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Wirtschaft: „Für die Rentnerdemos habe ich kein Verständnis“

Rentenexperte Franz Ruland über den Reformbedarf in der Altersversicherung, längere Lebensarbeitszeit und die Steueramnestie für Senioren

Am Sonnabend haben Hunderttausende gegen den Sozialabbau und die Regierungsreformen demonstriert. Hat RotGrün den Bürgern zu viel zugemutet?

Die Rentner müssen zurzeit viele zusätzliche Belastungen hinnehmen. Die Reformen waren aber notwendig. Trotz der Einsparungen gibt es keine Rentnergeneration, der es so gut geht wie der jetzigen. Die Rentner sind wegen vielfältiger Übergangsregelungen von den Reformen nicht in dem Maße betroffen, wie es die Jüngeren sein werden, die künftig höhere Beiträge zahlen und später prozentual weniger Rente bekommen werden. Insofern habe ich für die Sozialverbände, die zu Rentnerdemos aufrufen, nur wenig Verständnis.

Sie meinen, die Rentner haben keinen Grund sich zu beschweren?

Sicherlich kann es in Einzelfällen Härten geben. Aber wir haben in der Rentenversicherung ein ganz grundsätzliches Finanzproblem. Die Rentenlaufzeiten haben sich seit 1960 um über 60 Prozent verlängert. 1960 sind die Renten im Durchschnitt zehn Jahre lang gezahlt worden, heute sind es über 16 Jahre. Die Renten haben dadurch einen Wertzuwachs von über 60 Prozent erhalten. Das wird oft übersehen. Um die Finanzierung der Renten zu sichern, waren Änderungen nötig. So sind die Altersgrenzen für den vorgezogenen Renteneintritt angehoben worden, um die Frühverrentung zu stoppen. Die Anpassungsformel wurde mehrfach geändert, der Bundesbeitrag zur Rentenversicherung aufgestockt.

Seit April müssen die Rentner ihre Pflegebeiträge komplett selbst bezahlen …

Ja, und im nächsten Jahr kommt dann auch noch die neue Rentenbesteuerung. Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass die Rentner besorgt sind. Ich erlebe aber, dass sie Verständnis haben, wenn man ihnen die Zusammenhänge vernünftig erklärt. Aber man sollte auch die Kirche im Dorf lassen: Die Erhöhung der Beiträge für die Pflegeversicherung macht 0,85 Prozent der Rente aus. Es gibt andere Bevölkerungsgruppen, denen zurzeit deutlich mehr zugemutet wird.

Welche?

Wenn jemand arbeitslos wird, dann hat er ein größeres Problem als ein Rentner, der jetzt 0,85 Prozent weniger Rente bekommt. Dass die Arbeitslosigkeit sinkt, muss unser aller Ziel sein – auch das der Rentner. Denn nur, wenn wir wieder zu einem stabilen Arbeitsmarkt zurückkehren, sind auch die Renten langfristig sicher.

Reichen die bereits beschlossenen Rentenreformen aus?

Wir stehen vor einer gravierenden Veränderung unserer Gesellschaft. Sie altert, weil weniger Kinder geboren werden und die Lebenserwartung weiter steigt. Es kann daher nicht die „Jahrhundertreform" geben. Die Rentenversicherung muss sich vielmehr permanent an die veränderten gesellschaftlichen Rahmendaten anpassen. Außerdem darf man nicht vergessen, dass die vergangenen Reformen schon viel bewirkt haben. 1989 ist auf der Basis des damals geltenden Rechts der Beitragssatz für 2030 auf 36 bis 41 Prozent hochgerechnet worden – nur für die Rentenversicherung. Heute kommen wir für 2030 auf einen Satz von 22 Prozent.

Aber dafür gibt es auch viel weniger Rente.

Ja, das hat natürlich seinen Preis. Wenn der Beitragssatz gedeckelt und der Bundeszuschuss nicht weiter angehoben wird, dann kann man die Einsparungen nur bei den Leistungen erzielen. Deshalb wurden und werden die Altersgrenzen für die frühzeitige Inanspruchnahme der Renten von 60 oder 63 schrittweise auf 65 heraufgesetzt. Und durch die Veränderung der Rentenformel – insbesondere den Riester- und den Nachhaltigkeitsfaktor – sinkt das Rentenniveau bis 2030 um 16 Prozent. Aber weil sich ja auch die Laufzeiten weiter verlängern, wirft die Rentenversicherung immer noch eine angemessene Rendite ab. Ein Durchschnittsverdiener, der heute in Rente geht, bekommt eine Rendite von 4,1 Prozent. Wer 2030 Rentner wird, immerhin noch 3,2.

Werden die Renten 2030 deutlich über dem Sozialhilfeniveau liegen?

Ja – bei entsprechender Versicherungsdauer. Nach heutigem Stand erreicht ein Durchschnittsverdiener, der 27 Jahre lang in die Rentenversicherung einzahlt, das Niveau der Grundsicherung. Aber wir gehen davon aus, dass die Versicherten auch künftig längere Versicherungszeiten haben werden. Dazu rechnen beispielsweise auch Zeiten der Kindererziehung. Wie der Abstand zwischen Rente und Sozialhilfe ausfällt, wird auch ganz wesentlich von der Fortschreibung der Sozialhilfesätze abhängen.

Ist das Mindestrentenniveau, das jetzt per Gesetz gesichert wird, nicht Augenwischerei?

