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Protestwelle. In Deutschland haben Initiativen, wie hier in Berlin, mehr als 100 000 Unterschriften für ein generelles Fracking-Verbot gesammelt. Foto: obs

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Wirtschaft: Fracken und fracken lassen

Ein Netzwerk der Energiewirtschaft sieht Europa wegen Gasförderbooms in den USA unter Zugzwang.

Berlin - Die Mitglieder des Bundeskabinetts hatten ihre Gründe, warum sie vor einigen Wochen beschlossen, doch kein Fracking-Gesetz mehr auf den Weg zu bringen. Zwar sahen die Minister die Notwendigkeit, die Anwendung dieser Gasfördertechnologie zügig zu regeln – etwa um die Nutzung in Wasserschutzgebieten zu untersagen. Zu groß aber schien die Gefahr, Grüne und SPD könnten sie als Koalition der Umweltverschmutzer hinstellen. Umfragen zeigen nämlich, dass eine Mehrheit der Bürger hierzulande gegen Anwendung der Technologie ist, bei der ein Wasser-Sand-Chemikalien-Cocktail unter Hochdruck in tiefes Gestein gepresst wird, um es aufzubrechen (englisch: to frack) und so an eingeschlossene Gasblasen zu kommen.

Vom Tisch ist das Thema indes nicht. So präsentierte die lokale Sektion des World Energy Council, der Weltenergierat Deutschland, am Mittwoch in Berlin seine jährliche Energiemarktanalyse. Schwerpunkt des 150-Seiten-Werks ist diesmal ein Statusbericht über die schon heute in Europa sichtbaren Auswirkungen des in den USA seit gut fünf Jahren weit verbreiteten Frackings. Die Autoren, Professor Felix Müsgens aus Cottbus und Professor Andreas Seeliger aus Mosbach (Baden-Württemberg), stellen darin fest, dass die Ausbeutung dieser unkonventionellen Gasvorkommen in den USA zu einem drastischen Preisrückgang für den Energieträger in Amerika geführt habe. Gas sei dort für rund ein Drittel des deutschen Preises zu haben.

Die Entwicklung – so ihre These – wirke stark dämpfend auf die Strompreise, da das billige Gas zunehmend Kohle in Kraftwerken ablöse. Der Preis für eine Kilowattstunde Industriestrom (inklusive aller Steuern und Abgaben) sei in den Jahren 2000 bis 2011 in den USA lediglich von knapp über vier US-Cent auf knapp über sechs US-Cent gestiegen. In Deutschland sei Industriestrom zur Jahrtausendwende billiger gewesen als in den Staaten, der Preis habe sich aber seither von vier auf rund 16 US-Cent vervierfacht.

Das Fazit der Energieforscher lautet: Durch die Unterschiede in den Energiekosten sei der europäischen, insbesondere der deutschen, Industrie bereits ein „relativer Wettbewerbsnachteil“ entstanden. Es sei auch wahrscheinlich, dass dieser Nachteil weiterhin bestehen bleibe. „Die USA haben damit bessere Investitionsbedingungen“, heißt es im Bericht.

„Wir haben sowohl in Deutschland als auch in Europa technische und wirtschaftliche Möglichkeiten, die Weichen für die umweltverträgliche Förderung von unkonventionellem Erdgas zu stellen“, sagte Jürgen Stotz, der seit 2005 Präsident des Weltenergierats Deutschland ist, bei der Vorstellung des Berichts. Er verwies auf Schätzungen (nicht nachgewiesene Vorkommen) der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), wonach bis zu 2,3 Billionen Kubikmeter technisch gewinnbares Erdgas in deutschen Böden lagern. Die konventionell förderbaren Reserven machen laut BGR nur einen kleinen Bruchteil davon, 0,15 Billionen Kubikmeter, aus.

Stotz, zugleich ehemaliger Chef des größten Energiekonzerns Ostdeutschlands, sprach von einer weit verbreiten Technologieskepsis hierzulande, die verhindere, dass auch umweltfreundlichere Fördermethoden entwickelt werden. Um das zu ändern müsse man bei den Kleinen ansetzen. Als mehrfacher Großvater wisse er: „Es gibt zahllose Kinderbücher, in denen erklärt wird, wie Bauernhöfe, Bahnhöfe oder Flughäfen funktionieren. Aber Bücher zur Energieerzeugung sucht man fast vergeblich.“ Kinder müssten annehmen, dass Strom aus der Steckdose komme. „Die amerikanische Schiefergaswende kann nicht folgenlos bleiben für die deutsche Energiewende“, sagte Stotz.

Sein Verein, der World Energy Council, begreift sich als größtes „energieträgerübergreifendes internationales Netzwerk der Energiewirtschaft.“ Der bereits 1924 in London gegründete Zirkel bringt Forscher, Unternehmer, Politiker, Umweltschützer und Verbraucher aus fast 100 Ländern zusammen. Er legt das Ziel, eine „nachhaltige“ Versorgung zu erreichen, aber großzügiger aus als Öko-Puristen. Deutschland-Präsident Stotz definierte Umweltschutz, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit als Ziele – dieselben, die auch die Bundesregierung festgelegt hat.

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