden, die sich nach dem Krieg aus eigener Hand mit dem amerikanischen Modell vertraut gemacht hatten. Schließlich gerieten die deutschen Top-Manager damals unter Legitimationsdruck. Sie mussten ihre Entscheidungen vermehrt gegenüber Dritten rechtfertigen – eine Situation, in der die Empfehlung einer international renommierten Beratungsfirma von erheblichem Gewicht war.

Anders gesagt: Selbst wenn man, wie deutsche Top-Manager in Interviews bestätigen, wusste, was zu tun war (und es den Beratern auch so erklärte), ließen sich diese Lösungen nicht mehr so einfach verkaufen, insbesondere seit den 70er Jahren, als die Wirtschaftskrisen einerseits den Handlungszwang erhöhten und die Ausweitung der Mitbestimmung andererseits ihre Handlungsfreiheit weiter einschränkte.

Auf diese Weise gelang es den Top-Managementberatern, sich in der deutschen Wirtschaft, dann auch in der Verwaltung und in anderen Teilen des öffentlichen Lebens ihren Platz zu schaffen. Heute, nach 50 Jahren, sind sie nicht mehr wegzudenken. Daher die große Frage: Was haben sie im Endeffekt gebracht? Eine Frage, die man sich nicht nur in Deutschland, sondern angesichts des weltweiten Siegeszuges der Berater auch anderswo stellt.

Zu beantworten ist sie schwer oder gar nicht. Wie so oft hängt die Antwort davon ab, wen man fragt. Die Berater selbst glauben natürlich, dass es ohne sie nicht geht, dass sie eine unabhängige Perspektive anbieten, die man im Unternehmen nicht finden kann. Manche Beobachter glauben, dass sie vor allem in der Lage sind, die Top-Manager für dumm zu verkaufen und ihnen immer neue „Management-Moden“ anzudrehen oder sich bei Projekten vor allem darauf zu konzentrieren, zusätzliche Probleme zu finden, um Folgeaufträge zu erhalten. Das ist möglich, aber die Top-Manager sind normalerweise nicht dumm und benutzen die Berater zumindest genauso für ihre eigenen Interessen wie umgekehrt.

Jedes Land und jedes Unternehmen hat die Berater, die es verdient

Widerstand kam zumindest am Anfang aus den Reihen der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter. „Hilfe, die Berater kommen“ betitelte beispielsweise in den 70er Jahren eine Gewerkschaftszeitung einen Beitrag über deren Rolle im Stellenabbau. Doch mussten sich die Berater ebenfalls anpassen – an das deutsche Wirtschaftssystem und dessen Versuch, die Interessen aller Betroffenen einzubeziehen. Leitende Angestellte hatten auch unter den Beratern zu leiden und fühlten sich außerdem ausgebeutet, da diese angeblich ihre Ideen nahmen und sie schön verpackt an den Vorstand verkauften. Aber sie lernten schnell, den Zugang der Berater zum Top-Management zu nutzen, um ihre eigenen Ideen und manchmal auch ihre Karrieren zu fördern.

Vielleicht den besten Grund zum Klagen haben die Steuerzahler, denn sie müssen die Versuche der öffentlichen Verwaltungen bezahlen, mit Hilfe der Berater effizienter zu werden, was nicht immer zu besseren Leistungen führt, da die Ziele der Verwaltung andere sind als die der Privatunternehmen. Noch teurer für den Steuerzahler waren die Vorschläge der Berater, Prinzipien aus der Industrie auf die Finanzdienstleister zu übertragen. Das erfolgte nicht nur kürzlich, sondern bereits in den 60er und 70er Jahren, als Beratungsfirmen den Bankiers erklärten, sie sollten sich in erster Linie als Manager verstehen und versuchen, ihre Profite durch aggressiveres Marketing zu erhöhen.

Aber Hypotheken und andere Bankprodukte lassen sich nicht wie Autos verkaufen. Das hat uns die letzte Finanzkrise erneut gezeigt. Vielleicht hätten die Bankiers in dieser Hinsicht weniger auf die Berater hören sollen – und damit den Steuerzahlern viel Geld gespart.

Letztendlich hat jedes Land und jedes Unternehmen die Berater, die es verdient. Und es nicht die Verantwortung der Berater, das Beste aus dem Wissen und den Ideen zu machen, die sie zweifelsohne anbieten. Das ist die Verantwortung all derjenigen, die diese Berater einstellen. In Deutschland könnte man hier aus der Geschichte lernen. Es geht nicht darum, das Rad der Zeit zurückzudrehen. Aber vielleicht macht es Sinn, sich daran zu erinnern, dass man Wissen und gute Ideen auch untereinander austauschen kann, ohne dafür zu bezahlen.

Prof. Dr. Matthias Kipping ist Unternehmenshistoriker und Lehrstuhlinhaber an der Schulich School of Business der York University in Toronto, Kanada. Er schreibt gegenwärtig an einer vergleichenden Geschichte der Beratung.

Matthias Kipping

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