Ich habe mich sehr dafür eingesetzt, dass das Rentenniveau wieder in das Gesetz aufgenommen wird. Ursprünglich sollte nur der Beitragssatz festgeschrieben werden, das Rentenniveau wäre die Variable nach unten gewesen. Jetzt muss die Politik auch künftig abwägen, wie eventuell nötige weitere Einsparungen umgesetzt werden – ob der Beitragssatz erhöht, das Rentenniveau gesenkt oder die Altersgrenze heraufgesetzt wird.

Wäre es nicht ehrlicher gewesen, jetzt schon die „Rente mit 67" zu beschließen?

Man darf die Bevölkerung, aber auch die Politik mit Rentenreformen nicht überfordern. Richtig ist: An einer Anhebung der Regelaltersgrenze kommen wir nicht vorbei. Wenn die Lebenserwartung weiter ansteigt, steigen die Rentenlaufzeiten und damit die Ausgaben der Rentenversicherung. Das lässt sich nicht allein über das Rentenniveau ausgleichen. Es würde sonst zu sehr absinken.

Also ist die Entscheidung über die längere Lebensarbeitszeit nur aufgeschoben?

Die Signale gehen in diese Richtung. Aber die Altersgrenzen sollen ja nicht sofort angehoben werden, das wäre bei der derzeit hohen Arbeitslosigkeit gar nicht realistisch. Die Rürup-Kommission hat vorgeschlagen, die Altersgrenze ab 2011 in Monatsschritten heraufzusetzen. Erst 2035 läge sie dann bei 67 Jahren. Wichtig ist aber, dass die Politik frühzeitig allen Beteiligten klar macht, dass die anhaltende Frühverrentung gestoppt werden muss und wir uns auf eine längere Lebensarbeitszeit einzustellen haben. Die Entscheidung über eine längere Lebensarbeitszeit muss möglichst bald fallen. Je später sie kommt, desto schwieriger wird es für die Betroffenen, sich darauf einzustellen. Zudem braucht auch die Politik Zeit, die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen.

Was muss geschehen?

Es muss mehr für die Fort- und Weiterbildung auch und gerade der Älteren getan werden. Außerdem sollte man zum Beispiel über den Kündigungsschutz und das Senioritätsprinzip nachdenken, das älteren Beschäftigten automatisch höhere Löhne sichert. Auch das ist ein Einstellungshindernis. Wegen der demographischen Entwicklung werden ältere Arbeitnehmer in ein paar Jahren wieder bessere Chancen haben, einen Arbeitsplatz zu finden, weil dann Fachkräfte gesucht sein werden.

Wird die Politik unpopuläre Entscheidungen wie die „Rente mit 67“ später überhaupt noch durchsetzen können, wenn immer mehr Wähler Rentner sind?

Ja, richtige Entscheidungen bahnen sich ihren Weg. Man muss aber eine Menge Überzeugungsarbeit leisten. Das geht manchmal nur in Schritten. Die jüngste Rentenreform wäre womöglich im Parlament gescheitert, wenn auch die „Rente mit 67“ mit im Entwurf gestanden hätte.

Viele Rentner fürchten, dass sie im nächsten Jahr mehr Steuern für ihre Rente zahlen müssen. Zu Recht?

Der geplante Wechsel zur nachgelagerten Besteuerung der Renten ist richtig. Er bedeutet, dass künftig die Rentenbeiträge steuerfrei gestellt werden und dafür später die Renten versteuert werden müssen. Dadurch werden die Arbeitnehmer entlastet.

Aber wer eine große Rente hat oder Zusatzeinkünfte, wird belastet.

Ab dem nächsten Jahr werden 50 Prozent statt bisher 27 Prozent der Rente steuerpflichtiges Einkommen. Der steuerpflichtige Anteil der Rente steigt dann von Jahr zu Jahr für die Menschen an, die jeweils erstmals Rente beziehen. 2040 werden die Renten dann zu 100 Prozent besteuert. Wegen der steuerlichen Freibeträge werden neu zugehende Durchschnittsrentner erst ab dem Jahr 2013 Steuern zahlen müssen. Wer dagegen eine hohe Rente oder Zusatzeinnahmen aus Betriebsrenten, Kapitaleinkünften, privaten Versicherungen oder Vermietung bezieht, muss schon ab dem nächsten Jahr mit höheren Steuern rechnen.

Was halten Sie von einer Steueramnestie für Rentner?

Wenig. Es gibt wohl auch Rentner, die heute schon Steuern zahlen müssten, es aber nicht getan haben. Diese Fälle dürften durch die geplanten Meldeverfahren künftig nicht mehr unentdeckt bleiben. Amnestien sind jedoch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und nur ausnahmsweise gerechtfertigt. Ich glaube aber, dass die Finanzbehörden mit diesen Fällen sehr vernünftig umgehen werden, weil die öffentliche Diskussion manchmal den – allerdings unzutreffenden – Eindruck entstehen ließ, Renten seien derzeit steuerfrei.

Muss dann auch die 85-jährige Oma Steuern nachzahlen?

Wenn die 85-jährige Oma eine hohe eigene Rente hat, eine Hinterbliebenenrente bezieht, außerdem noch eine oder zwei Betriebsrenten, dann sollte sie zum Steuerberater gehen.

Das Interview führten Cordula Eubel und Heike Jahberg.

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