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Wirtschaft: Frenzel sichert sich beim Kanzler ab

Wie es zur Absage des Börsengangs der Bahn kam

Berlin - Es war ein Brief des Chefs der Bahngewerkschaft Transnet, Norbert Hansen, der die Wende auslöste. Hansen schrieb dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Bahn, Michael Frenzel, und forderte von ihm eine außerordentliche Sitzung des Kontrollgremiums. Beim Börsengang der Bahn könne „der vorgesehene Zeitplan auf keinen Fall mehr eingehalten werden.“ Das Schreiben lag Mittwochmorgen auf Frenzels Tisch und endete mit der dringenden Bitte, dass „der Aufsichtsrat in diesem Sinne eine Erklärung abgibt“. Nur wenige Stunden später, gegen fünf Uhr nachmittags, stoppte Frenzel das ehrgeizigste Privatisierungsprojekt des Bundes. Damit hatte Bahnchef Hartmut Mehdorn keine Rückendeckung mehr für seine Börsenpläne.

An diesem Tag überschlugen sich die Ereignisse. Während Mehdorn in Berlin vor Bahnbetriebsräten noch ahnungslos die Vorteile eines zügigen Börsengangs verteidigte, verhandelte sein Chefaufseher Frenzel längst mit dem Bundeskanzler, wie man sich zügig von dem Vorhaben verabschieden könne. Gerhard Schröder willigte ein: Die Privatisierung der Bahn wird abgeblasen – vorerst.

Frenzel, im Hauptberuf Chef des Reisekonzerns Tui, musste am Mittwoch noch viele Telefonate und Gespräche führen, um sich bei den vier Mitgliedern des Aufsichtsratspräsidiums der Bahn abzusichern. Auch Staatssekretär Ralf Nagel aus dem Verkehrsministerium signalisierte, dass die neuesten Gutachten und die aktuellen Zahlen des Bahnkonzerns bei der Bundesregierung als Eigentümer der Bahn Zweifel am Zeitplan für den Börsengang aufkommen lassen. Am Ende stand für den Chefaufseher der Bahn fest: „Keiner glaubt mehr an das Jahr 2006.“

Das letzte und schwierigste Gespräch musste Frenzel dann mit Mehdorn selbst führen. Die Formulierung, den Börsengang „im Einvernehmen mit dem Eigentümer Bund und mit dem Vorstand der Bahn“ zu verschieben, konnte er ihm nur unter größten Anstrengungen abringen. Denn der „bockige Mehdorn“, so ein mit den Verhandlungen Vertrauter, hatte Frenzel seinerseits noch am Montag schriftlich aufgefordert, eine neue Projektgruppe mit Vertretern der Bundesregierung zu initiieren. Aufgabe ist die Beschleunigung der Börsenpläne. „Sonst werden die gewinnen, die das Gegenteil wollen“, heißt es in dem Schreiben.

Damit meint Mehdorn vor allem die Verkehrspolitiker aller Fraktionen im Bundestag. „Jetzt müssen erst einmal die Emotionen runter“, kommentierte ein Parlamentarier die verfahrene Lage. Von Mehdorn wird nun erwartet, dass er „auf die Parlamentarier zugeht“. Da wird Aufsichtsrat Frenzel noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen.

Dieter Fockenbrock

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