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Wirtschaft: Frisch aus der Tüte

Die Ernährungsindustrie hat eine Antwort auf das moderne Leben gefunden: Chilled Food. Das ist auch Fast Food, kommt aber aus dem Kühlregal. Der gekaufte Zeitgewinn hat einen hohen Preis

Berlin - Es ist fast so schön wie beim Italiener, wenn nur diese Plastikfolie nicht wäre. Darunter schimmert eine kühle Tortelli-Komposition, angerichtet mit fruchtigen Coctailtomaten und saftigen Basilikumblättern. Im Vergleich zum Italiener an der Ecke hat diese Mahlzeit einen Vorteil: Sie ist deutlich schneller.

„Chilled Food“ heißt diese Art von Essen in der Ernährungsbranche. Die gekühlten, vorgekochten Fertigmahlzeiten, -salate und -saucen sind die Antwort der Industrie auf das moderne Leben. „Wir werden immer mobiler“, sagt der Unternehmensberater Volker Dölle, der im Auftrag der Centralen Marketing Gesellschaft der Agrarwirtschaft (CMA) gerade eine Studie zum Thema veröffentlicht hat. „Und 71 Prozent der Frauen arbeiten und haben Besseres zu tun, als zu kochen.“ Die Zubereitung eines Gerichts habe früher eineinhalb Stunden gedauert, sagt Dölle. Heute seien es im Schnitt 18 Minuten.

Von den gekühlten Schnellgerichten erwartet die durch Gammelfleisch und Verbrauchergeiz gebeutelte Ernährungsbranche, die den Umsatz im ersten Halbjahr um nicht mal drei Prozent gesteigert hat, zweistelliges Wachstum. Ende des Jahres werden es nach Auskunft Dölles 2,6 Milliarden Euro sein. „Der Trend wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen“, sagt Matthias Gmeinwieser, Analyst der Bayerischen Landesbank.

Auch bei der „Zukunftskonferenz Ernährung“ in Magdeburg wird das Thema eine Rolle spielen. Dort wollen Vertreter aus Politik, Handel und Industrie in dieser Woche über erfolgreiche Strategien für die Ernährungswirtschaft diskutieren. Mit 1,3 Millionen Beschäftigten und einem Umsatz von 260 Milliarden Euro zählt sie zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen. Das Konsumverhalten der Verbraucher ändert sich gerade dramatisch. Nur noch 37 Prozent der Ausgaben für Lebensmittel entfallen heute auf naturbelassene Zutaten, vor zehn Jahren waren es noch zwei Drittel, heißt es in der CMA-Studie. Davon profitieren Hersteller wie die Firma Heinrich Kühlmann, die im ostwestfälischen Rietberg Fertigsalate und frische Suppen für das Abspeckunternehmen Weight Watchers produziert und den Umsatz im vergangenen Jahr um ein Drittel gesteigert hat. „Wir decken den Bedarf des Verbrauchers nach Bequemlichkeit, schenken ihm Zeit und helfen, die schwindende Kochfertigkeit auszugleichen“, sagt Marketingchef Oliver Krück. Im Gegensatz zu Tiefkühlgerichten, bei der der Umsatz rückläufig ist, kommt die Kühlkost zudem ohne Konservierungsstoffe aus.

Verblüffend ist es trotzdem, dass die Verbraucher ausgerechnet im Discounter-Land Deutschland bereit sind, für die gekühlte Kost viel Geld auszugeben. Für eine pfannenfertige Kartoffel kann der Handel drei Mal mehr verlangen als für eine unbehandelte. „Das ist auch für Landwirte eine große Chance“, sagt CMA-Sprecher Detlef Steinert.

Im Vergleich zu Ländern wie England, wo Fertigmenüs auch für 3,50 Euro gekauft werden, sind die Grenzen in Deutschland eng gesteckt. „Im Discounter liegt die Schwelle bei 1,99 Euro, im Supermarkt ist bei 2,99 Euro Schluss“, sagt Marketingmann Krück. Derzeit einzige Ausnahme sei Sushi, wo der Verbraucher auch 6,99 Euro für die Box okay finde. Das liegt auch daran, dass der rohe Fisch schnell aus den Regalen geräumt werden muss, wenn er nicht verkauft wird. In Deutschland eine Ausnahme: „Für Handel und Verbraucher ist Haltbarkeit noch wichtiger als Natürlichkeit“, sagt Krück. 18 bis 21 Tage sei Standard, mehr gebe die Logistik und begrenzte Kühlflächen meist nicht her. Auch das ist in England anders. Einzelhändler wie Mark’s & Spencer bieten bereits „ultrafrische“ Fertigprodukte an. Im Preis inbegriffen ist die Garantie, sie zu vernichten, wenn sie bis zum Abend nicht verkauft werden.

Ina Brzoska, Maren Peters

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