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Freihandelsabkommen zwischen USA und EU: Wo stehen die Verhandlungen um TTIP?

Kurz vor der fünften Verhandlungsrunde geben sich die Experten zuversichtlich, dass einem Abschluss der Gespräche noch in diesem Jahr auf technischer Ebene nur wenig im Wege steht – politisch dagegen wird es schwieriger.

Die Reise, zu der Angela Merkel an diesem Donnerstag aufbricht, ist vom Bundespresseamt als „Arbeitsbesuch“ angekündigt. Insofern könnten durchaus einige politische Vorentscheidungen fallen, wenn die Bundeskanzlerin am Freitag im Weißen Haus mit US-Präsident Barack Obama spricht. Es wird natürlich um die Ukraine gehen, aber auch um ein anderes heißes Eisen – die skeptisch beäugten  Freihandelsgespräche zwischen Europäern und Amerikanern, die zu einer transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft führen sollen. Die englische Abkürzung lautet TTIP. Merkel wird sie bei ihrer Rede vor der US Chamber of Commerce sicher mehrfach gebrauchen.

Zunächst zum Technischen: Zwar ist die EU-Seite enttäuscht darüber, dass die US-Kollegen nur für 80 Prozent der Waren die Zölle komplett abschaffen wollen, während die europäische Seite zuletzt angeboten hatte, dies bei 97 Prozent aller Handelsgüter zu tun. Und auch bei einem der wichtigsten EU-Anliegen, nämlich dem Zugang europäischer Firmen zu öffentlichen Ausschreibungsverfahren der amerikanischen Bundesstaaten, tut sich bisher nichts. „Wir haben klare Interessen in diesen Gesprächen, für die wir zu kämpfen bereit sind“, sagte EU-Handelskommissar Karel de Gucht dieser Zeitung. Weil die Amerikaner aber auch etwas vom größten Handelsblock der Erde wollen, glaubt man in Kreisen der EU-Kommission, die die Verhandlungen im Auftrag der Mitgliedstaaten führt, sich dennoch einig werden zu können.

Politisch freilich sieht das ganz anders aus – weshalb die Gespräche eigentlich ins Stocken geraten sind. Die Gründe hierfür sind auf beiden Seiten des Atlantiks zu suchen. Entsprechend richten sich vor Merkels Gespräch mit Obama die Erwartungen an beide Seiten. „Wir brauchen von beiden ein klares Bekenntnis zu dem Freihandelsabkommen“, sagt der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary.

Gleichzeitig ist der Politik in Brüssel bewusst, dass vor November kaum etwas passieren dürfte, wenn in den USA Kongress-Zwischenwahlen anstehen. Vorher wird Obama nicht bekommen, was für den Abschluss der Verhandlungen als nötig erachtet wird: ein sogenanntes Schnellverfahren. Im Gegensatz zum Europaparlament, das am Ende entweder Ja oder Nein zum Verhandlungsergebnis sagen kann, darf der US-Kongress im normalen Verfahren zu jedem einzelnen Paragrafen Änderungsanträge einbringen. Um die Gespräche nicht noch weiter zu erschweren, sollen Senat und Repräsentantenhaus sich mit einer Zustimmung oder Ablehnung zum ganzen Paket zufriedengeben. „Vorher werden wir Europäer nicht in die Schlussverhandlungen gehen“, kündigt Caspary an.

Aber auch Merkels Parteifreunde im Europaparlament wie der Abgeordnete Caspary aus dem Handelsausschuss knüpfen eine Zustimmung zum Freihandel an ein transatlantisches Datenschutzabkommen: „Solange das nicht geklärt ist, werden wir TTIP auf der europäischen Seite nicht hinbekommen.“.

Auch in den europäischen Hauptstädten, die der EU-Kommission im Vorjahr das entsprechende Verhandlungsmandat ausgestellt hatten, wachsen nun die Zweifel. Erst kürzlich beispielsweise fand ein Vermerk aus dem Bundesumweltministerium den Weg an die Öffentlichkeit, in dem nicht nur vor der Absenkung ökologischer Standards, sondern auch vor den geplanten Schiedsgerichten gewarnt wurde, vor denen Investoren Staaten nach einer Gesetzesänderung auf Schadenersatz verklagen könnten. „Der Widerstand gegen TTIP wächst“, stellt auch Martin Schulz, der Präsident des EU-Parlaments, fest, „weil die Menschen den Eindruck haben, dass hinter ihrem Rücken unsere Standards im Umwelt-, Sozial- und Lebensmittelbereich abgesenkt werden sollen.“ Erst am Montag bekam der SPD-Spitzenkandidat, der nach der Europawahl EU-Kommissionspräsident werden will, allein aus Deutschland 460000 Unterschriften gegen das geplante Abkommen überreicht. Im Falle seiner Wahl will er einen „Neustart der Verhandlungen“ durchsetzen.

Bisher scheint die wachsende Kritik die EU-Kommission bis auf die Tatsache, dass sie eine öffentliche Anhörung zu den Investitionsschutzgerichten veranstaltet, nur mäßig zu beeinflussen. So schreibt der Linken-Parlamentarier Helmut Scholz: „Die Verhandlungsdokumente, und dabei nur die EU-seits präsentierten, in die ich als einer von nur sieben Europaabgeordneten Einblick habe, weisen keinen Wandel in der ursprünglichen Zielsetzung der bislang vier Verhandlungsrunden nach.“

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