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Wirtschaft: Französisches Auslaufmodell

EDITORIALS Nach einer zweifelhaften ökonomischen Theorie liegt der Schlüssel für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in einer kurzen Arbeitswoche. An dieses Wunder glaubten vor allem die Franzosen, und sie müssen jetzt den Preis für diesen Irrglauben zahlen.

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Nach einer zweifelhaften ökonomischen Theorie liegt der Schlüssel für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in einer kurzen Arbeitswoche. An dieses Wunder glaubten vor allem die Franzosen, und sie müssen jetzt den Preis für diesen Irrglauben zahlen. Ihre 35Stunden-Woche, die 1998 von den Sozialisten eingeführt wurde, kostet jedes Jahr Milliarden Euro und würgt jegliches Wachstum ab. Entgegen allen Versprechungen hat das Gesetz weder zu Steigerungen der Produktivität noch zu einer Belebung des Arbeitsmarktes geführt. Immer tiefer versinkt das Land in der Rezession. Auf einen Schlagabtausch mit den mächtigen marxistischen Gewerkschaften wird sich die Regierung nicht einlassen wollen.

Premierminister Raffarin hat jedoch vorsichtig den „sozialen Dialog“ über die Regelung angekündigt. Ganz gleich wie es um das Gesetz in Frankreich bestellt ist, die Theorie von der 35-Stunden-Woche ist ein Auslaufmodell. Auch in Deutschland, der anderen angeschlagenen Volkswirtschaft in Europa, hat sie an Überzeugungskraft verloren. Die IG Metall erlitt eine demütigende Niederlage, als sie in Ostdeutschland in den Streik für eine kürzere Arbeitswoche zog. Inzwischen schlägt Deutschland bei der Reform der Arbeitsmärkte ein höheres Tempo ein als Frankreich.

Die Einführung des 35-Stunden-Gesetzes vor fünf Jahren sollte Unternehmen veranlassen, mehr Arbeiter einzustellen. Kurz danach fiel die Arbeitslosigkeit tatsächlich von 13 auf neun Prozent. Der Zuwachs war allerdings nicht mehr als ein Strohfeuer, angeheizt durch den Auftrieb der Weltwirtschaft. Und er war teuer erkauft: Allein neun Milliarden Euro sind bereits an die Unternehmen in Form von Steuergeschenken zurückgeflossen. Finanzminister Alain Lambert schätzt, dass sich die Kosten des Gesetzes jährlich auf 15 Milliarden Euro belaufen.

Unter den Arbeitern war das Gesetz nie populär, da sie nach Stunden bezahlt werden. Auch die Firmen beklagten den Verwaltungsaufwand, den die 35-Stunden-Woche mit sich brachte. Allein die Mittelklasse begrüßte die neue Freiheit, die zusätzlich zu den langen Wochenenden und ausgedehnten Urlaubszeiten kam. Insgesamt arbeiten Franzosen jährlich 300 Stunden weniger als Amerikaner. Premier Raffarin möchte die Freizeitgewohnheiten der Franzosen ändern. Man kann ihm dabei nur Glück wünschen. Mit der Abschaffung der 35-Stunden-Woche wäre der erste Schritt getan.

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