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Wirtschaft: Frühlingserwachen im Fabrikambiente - Eine neue Allianz aus Kino, Kunst und Kommerz

In den früheren Lagerhallen der Brauerei am Prenzlauer Berg hat sich eine Menge getan: Unter den erhaltenen Tonnendächern hat am 2. März das Multiplex-Kino "Village" Einzug gehalten.

In den früheren Lagerhallen der Brauerei am Prenzlauer Berg hat sich eine Menge getan: Unter den erhaltenen Tonnendächern hat am 2. März das Multiplex-Kino "Village" Einzug gehalten. Rotleuchtende Buchstaben digitaler Schriftbänder verraten: Film ab, Ton läuft. Seit einer Woche steigen die Kinobesucher die stählerne Freitreppe im großzügigen Foyer zu den acht Vorführsäalen mit insgesamt 1587 Plätzen empor. Neben Hitlistenfilmen wird das "Arthouse"-Kino Originalfassungen und in Zusammenarbeit mit den Kulturinstitutionen in unmittelbarer Nachbarschaft anspruchsvolle Programmreihen zeigen. Nicht nur der australische Unterhaltungskonzern "Village Roadshow" als Betreiber des Kinokomplexes wünscht sich dafür einen regen Besucherzustrom. Die Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft (TLG) hat rund 100 Millionen Mark in Sanierung und Umbau des 100 Jahre alten Industriedenkmals investiert. Nach Start des Spielbetriebs rechnet auch sie mit der belebender Katalysatorfunktion des Kinokomplexes, der auch für alle übrigen Einzelprojekte mithelfen soll, das Publikumsinteresse anzukurbeln. Im September 1998 wurde die Instandsetzung des 25 000 Quadratmeter großen Geländes mit dem Gebäudeensemble denkmalgeschützter Industriearchitektur begonnen. Im Mai soll sie weitestgehend abgeschlossen sein: Der Countdown für das Frühlingserwachen läuft.

Die Fusion aus Kunst und Kommerz scheint gelungen: Die Kulturbrauerei GmbH war Initialzünder und ist bis heute so etwas wie der harte Kern des eigentlichen Kulturzentrums. Die gemeinnützige GmbH besteht aus vier Gesellschaftern, der Kulturbrauerei e.V., den Vereinen "Sonnenuhr" und "Musik-Szene" sowie der Stiftung "Industrie und Alltagskultur / Sammlung industrielle Gestaltung". Sie nutzt als zweite große und älteste Einzelmieterin mit 7500 Quadratmetern knapp ein Sechstel der Fläche nichtkommerziell: zu festgeschriebenen Sonderkonditionen von 5 Mark pro Quadratmeter bis ins Jahr 2011. Dann muss über den Betrag erneut verhandelt werden. Verein wie GmbH werden 2001 seit 10 Jahren bestehen. Richtigen Winterschlaf, so GmbH-Geschäftsführer Joachim Sommermeier, habe es während der gesamten Bauzeit im Grunde nie gegeben. "Das Programm lief in den letzten anderthalb Jahren durchgängig weiter. Die Besucherzahlen lagen 1998 an einem schönen Wochenende bei 20 000. Danach mussten wir allerdings einen Rückgang um 10 bis 15 Prozent hinnehmen". Die Alte Kantine trägt wie alle Gebäude auf ihrer frisch sandgestrahlten Backsteinfassade in Metallbuchstaben die Bezeichnung ihrer früheren Nutzung. Sie hat nun einen Pächter, verbindet Gastronomie mit Kultur und bietet jeden Dienstag und Mittwoch Kulturprogramm, vor allem Lesungen. Die Veranstaltungsreihen "Hörkantine" ist Off-Produktionen junger Autoren gewidmet. Neben dem "Erzählcafé" gibt es auch ein "richtiges" Tanzcafé mit Musik und Disco. Ein besonderer Schwerpunkt wird in Zukunft "Ibérico Cultura" sein. Die Kulturbrauerei will der Treffpunkt und das Zentrum für alle an spanischer Kultur Interessierte werden. Die Aktivitäten beschränken sich nicht auf einige Flamencoabende. Eine Lorca-Hommage gehört ebenso zum Angebot wie spanische Klassiknächte, Zigeunermusik, Ausstellungen mit spanischen Künstlern und parallel dazu eine Sonderreihe spanischer Filme im "Village"-Kino.

Neue Mieter sind inzwischen viele auf dem Areal ansässig. In der Alten Schlosserei knüpft das Russische Kammertheater mit zweisprachigem Tanz- und Sprechtheater an Traditionen der zwanziger Jahre an. Ursprünglich war vorgesehen, das Gebäude zu einer Galerie für Design und Fotografie auszubauen. Dieses Vorhaben wurde jedoch schon im Planungsstadium aufgegeben. In der Abfüllhalle, von der Galerie Wewerka einst für ihre Jubiläumsschau als Interims-Kunsthalle genutzt, hat sich der Christoph Links Verlag (u.a. "Die Tödliche Doris") eingemietet. Mit zwei weiteren Verlagen laufen Verhandlungen.

