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Rotes Licht für die Lohnungleichheit: In der Schweiz wird am Freitag auf die Lücke zwischen Männer- und Frauengehältern aufmerksam gemacht.

© picture alliance / dpa

Frauen*streik gegen Diskriminierung: Am Freitag bleiben Hunderttausende Schweizer*innen der Arbeit fern

In Sachen Gleichberechtigung hinkt die Schweiz oft hinterher. Eine konzentrierte Aktion soll nun für neue Arbeitsbedingungen sorgen.

Für Gunilla von Hall ist die Sache ganz klar. „Ja sicher, ich mache mit“, sagt die zweifache Mutter und Journalistin. „Wir Frauen müssen zeigen, wie stark wir sind. Die wirtschaftliche Benachteiligung einer Hälfte der Bevölkerung muss aufhören.“ Am Freitag (14.6.) soll es soweit sein. Von Hall, schwedisch-schweizerische Doppelbürgerin aus dem Kanton Waadt, reiht sich in den großen „Frauen*streik“ ein, mit dem die Diskriminierung in der Berufswelt angeprangert werden soll.

In allen Teilen der Schweiz wollen Frauen, und auch Männer, dem Arbeitsplatz fernbleiben. Sie folgen dem Aufruf von Gewerkschaften, Fraueninitiativen und anderen Gruppen, die ein loses Bündnis formieren. Die Kernforderung lautet: „Gleichberechtigung. Punkt. Schluss!“ Die Demonstranten verlangen gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, die Einführung von Lohnkontrollen, familienverträgliche Jobs, bessere Sozialleistungen und auch eine härtere Vorgehensweise gegen sexuelle Übergriffe in Betrieben.

Aus nahezu jeder Branche werden Teilnehmerinnen erwartet: Von Bergbäuerinnen über Kirchenmitarbeiterinnen und Kassiererinnen bis hin zu Hochschuldozentinnen und Managerinnen. Und der Streik vereint auch Einheimische und Migrantinnen.

„Der Freitag ist sehr wichtig für die vielen Migrantinnen“, sagt die Altenpflegerin Indira Marino aus Genf, eine Schweizerin mit bolivianischen Wurzeln. „Beim Streik wird für unsere Anliegen gekämpft.“ So pochen die Frauen im Ausstand auf eine generelle Anerkennung der Diplome von Zuwanderern.

Akademikerinnen verdienen 2322 Franken weniger

Wenn die Mobilisierung richtig gelingt, könnten mehrere Hunderttausend Menschen auf Helvetiens Straßen demonstrieren, an Frauenparlamenten teilnehmen und spontane Sitzblockaden errichten. Für ein Land mit insgesamt 8,5 Millionen Einwohnern wäre das ein großer Erfolg, der aber auch die Dringlichkeit unterstreicht. „In der Schweiz stoßen die Frauen im Beruf auf viele Barrieren“, erläutert Regula Bühlmann, Zentralsekretärin für Gleichstellung beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund, der den „Kampftag“ mitträgt.

Beispiel Lohnungleichheit. Nach Angaben der Streik-Organisatorinnen verdienen Frauen zwischen Bodensee und Tessin in jeder Bildungsschicht weniger Geld als Männer. Je höher der Abschluss, desto größer das Lohngefälle. So beziehen Frauen mit einem Universitätsabschluss pro Monat 2322 Schweizer Franken (rund 2070 Euro) weniger als Männer. Auch das Bundesamt für Statistik belegt die Ungleichheit: Frauen in der Schweiz verdienen insgesamt im Durchschnitt pro Monat 18,3 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen.

Noch krasser springt die Ungleichheit auf den Schweizer Chefetagen ins Auge. In den Geschäftsleitungen der Unternehmen liegt der weibliche Anteil noch immer bei unter zehn Prozent, so schreibt es der „Schillingreport“ 2019 über Führungsgremien in der Schweiz. Erst in knapp der Hälfte der Firmen sitzen Frauen überhaupt in der Geschäftsleitung. In der kleinen Kammer des nationalen Parlaments liegt der Frauenanteil bei bescheidenen 15 Prozent und in der großen Kammer bei einem Drittel.

Die Schweiz hinkt hinterher

Immerhin bestimmen in der siebenköpfigen Regierung drei Frauen den Kurs des Landes mit. Dass die Männer die Frauen in der Schweiz systematisch und per Gesetz von der Macht fernhielten, belegt ein Blick in die Geschichte. Die Schweizerinnen erhielten erst 1971 auf nationaler Ebene das Stimmrecht.

Auf kantonaler Ebene blieb vielen Frauen jedoch weiter der Gang an die Urne versperrt. Als letzter Kanton musste Appenzell-Innerrhoden das Wahlrecht für Frauen einführen – nach einem Beschluss des Bundesgerichts von 1990. „Ja, die Schweiz hinkte ganz schön hinter dem Rest Europa hinterher“, resümiert die Gewerkschafterin Bühlmann.

Mit ihrem Streik 2019 wollen die Schweizerinnen nun an einen Erfolg von 1991 anknüpfen. Damals legten bis zu eine halbe Million Frauen das Land lahm, protestierten für ihre Rechte. Der Streik rüttelte das männliche Establishment auf und leitete viele Verbesserungen für den weiblichen Teil der Bevölkerung ein: das Gleichstellungsgesetz, den Mutterschaftsurlaub und Erziehungsgutschriften in der Rentenversicherung. Doch viele Frauen verlangen jetzt neuen Schwung. Gewerkschafterin Bühlmann sagt: „Die Zeit ist reif für einen Streik.“

Jan Dirk Herbermann

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