Vor allem aber entstand in der so genannten Pich-Halle, in der einst ordentlich gepichelt, sprich ordnungsgemäß Fässer abgefüllt wurden, das "Soda". Seit Dezember bietet es mit House-Musik und Disco ein Domizil für Nachtschwärmer. Auch gibt es ein Restaurant mit "junger kreativer Küche". Zum "Soda" gehören Club, Bar, Lounge im Stil der Sechziger Jahre. Im Salon gibt es szenische Lesungen und Live-Musik von Jazz bis Soul. Es ist ein Paradebeispiel in Miniatur für die "Plattform pulsierenden Großstadtlebens rund um die Uhr" als Zielimage der gesamten Kulturbrauerei. Kunst, Entertainment und Kommerz gehen hier ganz selbstverständlich Hand in Hand.

Das Gesamtkonzept sieht diese Mischnutzung von Kultur, Gewerbe und Dienstleistungen dezidiert vor. In allen Gebäuden blieb der Charakter der Industriebauten erhalten, entsprechend wurde die Technik nirgends versteckt. Ein Alt-Berliner Markt mit Orientalischem Basar soll entstehen, den Allerweltsupermarkt gibt es auf dem Gelände schon. Vor allem bietet nahezu jedes Haus seine eigene Gastronomie mit hunderten von Terassen- und Biergärtenplätzen. Kommerz soll Hilfestellung leisten, die Kultur zu finanzieren. Für leibliches Wohl wird auch im Kabarett "Cartoon" gesorgt - neben dem Kesselhaus, das von Konzerten bis zur Fernsehshow Großveranstaltung aller Art ermöglicht.

Doch auch die Kunst hat ihre Nische in diesem Kulturstandort gefunden. Im Erdgeschoss zeigt die Galerie im Pferdestall unter dem Titel "Konstruierte Dekonstruktion" gerade eine Ausstellung des Stuttgarter Bildhauers Horst Kuhnert, Jahrgang 1939, mit Collagen in Siebdruckkarton und überwiegend monochromen Wandobjekten. Aus dem Thema "Stabil - Instabil" entwickelt er seine asymmetrischen Geometrien. Zwischen kantigen, auf Dreieck und Rechteck basierenden Formen ereignet sich ein turbulentes Gerangel und Geschiebe, ein Mit- und Gegeneinander der Elemente, bis sich wie zufällig aus dem scheinbaren Chaos, dem Prozess der dynamischen Auflösung und Zersplitterung eine neue Ordnung und Struktur kristallisiert. Diese drängt in die dritte Dimension des Raumes und entfaltet sich vielfach in Betonung schräger Ebenen und der Diagonalen. Die dynamische Diagonale ist nicht nur ein Lieblingselement dekonstruktivistischer Architektur. Auch Kuhnert schätzt es, wenn die Teile wirken, als könnten sie wie nach einer Explosion jeden Augenblick auseinanderfliegen. Sie arbeiten gegen- wie miteinander zugleich. Labile Momente sorgen für Spannung. Schwarz oder Weiß, gebrochene und matte Farbigkeit von Blau, Graugrün oder Gelb unterstützt die Leichtigkeit, das Schwebende seiner offenen Strukturen. Er setzt dabei nicht auf das mathematisch Analytische, die serielle und systematische Erkundung der Summe von Variationsmöglichkeiten, sondern auf das spielerische Moment des Zufälligen im Geplanten. Dazu kommt das Zusammenwirken der Objekte mit dem Raum und der Architektur ringsum, die hier vom morbiden Charme des Verfalls und des Provisorischen noch einiges bewahrt hat. Wechselnde Licht- und Schatteneffekte beleben die Objekte durch zusätzliche Echoformen.

Doch die Galerie setzt auf Kontrast: Als nächstes folgt eine Werkschau Hans Baltzers, in den Fünfziger Jahren ein bekanntesten Plakatgestalter der DDR. Ein kräftiger Hauch "Ostalgie" zieht sich wie ein roter Faden durch viele Programme der Kulturbrauerei, mag Besuchern künftig auch einiges spanisch vorkommen. Oder multikulturell, wie beim Karneval der Kulturen der Welt und dem Christopher-Street-Day, zu dem die Galerie eine Kunstausstellung vorbereitet. Insgesamt steht dort die Jahresplanung noch auf etwas wackeligen Füßen und hat überraschend wenig Aufsehenerregendes zu bieten. Ob es an der hier einmal nicht vorhandenen Gastronomie liegt, dass die Kunst eher stiefmütterlich behandelt wird?

In der Sammlung industrielle Gestaltung werden gerade die Elektroleitungen gezogen. Dort entsteht ein Museum mit Schwerpunkt "Kulturhistorisches Design". Laut Leiter Hein Köster soll dort zudem "das architektonische Gewissen der Kulturbrauerei schlagen" und ein "Lapidarium architektonischer Fundstücke" die eigene Baugeschichte dokumentieren. Vorerst aber dauert es dort bis Fertigstellung des Erdgeschosses mit den industriellen Maschinen und einem Wartburg 311 im Mittelgebäude, mit Museumscafé und Museumsshop noch bis zur zweiten Jahreshälfte. Mit Abschluss der komplette Sanierung wird erst 2002 zu rechnen sein.Ausstellung in der Galerie im Pferdestall bis 19. März; Mittwoch bis Freitag 16-20 Uhr, Sonnabend und Sonntag 14-20 Uhr. Katalog 25 Mark.

Elfi Kreis

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